Foto: dapd

Partystimmung deluxe: 3.500 Fans feiern mit Deichkind ausgelassen in der Schleyerhalle.

 Ein großer weißer Würfel aus Vorhangstoff ist die Bühne, grell und hektisch blitzen groteske Silhouetten darauf auf. Ein Technobeat. Und dann sind sie da: Menschen in verrückten Kostümen – eine Warnjacke als Sakko, ein Müllsack als Abendkleid. Und im Publikum sieht die Garderobe nicht anders aus: 3 500 ausgelassene Fans sind in die Hanns-Martin-Schleyer-Halle gekommen, an diesem Abend, um mit Deichkind zu feiern, wild und laut.

Dieses Publikum sticht die Band tatsächlich aus, so schräg und partyselig marschiert es auf: man sieht junge Menschen in Plastikkostümen, junge Frauen mit kunterbunten Neonringen um die Augen, ein Hase aus Pappmachee geht um. Schon vor der Halle herrscht an diesem Abend die Feierlaune, drinnen geht die Party weiter. Deichkind tragen schwarze und weiße Wollmützen und spucken ihre Refrains hinaus in die tobende Halle, während im weißen Quader das Stroboskop zuckt. Dann gleiten die Vorhänge zur Seite und die Party auf der Bühne geht erst richtig los.

Ständig geschieht etwas – ständig wechseln die Kostüme, ständig laufen Aktionen ab, denen jeder Sinn abgeht, ständig tun sechs Menschen die absurdesten Dinge. Man trägt Gelb im Gesicht und Grün in den Haaren, die Mütze eines Chefkochs, und fährt Rollstuhl. Wenn die Deichkindrapper die Hemden ausziehen, dann sieht das nicht wirklich schön aus – aber das macht nichts: Deichkind haben den Bierbauchschwabbel cool gemacht. Ihre Musik ist simpel, aber extrem gut tanzbar, die Texte sind renitent und oft intelligenter, als man zunächst denkt. „Diese Welt ist traurig, dreckig und laut“, wissen Deichkind – und auf dem Mond gibt es kein Leben. „Wir fahren mit der Luftbahn durch die Nacht, wo der Sternenhimmel für uns lacht, und alle Probleme dieser Erde liegen für uns in weiter Ferne“ – so geht ein anderes Lied, moderne Romantik zu überraschend eleganter Elektromusik.

Auf dieser Party werden Ängste, Sehnsüchte und Fatalitäten der Gegenwart verhandelt, in einer Ästhetik irgendwo zwischen Dada und einem italienischen SciFi-Trash-Film aus den 1970er Jahren. Und das macht unbändigen Spaß. „Bück dich hoch! Sonst wirst du ausgesiebt! Bück dich hoch! Mach dich beim Chef beliebt!“ – brüllen Deichkind. Aber von wegen „Arbeit nervt“: diese Band schiebt ihre Kulissen noch selbst auf der Bühne herum, da wird angepackt. Das könnten Schwaben sein. Aber sie kommen aus Hamburg. „Musik ist unsere Waffe“ heißt ein Slogan, und „Leider Geil“ – so heißt ein Hit.

Deichkind spielen mehr als anderthalb höchst abwechslungsreiche Stunden. Sie schleppen ein Solarium auf die Bühne, sie sehen aus, wie große Playmobil-Figuren, sie feiern die völlige Infantilität und sind doch kritisch. Irgendwann ziehen dann die weißen Vorhänge wieder auf, und ein paar Lieder später ist dann Schluss. Muss das wirklich sein? Deichkind kommen wieder, keine Frage - und die Party wird noch viel toller.

„Hol das Fass rein“ rappen die schrillen Helden - und so ist es: durch die Halle rollt ein Riesenfass, droben sitzt ein ganz Enthemmter. Natürlich ist der Song ein Loblied auf den Getränkekonsum. Aber ist nun Ironie oder nicht? „Liebe Freunde“, befehlen Deichkind, „begrüßt das Fass! Es ist an der Zeit, dass wir uns alle vor diesem Fass verbeugen! Geht alle auf die Knie!“ Dann hängt das Fass, plötzlich versilbert, über der Bühne, darauf steht eine Gestalt und singt, so scheint es, „The Power of Love“ von einer anderen Band, lange ist das her, während die Deichkinder in der Ecke liegen.

Aber noch immer geht es weiter: Frankie goes to Hollywood schweigen, der saugende, pumpende Elektrosound von 2012 ist zurück, die Musiker tragen wieder Hemden aus Silberfolie und spritzen mit Gartenschläuchen ins Publikum hinein. Und auch nach der ersten langen Zugabe geht noch etwas: „Remmidemmi“ heißt der Hit – Stagediving, der Sprung des Künstlers in Publikum, auf die ausgestreckten Arme der Fans – das war gestern. Bei Deichkind muss es schon ein Schlauchboot sein, das über die Köpfe hinwegschwebt. Drinnen ein Rapper, der wie von Sinnen in einer Wolke aus weißen Flocken um sich rudert. Auf der Bühne gibt es eine Hüpfburg, die tatsächlich hüpft – und die Fans tun das schon lange. „Geile Show!“, jubelt ein Mädchen und springt in die Luft.