Die Kehrwoche – Ein Sinnbild des schwäbischen Ordnungssinns Foto: dpa

„Gottes schönste Gabe ist . . . der Schwabe“, sagt der Volksmund. Damit ist allerdings nicht die Frage beantwortet: Was ist der Schwabe? Das Württembergische Landesmuseum geht dieser Frage jetzt ausführlich nach.

Stuttgart - Das Leben ist kompliziert. Das des Schwaben besonders, was dieser selbst oft gar nicht so empfindet. Seine Kompliziertheit oder Komplexität zeigt sich erst in der Außenwahrnehmung, gelegentlich auch in der Selbstbeschreibung schwäbischer Dichter – wie August Reiff: „Uffrichtig ond gradraus, guetmütig bis dort naus, wenn’s sei muaß au saugrob, des isch dr Schwob.“

Tatsache ist: Wer versucht, sich dem Schwaben und dem Schwabenland zu nähern, wie es von diesem Samstag an das Württembergische Landesmuseum in Stuttgart mit der Großen Landesausstellung „Die Schwaben – zwischen Mythos und Marke“ tut, der wird fortlaufend auf Widersprüche stoßen – oder positiv ausgedrückt: auf die Vielseitigkeit jenes „kleinen Volkes im Süden, das es ein kleines bisschen besser draufhat“, wie die A-cappella-Formation Die Füenf in ihrer Schwabenhymne feststellt.

Klischees – allenfalls die halbe Wahrheit

Was wird den Schwaben nicht alles nachgesagt: Knickrig seien sie, verdruckt, maulfaul, putzwütig und kulinarisch einfallslos. Doch das ist nur die halbe Wahrheit – wenn überhaupt. Denn es finden sich immer auch überzeugende Gegenbeispiele. Kaum hat man die Ordnungsliebe als besonderes Kennzeichen der Schwaben identifiziert, stößt man auf ihr Rebellentum. Kaum nagelt man sie auf ihre Bodenständigkeit fest, ziehen sie in die Welt hinaus. Und wenn man auf den Pietismus als „typisch schwäbisch“ verweist, meldet sich garantiert ein katholischer Oberschwabe zu Wort. Sobald man also glaubt, herausgefunden zu haben, wer der Schwabe ist, stellen sich neue Fragen. Die Kuratoren der Großen Landesausstellung, Olaf Siart und Frank Lang, gehen mit diesem Phänomen spielerisch um. So sehen sich Besucher der Schwaben-Schau im Alten Schloss mit Gegensatzpaaren konfrontiert, die deutlich machen, dass sich die Schwaben einer einfachen Typologisierung entziehen.

Auf der anderen Seite entbehren die Klischees auch nicht jeder Grundlage. Es ist schon was dran – etwa an der sprichwörtlichen Sparsamkeit. Da gibt es die schwäbische Nachbarin, die eine Mutter im Kindbett besucht, ohne ein Geschenk mitzubringen. Ihre Begründung klingt überzeugend: „Mr ka sich heutzutag ja älles selber kaufa!“ Klare Sache, eine Schwäbin, wie sie im Buche steht! Aber in welchem Buche?

Schwabenbilder liegen im Widerstreit

Der Historiker Wolfgang Zimmermann weist in seinem Beitrag für den Katalog zur Ausstellung darauf hin, „dass Schwänke über Schwaben seit dem Humanismus zum festen Repertoire volkstümlichen Erzählguts gehören“. Zugleich setzten sich Schwaben gegen diese Herabsetzungen publizistisch zur Wehr: „Sie drehten den Spieß um“ und wendeten „tradierte Vorurteile ins Positive“ – wie der Autor Balthasar Haug, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausführte: „Die vorzüglichsten Eigenschaften der Schwaben sind: beständig, ernsthaft, fleißig, treu.“ „Schwaben“, so schreibt Zimmermann weiter, „präsentierte sich als Inbegriff einer deutschen ,Leitkultur‘.“ Bei diesen unterschiedlichen Schwabenbildern ist es geblieben. Bis heute. Immerhin gibt es auch Schnittmengen. Den schwäbischen Erfindungsgeist etwa stellt niemand infrage. Und so ist es auch kein Wunder, dass die Dialektik gerade hier erfunden wurde – von einem Schwaben mit Weltruhm: Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

Wo kommen die Schwaben überhaupt her? Die Antwort ist: Sie wissen es selbst nicht so genau, und auch die Geschichtsschreibung tut sich schwer. Das berühmte „Schwabenland“ hat keine gesicherten, sondern allenfalls gefühlte Grenzen. Klar ist nur: Der Versuch, eine direkte Linie zu ihren Namensgebern, den germanischen Sueben, zu ziehen, geht ins Leere. Überhaupt halten Vorstellungen von den Schwaben als homogene Gruppe dem Realitätstest nicht stand. Mobilität, Vermischung, Integration bewirkten, dass die Schwaben ein ziemlich buntes Völkchen sind. Immer schon.

Schwaben und Alemannen gehören zusammen

Was ist dann aber mit dem Herzogtum Schwaben, das etwa 350 Jahre lang bis zum Ende der Staufer als politischer Raum existierte? Richtig, das gab es – aber das macht die Sache nicht leichter. Denn dieses Schwaben erstreckte sich sich vom Lech bis zum Vogesenkamm und vom Asperg bis zum St. Gotthard. Es trug auch die Bezeichnung Herzogtum Alamannien – was einen Hinweis darauf liefert, dass Schwaben und Alemannen eigentlich zusammengehören, obwohl das Königreich Württemberg von 1806 an große Anstrengungen unternahm, sich „bildlich das Gewand der Schwaben überzustreifen“ und sich von den „Alemannen“ südlich des Schwarzwalds abzugrenzen, wie der Historiker Zimmermann schreibt. Daraus erwuchs das Gegensatzpaar Württemberg/Baden – nicht Schwaben/Baden, wie oft fälschlich behauptet. Denn: „Schwaben ist ein Stammesbegriff aus der Völkerwanderungszeit“, erklärt der Degerlocher Historiker Gerhard Raff: „Baden, Hohenzollern, Württemberg sind dagegen Familiennamen aus dem 11./12. Jahrhundert.“

Es gab mehrere Schwaben-Metropolen

Stuttgart als Schwaben-Metropole – auch das ist ein nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit. Hätte man einen Schwaben im Frühmittelalter nach der schwäbischen Metropole gefragt, wäre seine Antwort Konstanz gewesen, später Ulm und noch später Augsburg. Die Schwaben machen es einem wirklich nicht leicht – wie auch das Landesmuseum bei den Vorbereitungen der Schau feststellen musste.

Glücklicherweise gibt es da noch den Dialekt, auch er vielschichtig, in einem jedoch eindeutig: dem charakteristischen „-le“. Erst neulich stand ein alter Herr am Ausgang des Mineralbads Leuze und sagte nach erfolgter Körperwäsche zufrieden: „Sauberle, Herr Hauberle, mei Lieberle.“ In dem Fall besteht kein Zweifel, so redet nur einer: ein Schwabe!