Solaranlagen prägen das Bild des beschaulichen Schwarzwald-Städtchens Schönau Foto: Przybilla

Schönau verkörpert die perfekte Schwarzwald-Idylle. Doch der Eindruck täuscht. Seit langem kämpfen die Bürger gegen die Macht der Energiekonzerne. Heute gehört ihnen einer der größten Ökostromanbieter. Ein Besuch bei den Pionieren der Energiewende.

Schönau - Ein Tal mitten im Schwarzwald. Eine Lichtung. Ringsherum dichter Nadelwald, der selbst im Winter nichts von seiner tiefgrünen Farbe hergibt. Die Sonne lässt den Schnee auf den Hügeln glitzern – aber nicht nur den. Auch im Tal schimmert es, genauer gesagt, auf den Dächern. Hunderte von Solaranlagen helfen den Menschen, ihren eigenen Öko-Strom herzustellen. Die Kleinstadt heißt Schönau. Hier nahm die Energiewende ihren Lauf, lange bevor der Begriff überhaupt existierte.

Wer nach Schönau kommt, entdeckt ein typisches Schwarzwald-Städtchen – Dorf, möchte man sagen, aber das hören die Menschen in der 2300-Seelen-Gemeinde gar nicht gern. Die Kirche überragt alles, gefolgt vom städtischen Gymnasium und dem benachbarten Rathaus. Schönau, der Heimatort von Bundestrainer Joachim Löw, ist weit weg von Stuttgart, von Berlin sowieso. Vielleicht ist es diese Abgeschiedenheit, die aus den Einwohnern Stromrebellen machte.

Die Revolte begann im Mai 1986: In Schönau wurde, 1600 Kilometer von Tschernobyl entfernt, Radioaktivität gemessen. Daraufhin gründete sich eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, fortan nur noch eigenen (Öko-)Strom zu produzieren. Einfach so, in der Gemeinschaft. Und natürlich gegen massive Widerstände der konservativen Behörden.

Zunächst gründeten die Stromrebellen die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), den ersten Ökostromanbieter der Republik. 1997 übernahmen die EWS als Genossenschaft schließlich das komplette Stromnetz – zu einer Zeit, in der Helmut Kohl regierte und der Atomausstieg in weiter Ferne war.

Entgegen vieler Befürchtungen hat das Experiment funktioniert. Weit mehr als das: Die EWS sind zu einem bundesweit aktiven Anbieter im Energiegeschäft geworden. Sie sind beteiligt an den Stadtwerken von Titisee-Neustadt, der Rheinhessen Energie GmbH und den Stadtwerken Stuttgart. Inzwischen kann man bundesweit EWS-Ökostrom kaufen, mancherorts auch Gas.

Die Gründerin der Stromrebellen, Ursula Sladek, schaffte es vor zwei Jahren sogar ins Weiße Haus. Als sie dort einen Preis für ihr umweltpolitisches Engagement überreicht bekam, drückte sie einem verblüfften US-Präsidenten Barack Obama eine Broschüre in die Hand: „100 gute Gründe gegen Atomkraft“. Selbst Bundespräsident Joachim Gauck hat Sladeks Einsatz inzwischen gewürdigt: Dieses Jahr überreichte er ihr den mit 500 000 Euro dotierten DeutschenUmweltpreis.

Die Frau, die so viel in Bewegung brachte, ist auf dem Teppich geblieben. In ihrem Büro stapeln sich Akten und Zeitungsausschnitte. Ihr gegenüber sitzt Ehemann Michael Sladek. Er ist ebenfalls ein Mann der ersten Stunde, sitzt heute im Aufsichtsrat der EWS. Sladek blättert durch den vor ihm liegenden schwarz-roten Koalitionsvertrag. „Da steht wirklich nur Blabla drin“, sagt er. „Mir schwant nichts Gutes.“

Momentan läuft es bestens für die Stromrebellen. Die EWS haben über 3000 Genossenschaftsmitglieder und 150 000 Kunden. 2011 machten sie einen Gewinn von drei Millionen Euro, von dem vier Prozent an die Genossen ausgeschüttet wurden. Allein in Schönau produzieren drei Wasserkraftwerke, ein Blockheizkraftwerk und unzählige Solarkollektoren auf privaten Dächern sauberen Strom. „Im Gegensatz zu den großen Stromkonzernen bekommen wir keinen Cent Subventionen“, sagt Ursula Sladek, 67. „Trotzdem haben wir einen wirtschaftlichen Erfolg errungen. Früher dachten viele, dass Ökos so was nicht können.“

So weit, so gut. Doch kaum ist die Tinte im Koalitionsvertrag trocken, stellen sich drängende Fragen. Wie geht es weiter mit der Energiewende? Was, wenn der Staat die Solarförderung weiter reduziert? Der Umsatz der nahegelegenen Freiburger Solarfabrik sank zuletzt um 45 Prozent. „Letztes Jahr gingen 30 000 Arbeitsplätze in der Solarbranche kaputt“, sagt Sladek. „Aber Hannelore Kraft schreit wegen 10 000 Arbeitsplätzen bei der Braunkohle, der schädlichsten Energie überhaupt.“

Die Windkraft ist ein sensibles Thema. Laut Koalitionsvertrag sollen die Fördersätze gesenkt und „effiziente Standorte“ bevorzugt werden. „Dazu gehört Baden-Württemberg sicher nicht“, sagt Sladek – und verteidigt die Anlagen dennoch. „Einerseits schreien die Politiker, Strom dürfe nicht teuer werden. Andererseits fördern sie teure Offshore-Windparks, anstatt auf kurze Wege zu setzen.“

Andere Kommunen sind bei den regenerativen Energien längst nicht so weit, wollen aber aufrüsten. „Die Pläne der Koalition haben darauf direkte Auswirkungen“, sagt Sladek. „Wir planen Windanlagen für mehrere Gemeinden, aber niemand weiß, wie hoch die Vergütung künftig sein wird.“

Selbst bei den Schönauer Bürgern ist die Skepsis gegenüber Schwarz-Rot zu spüren. „Was die Zukunft bringt, ist unsicher“, sagt Uli Schwarz. Der pensionierte Lehrer pflasterte vor 16 Jahren sein halbes Dach mitSolarkollektoren zu. „Früher haben mich die Nachbarn belächelt“, sagt Schwarz, „heute sind ringsherum fast alle Häuser so ausgestattet.“ Tschernobyl, Gorleben, zuletzt Fukushima – das alles habe bei vielen Spuren hinterlassen. „Ich hätte niemalsgedacht, dass wir mal zu den größten Ökostromanbietern Deutschlands gehören“, sagt Schwarz.

Auch Ursula Sladek will die Sache nicht zu pessimistischsehen. „Ich habe nicht dasGefühl, dass die Energiewende rückgängig gemacht wird“, sagt die Stromrebellin. Empörend findet sie jedoch die Befreiung energieintensiver Betriebe von der Umlage für die Förderung der Erneuerbaren Energien (EEG). „Da hat sich die Regierung zum Sprachrohr derGroßindustrie gemacht“, schimpft Sladek – und der kleine Stromnutzer zahle dieRechnung.

Im Grunde ist es wie eh und je in Schönau: Man ist isoliert, weit weg von den Zentralen der Macht. Rings herum lassen die europäischen Nachbarn ihre Meiler weiterlaufen. Fessenheim, das älteste französische Atomkraftwerk, liegt gerade mal 50 Kilometer entfernt. Machtlos fühlen sich die Stromrebellen deswegen nicht. Sie wollen weiter gegen alle Widerstände kämpfen – darin haben sie schließlich Übung.