Der Ratskeller wird zum Flohmarkt: Am Donnerstag, 11 Uhr, startet der Verkauf von Gastro-Inventar Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit einem Schnäppchen-Verkauf von Gastro-Inventar verabschiedet sich die Wirtsfamilie Brunner aus dem Ratskeller. Das Stuttgart-Album erinnert an die Historie des Ratskellers.

Stuttgart - Angeblich lag’s nicht am durstigen Stadtschultheiß Heinrich von Gauß und seinen trinkfreudigen Beamten, warum das alte Stuttgarter Rathaus im Jahr 1904 seinen Ratskeller bekam. Nein, offiziell sollte ein Weinkeller samt Gaststätte nur die „leidige Weinpanscherei“ stoppen, wie im Zeitungsarchiv nachzulesen ist. Lange bevor sich der Begriff Bio durchgesetzt hat, durften am Sitz der Stadtverwaltung nur „naturreine Weine und Biere“ ausgeschenkt werden – mit beachtlichem Erfolg: In den ersten vier Wochen, so ist’s überliefert, sind jeden Tag 4000 Viertele gebechert worden.

Der Durst scheint nachgelassen oder die Konkurrenz größer geworden zu sein: Für die Wirtsfamilie Brunner, die 1996 den historischen Keller übernahm, ist es im Lauf der Jahre immer schwerer geworden, genügend Gäste nach unten zu locken. Jetzt gibt’s erneut eine Zäsur in der über 100-jährigen Geschichte des Ratskellers. An diesem Donnerstag, 11 Uhr, beginnt, weil sich der Pächterfamilie verabschieden muss, der dreitägige Kehraus mit Schnäppchenverkauf.

Die Bewirtung vor dem Rathaus ist in diesem Sommer gesichert

Der Vertrag der Brunners wurde nicht verlängert. Die Stadt will nach dem Umbau gastronomisch neu starten, hat aber immer noch nicht entschieden, wer der neue Pächter wird. Bis Samstag wird der Ratskeller zum Flohmarkt. Verkauft werden Geschirr, Gläser, Besteck, Töpfe, Dekorationen sowie Küchengeräte. „Handeln ist erlaubt“, sagt die Chefin und Brunner-Tochter Birgit Grupp, die „mit Wehmut“ einen nicht immer einfachen Ort im Rathaus verlässt.

Zumindest mit dem Stadtbesen, dem Weinlokal mit kleiner Speisekarte im Durchgang vom Marktplatz zur abgerissenen Rathausgarage, darf sie bis Ende des Jahres weitermachen. Auf Druck der Öffentlichkeit bekam sie Ende Februar grünes Licht dafür. Von dort aus soll die Terrasse und das Café vor dem Rathaus in Kürze gastronomisch bespielt werden. Die neue Idee von Birgit Grupp: Auch im Bereich des Brunnens will sie Tische aufstellen, wie dies schon 1996 der Fall war. Wer gern auf dem Marktplatz draußen einen Kaffee trinkt, kann sich also freuen – es klappt in diesem Sommer!

Die letzten Stammtische, die sich im Ratskeller trafen, haben sich aufgelöst. Birgit Grupp will keinem ihrer Köche kündigen, sondern diese entweder mit ins Paulaner nehmen, das sie ebenfalls führt, oder in ein neues Lokal, das sie gerade sucht.

Im Oktober 2004 setzte es im Ratskeller bei der CDU legendäre Ohrfeigen

Zum Ratskeller gehören Siege und Niederlagen, wie sich am Beispiel der CDU zeigt, die hier bei Wahlpartys regelmäßig gefeiert oder getrauert hat. Legendär sind die Ohrfeigen vom 24. Oktober 2004. Staatsminister Christoph Palmer hatte dem Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer drei Watschen verpasst, weil dieser die Ablösung Erwin Teufels als Ministerpräsident gefordert hatte. Ein schlagfertiger Spitzenpolitiker, der zurücktreten musste, ist mit der Historie dieses Ortes verbunden, der allein schon deshalb ins Stadtmuseum gehört.

Im Krieg ist der Weinkeller, der über einen Aufzug direkt mit dem Sitzungssaal verbunden war, 1944 beim Brand des Rathauses zerstört worden. Erst 1956 konnte OB Arnulf Klett „die gute Stube“ seines Hauses wieder eröffnen. 1973 übernahm die legendäre Wirtin Maria Greiner das Regiment, ehe sie 1996 den Stab an die Brunners weitergab.

Wölfle rechnet mit einer Entscheidung über neue Pächter bis Pfingsten

Jetzt soll die „gute Stube“ fit gemacht werden für neue Zeiten. Wie ein moderner Ratskeller aussieht, ist noch immer unklar – und vor allem, wer die Kosten dafür übernimmt. Bürgermeister Werner Wölfle (Grüne) rechnet mit einer Entscheidung „bis Pfingsten“. Bewerber würde es in genügender Anzahl geben, sagte er am Mittwoch.

Kann der Durst im nächsten Jahr im Ratskeller wieder gestillt werden? Als besonders trinkfest gilt der einstige OB-Stellvertreter Josef Hirn (SPD). Bei der Neueröffnung 1956 notierte die „Stuttgarter Zeitung“: „Bürgermeister Hirn brachte es auf die beachtliche Leistung von fünf Achtele Rot und zwei Achtele Weiß.“ Das war einmal. So genau wird heute nicht mehr Buch geführt.