Foto: Benjamin Beytekin

Udo Jürgens gibt in der ausverkauften Schleyerhalle den großen Entertainer alter Schule.

Stuttgart - Wenn man Udo Jürgens fragt, warum er sich das alles in seinem Alter noch antue, dann wird er beinahe garstig. Warum denn nicht? fragt er zurück. Udo Jürgens ist, man muss es immer wieder sagen, 77 Jahre alt, nimmt Alben auf, geht einmal mehr auf Tour. Und: Er ist erfolgreicher als je zuvor. „So voll war die Schleyerhalle noch nie“, sagt er und lächelt. An so einem Konzertabend wie am Samstag in Stuttgart spult er nicht das Programm lieblos ab. Drei Stunden - Pause eingerechnet - singt, tanzt, spielt er sich durch sein Programm „Der ganz normale Wahnsinn“.

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Vier Konzerte hatte er zu Beginn der diesjährigen Tour wegen Grippe abgesagt. Jetzt aber ist er wieder hier, der Star in der Manege, topfit mit seiner juvenilen Gestik, sehr gut bei Stimme, leichtfüßig tänzelt er in Trippelschritten über die Bühne. Das ist einer, der weiß, was er will und kann. Vielleicht nicht mehr so viele Rosen in Zellophan, die er - der Robbie Williams der Ü-50-Generation - von seinen weiblichen Fans bekommt. „Entschuldigen Sie, ich habe hier eine größere Verabredung heute Abend“, sagt Jürgens charmant zu den Damen, die vor an die Bühne kommen. Dabei hat er das Orchester Pepe Lienhard, das zu Jürgens gehört wie „Griechischer Wein“. Jürgens sagt es nicht ohne Stolz, dass Orchesterchef Lienhard seit nunmehr 36 Jahren an seiner Seite ist.

Natürlich singt er die Klassiker, für die ihn sein Publikum liebt. Er singt aber auch die Lieder, für die man ihn schätzt. Chansons mehr, keine Schlager. Lieder, in denen es Gesellschaftskritik gibt. Zum Titelsong des Albums „Der ganz normale Wahnsinn“ werden Bilder von Christian Wulff, Amy Winehouse und Dieter Bohlen eingeblendet. Vielleicht klingen die neuen Lieder etwas pessimistischer, als die Jürgens‘ Klassiker, die im Formatradio laufen. Jürgens beweist: Er ist der Entertainer alter Schule, der ohne Choreographien, Pyroeffekte und Showeinlagen auskommt. Allein eine große Leinwand gibt es. Im Rücken hat er hervorragende Musiker, die mit diversen Soli glänzen dürfen. „Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient. Wer alles will, muss viel von sich geben. Wer nichts riskiert, hat sein Glück nur geliehn“, singt er da, immer hübsch mit Betonung auf dem „t“, was sich bei Worten wie „Spießigkeit“, „Zärtlichkeit“ oder „Sehnsucht“ besonders gut macht.

Jürgens singt über Facebook und das Dschungelcamp

Udo Jürgens‘ Lieder sind auch ein bisschen seine vertonte Biografie. Es ist die Geschichte von Udo Jürgen Bockelmann, der am 30. September 1934 in Klagenfurt geboren wurde, der als junger Musikstudent Duke Ellington, Count Basie oder auch Benny Goodman verehrt. Der 1966 mit „Merci Chérie“ den ersten Platz beim Grand Prix d‘Eurovision de la Chanson belegt. Der seit vielen Jahren mit Textern wie Michael Kunze und Wolfgang Hofer zuammenarbeitet, Superhits wie „Griechischer Wein“ schreibt und sich darin mit der Gastarbeiterproblematik der siebziger Jahre beschäftigt. 2012 verpasst er seinen Liedern ein Update, wenn er etwa über Facebook, das Dschungelcamp und den denglischen Sprachbrei singt.

Ein Udo-Jürgens-Konzert ist eine Zeitreise, die noch weiter zurück geht, als sein ganzes Leben. Die TV-Nation konnte seine Familiengeschichte in dem Zweiteiler „Der Mann mit dem Fagott“ anschauen. Heute gibt es eine Zusammenfassung der bedeutendsten Szenen. Jürgens und sein Orchester spielen die Musik dazu live. Einem seiner Idole - Frank Sinatra - zollt er in „Ich war noch niemals in New York“ Tribut, wenn er die Sänger „New York, New York“ anstimmen lässt. Man merkt, dass das die Musik ist, die ihn inspirierte. Gemeinsam mit dem Jazzchor „The Voices“ präsentiert er einen Mix aus „Flieg mit mir“ und „Come Fly With Me“.

Seine Lebensgeschichte ist eine Erfolgsgeschichte: Über 1000 Lieder hat er komponiert, mehr als fünfzig Alben veröffentlicht und über 100 Millionen Tonträger verkauft. Das Image des Schlagersängers steht ihm schon längst nicht mehr. Jürgens verkörpert den Traumtänzer, den gealterten Dandy, dem noch heute die Frauen zujubeln. Er ist aber auch ganz nah bei seinem Publikum. Er ist Projektionsfläche und Held, der von den Problemen des Alltags, vom Absturz und vom Ausbruch aus dem Alltag singen kann. Und man glaubt es ihm. Jürgens Lieder machen Mut, erzählen von Träumen, die man anpacken soll. Sie sind Epidosen, kurze Skizzen, in denen nicht beschönigt und kaum chiffriert wird. Ach, aber Pathos das darf schon sein. Da gibt es die volle Ladung, bevor die Schleyerhalle zur Partylokalität mutiert und die Fans von den Stühlen auf nach vorne springen.

"Ich brauche Sie mehr als Sie mich"

Ganz am Schluss – wie kann es anders sein – kommt er im Bademantel auf die Bühne. Er zieht ihn über, weil er eben zu ihm gehört. So wie die Schlagerliedchen wie „Aber bitte mit Sahne“, „17 Jahr, blondes Haar“ oder „Vielen Dank für die Blumen“, die es zumindest in der Kurzzusammenfassung eines Medleys gibt. Er schultert den Rosenberg, das rote Einstecktuch hat ein glücklicher Fan gefangen, geschätzte 40 Jahre jünger als der Star da oben.

Zu Beginn des Konzerts kam Jürgens‘ Stimme aus dem Off. Sie erzählte in „Noch drei Minuten“ von der Aufregung, die er empfindet, bevor sich der Vorhang hebt. „Vielen Dank Sie haben mir diesen Traum geschenkt“, sagt Jürgens so wie er‘s sagt, klingt es nicht wie eine Floskel. Und fügt an:„Ich brauche Sie mehr als Sie mich.“ Das Problem: Man glaubt es ihm.

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