Zwiebeltürme begegnen Radlern auf der Schwäbischen Kartoffelroute fast genauso häufig wie das Knollengemüse. Foto:  

Selma und Sieglinde heißen die Stars auf der Schwäbischen Kartoffeltour. Auf dem Radfernweg in Bayerisch-Schwaben radelt man immer der Knolle nach. Bayerisch-Schwaben? Klingt paradox. Rätsel gibt auch der Dialekt auf.

Günzburg - Heißt es Fahrrädle oder Radl? Servus oder ade? Fremde dürften in Bayerisch-Schwaben schnell in Konfusion geraten. Jene Region in Bayern, in der die Bevölkerung aus Schwaben besteht und folglich Schwäbisch schwätzt. Allerdings mit bayerischen Färbungen. In Sachen Dialekt sind sich selbst bayerische Schwaben nicht ganz einig. „Es heißt Fahrrädle“, sagt Gebhard Ihle, Land- und Gastwirt aus Leipheim bei Günzburg. „Bei uns sagt man Radl“, meint dagegen Gastwirt Willi Hiller aus Ziemetshausen. Beide schwäbischen Orte trennen nicht einmal 20 Kilometer Luftlinie. Aber beide liegen in Bayern. Alles klar?

Ob Rädle oder Radl – Gebhard Ihle und Willi Hiller sind einer Meinung, wenn es um die schönste Nebensache in Bayerisch-Schwaben geht: Radfahren. Die beiden Gastwirte haben vor einigen Jahren mit Kollegen eine Radrundtour ins Leben gerufen, die Schwäbische Kartoffeltour. 230 ausgeschilderte Kilometer lang geht es durch eine verträumte Landschaft, die von Bauernhöfen und barocken Kirchtürmen geprägt ist – immer der Knolle nach. Kartoffeln zieren die Wegweiser auf den zehn Etappen.

Das Terrain ist durchweg flach bis leicht hügelig. Die Tour führt durch traditionelles Kartoffelland. Kartoffelacker und Kirchtürme – Bayerisch-Schwaben ist K.u.K-Land. Zum Übernachten und Speisen bieten sich die Kartoffelwirte an. Diesen Spitznamen haben jene Betriebe, die sich der Kartoffel verschrieben haben, etwa mit einer eigenen Kartoffelkarte. Gebhard Ihle ist einer davon. Sein Gasthof Waldvogel in Leipheim dient als bevorzugter Start- oder Zielpunkt der Radrundtour. Zum Frühstück gibt’s Kartoffelbrot, zum Mittagessen Kartoffelspitzle – eine Art Kartoffelnocken – und zum Feierabend im Biergarten mit alten Kastanien Kartoffelschnaps und Hefeweizen.

Die ersten Kilometer werden von der Donau begleitet

Die Knolle liefert Kraft für den Rundkurs durch den westlichsten Landstrich Bayerns. Von Leipheim geht es über Günzburg hinein in die Natur. Die ersten Kilometer werden von der Donau begleitet, die Strecke führt durch Auwald. Dann jedoch übernimmt der Ackerbau die Oberhand. Kilometerweit geht es durch Felder. Viele Gemeinden in Bayerisch-Schwaben galten lange Zeit als strukturschwach, die Kartoffel diente als Armeleuteessen. Heute sind regionale Produkte wieder so gefragt wie warme Semmeln. Beziehungsweise wie heiße Kartoffeln. Vor allem alte, aber selten gewordene Sorten etwa Sieglinde. „Die Radler sind verrückt nach guten Kartoffeln“, sagt Balthasar Zahler aus Röfingen, ebenfalls Gast- und Landwirt in Personalunion. Er gilt als einer der Erfinder des Kartoffel-Cordon-bleu. Statt Fleischschnitzel wird dafür eine Masse aus regional angebauten Kartoffeln verwendet. Röfingen ist Grombiera-Land. So werden die Kartoffeln in Reichweite der A 8 von Stuttgart nach München genannt.

Radelt man auf der Kartoffeltour weiter in Richtung Süden, erreicht man Bodabiera-Territorium. Bodabiera heißen die Kartoffeln etwa bei Gastwirt Willi Hiller in Ziemetshausen. Dort, im tiefsten Bayerisch-Schwaben, gibt ein weiteres Gemüse den Ton an: Zwiebeln. Genauer: Zwiebeltürme. Schnell wird klar, warum der Landstrich als schwäbischer Barockwinkel firmiert. Aus jedem noch so kleinen Kuhdorf ragt einer dieser für Süddeutschland so typischen Kirchtürme heraus. In manchem Weiler stehlen allerdings Storchennester den Türmen die Show. Ein Gotteshaus ist konkurrenzlos: Bei Ziemetshausen steht die Wallfahrtskirche Maria Vesperbild. Bis zu 500 000 Besucher pilgern wegen des Heiligenbilds alljährlich in das Dorf. Eine gottesfürchtige Region, aber irdischen Genüssen nicht abgeneigt. Vor allem, wenn sie aus der Erde kommen. Oder in Humor verpackt sind: Kommt ein Mann vom Beten zurück und ruft ganz aufgeregt: „Ich kann wieder laufen, ich kann wieder laufen!“ Fragt der Pfarrer: „Was ist denn geschehen?“ Sagt der Mann: „Des Radl ham’s mer g’stohlen!“

Radler haben immer Durst

Willi Hiller erzählt diesen Radlerwitz auf dem Weg nach Fischach. Auf dieser Etappe führt die Tour durch kühle Wälder. Dass Radtouristen in dieser wie menschenleer wirkenden Gegend auf Fahrraddiebe treffen, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Auch Ungeheuer sind eher selten anzutreffen. Wie schon die Sieben Schwaben feststellen mussten. Die Erzählung über sieben tollpatschige Schwaben wurde zwischen Kirchheim und Mindelheim angesiedelt. Radler auf der Kartoffeltour befinden sich dort bereits – um das Wirrwarr komplett zu machen – im Unterallgäu. „Hier ist das richtige Schwabenland“, sagt Reinhard Demmler vom Gasthof zum Schwanen in Oberkammlach. Das Lokal konnte bislang dem anhaltenden Landgasthaussterben trotzen. Auch dank der Radler. Denn ob bayrischer Schwabe oder schwäbischer Bayer, eines ist für Demmler so klar wie Kartoffelkloßbrühe: „Radler haben immer Durst.“