Oskar Schlemmer in einem auf 1931 datierten Foto Foto: Staatsgalerie Stuttgart

2008 sagte der damalige Museumschef Sean Rainbird: „2014 feiert die Staatsgalerie Stuttgart die Wiedergeburt von Oskar Schlemmer auf der internationalen Kunstbühne.“ Von diesem Freitag an ist die Schau tatsächlich zu sehen – und die Erwartungen sind enorm.

Stuttgart - Vor 71 Jahren, am 13. April 1943, stirbt der Maler Oskar Schlemmer. Von den Nationalsozialisten verfemt und sich doch völlig sicher, dass es richtig und notwendig sei, „die Kunst nicht für eine Auswahl aus der Welt zu halten, sondern für deren restlose Verwandlung ins Herrliche hinein“. Mit diesem Rilke-Zitat schließen die Tagebucheintragungen Schlemmers am 1. April 1943. 1934 war Schlemmer in Hitler-Deutschland aus seinem Professorenamt in Berlin entlassen worden, 1937 waren fünf seiner Werke in der Münchner Schandausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt worden.

„Längst“, so schreibt Uwe M. Schneede, der langjährige Direktor der Hamburger Kunsthalle, 37 Jahre nach Schlemmers Tod im Jahr 1980 – anlässlich der Veröffentlichung von Karin von Maurs großer Oskar-Schlemmer-Biografie –, „würde uns Schlemmers Kunst nicht mehr interessieren, hätte er nicht auch gegen die Abgründe in sich selbst angemalt. Es ging darum, der als schlecht empfundenen Realität metaphorisch im Bild beizukommen, sie in Rückgriff und Vorschein aufzuheben.“

Die „als schlecht empfundene Realität“ lässt sich im Fall Oskar Schlemmer jedoch kaum mehr überhöhen. Streit zwischen den Erben und ein mehr als 30 Jahre währendes Ringen um Abbildungsrechte brachten Ausstellungsaktivitäten und Forschung nahezu zum Erliegen. Eine der zentralen Künstlerfiguren der europäischen Moderne verschwindet darüber regelrecht. Keine Ausstellung, kein Katalog entsteht bis Ende 2013 ohne Kontrolle und erhebliche Finanzforderungen – ein Weg, der nur einen Verlierer kannte: Oskar Schlemmer.

Im Jahr 2000 erreicht der alte Satz, Kunstgeschichte sei Kriminalgeschichte, im Fall Schlemmer seine bis dahin gültigen Höhepunkt. Erstmals meldet sich die Schlemmer-Enkelin Janine Schlemmer mit juristischem Beistand zu Wort und stellt die Vorwürfe und Forderungen der „ungeteilten Erbengemeinschaft“ des Ehepaars Oskar und Tut Schlemmer gegenüber Museen und Privatpersonen infrage. „Damit“, so kommentiert unsere Zeitung seinerzeit, „scheint auch der Weg für die Stuttgarter Staatsgalerie frei, das Verhältnis zu allen Schlemmer-Erben neu zu definieren.“.

Wörtlich hieß es in einem Schreiben des Rechtsanwalts von Janine Schlemmer: „Frau Ute Jaina Schlemmer und deren Sohn Raman Schlemmer sind nicht berechtigt, unsere Mandantin zu vertreten.“

Die Zäsur war nicht zu unterschätzen: Einzig die Tatsache, dass bis dahin vorbehaltlos der Enkel Raman Schlemmer, Sohn der in Stuttgart lebenden und im Februar 2010 gestorbenen Künstlertochter Jaina Schlemmer, als Sprecher der Erbengemeinschaft auftrat, führte in der Konsequenz der von Raman Schlemmer angestrengten juristischen Auseinandersetzungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Schlemmer-Rezeption.

Die Hoffnungen auf einen Neubeginn zerschlugen sich, und doch kämpfte Janine Schlemmer weiter. 1981 war ihre Mutter Karin Schlemmer gestorben, 1987 ihre Großmutter, Tut Schlemmer, Witwe Oskar Schlemmers. Dass Tut Schlemmers Tod alles veränderte, was mit dem Werk ihres Großvaters zu tun hatte, wurde ihr erst nach und nach klar. Es schien ja alles in guten Händen – jenen der Künstlertochter Jaina Schlemmer. Schon in den letzten Lebensjahren Tut Schlemmers aber war immer häufiger ein Name gefallen, mit dem man neue Töne in Zusammenhang mit Oskar Schlemmer wahrnahm. Jainas Sohn Raman sah sich aufgerufen, die Interessen der Familie wahrzunehmen.

Dass indes das Ringen um Abbildungsrechte – das auch unsere Zeitung seit Ende 1989 weitgehend auf Abbildungen von Schlemmer-Werken verzichten ließ – nur ein lauter Einstieg in ein inzwischen kaum mehr überschaubares Feld an Rechtsstreitigkeiten war, hatten selbst professionelle Skeptiker nicht geahnt. So zeigte etwa auch 2007 der Katalog zu einer Ausstellung mit Lackarbeiten im Kunstmuseum Stuttgart leere Seiten statt Abbildungen. Und bis zum letzten Tag vor der Eröffnung musste man damit rechnen, die gezeigten Schlemmer-Arbeiten verhüllen zu müssen.

Und doch blieb eine Hoffnung: die Zeit nach dem 70. Todestag Schlemmers, die Zeit nach dem Erlöschen des Urheberrechtes. Die wollte die Staatsgalerie Stuttgart, die in Karin von Maur über Jahrzehnte die hervorragendste Schlemmer-Kennerin in ihrem Wissenschaftlerstab wusste, unbedingt nutzen und streckte 2008 als erstes großes Museum den Ausstellungsfinger für 2014. Das Signal demonstrierte national wie international Handlungswillen.

Oskar Schlemmer? 1888 in Stuttgart geboren, wird er zum Schrittmacher der europäischen Moderne, als er nach dem Studium an der Stuttgarter Kunstakademie bei Adolf Hölzel 1920 von Walter Gropius an das Bauhaus in Weimar berufen wird. Für die Figur im Raum findet er Bildformen, die international verstanden werden. Seit Jahrzehnten präsentiert das Museum of Modern Art in New York voller Stolz Schlemmers 1932 entstandenes und 1933 noch (in einer von den Nationalsozialisten geschlossenen Schau) im Württembergischen Kunstverein präsentiertes Hauptwerk „Die Bauhaustreppe“. Dreimal wurde das Museum of Modern Art umgebaut, dreimal kehrte die „Bauhaustreppe“ von Oskar Schlemmer (1888 bis 1943) an ihren zentralen Platz im Treppenhaus zurück. „Es gibt nicht das Bauhaus“, sagte denn Wulf Herzogenrath, vormaliger Direktor der Kunsthalle Bremen, einmal zu Recht – „aber den Bauhaus-Künstler: Oskar Schlemmer“.

Weltweiter Beachtung dürfen sich auch die Figurinen des „Triadischen Balletts“ in der Staatsgalerie Stuttgart sicher sein. 1979 wurden sie durch den Galerieverein angekauft – und vor allem Zugriff gerettet. 42 Zeichnungen und drei Reliefs aber hat das Haus trotz seines jahrzehntelangen Engagements verloren. Noch mehr Verluste drohten 2008 und 2010. Nach einem gewonnenen Teilerbstreit wollte Janine Schlemmer die 127 in deutschen Museen als Familienbesitz erfassten Schlemmer-Werke im Kölner Auktionshaus Lempertz versteigern lassen – letztlich, wie sie stets betonte, um Raman Schlemmer, der Depots mit nicht erfassten Schlemmer-Werken angelegt haben soll, an den Verhandlungstisch zu bringen. Der in Italien lebende Raman Schlemmer aber schwieg und schweigt weiter. Warum? „Ich denke“, sagte Janine Schlemmer unserer Zeitung einmal, „er glaubt, dass er das Beste für das Werk von Oskar Schlemmer möchte und dieses Beste selbst leisten kann“.

Die von Janine angestrebte Versteigerung fand bis heute nicht statt, die 127 Arbeiten harren in einem Lempertz-Depot. Juristisch im Patt, kann keine der beiden Schlemmer-Erbseiten alleine über die Werke befinden.

„Die als schlecht empfundene Realität“ begleitet Oskar Schlemmer bis in die Gegenwart. Umso wichtiger ist die als Große Landesausstellung realisierte Schau „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“, die von diesem Freitag an bis zum 6. April 2015 in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen ist – und wie erhofft die „Bauhaustreppe“ aus New York mit den Figurinen des „Triadischen Balletts“ vereint. „Es ist ein Neubeginn“, freut sich Staatsgaleriedirektorin Christiane Lange. Und die für die Schlemmer -Schau der Staatsgalerie verantwortliche Ina Conzen ist „einfach nur glücklich“.

Einen Namen sucht man vergeblich unter den Leihgebern: Raman Schlemmer .