Ina Conzen im Depot der Staatsgalerie Stuttgart mit Werken von Oskar Schlemmer – aktuell laufen die Vorbereitungen für die Große Foto: dpa

Endlich frei. Bei kaum einem anderen deutschen Künstler war das Ende der Urheberrechte so wichtig wie bei Oskar Schlemmer. 70 Jahre nach dem Tod des Bauhaus-Stars arbeitet die Staatsgalerie Stuttgart an einer Retrospektive.

Endlich frei. Bei kaum einem anderen deutschen Künstler war das Ende der Urheberrechte so wichtig wie bei Oskar Schlemmer. 70 Jahre nach dem Tod des Bauhaus-Stars arbeitet die Staatsgalerie Stuttgart an einer Retrospektive.

Stuttgart - Das Bilderverbot ist vorbei. Für die Würdigung des Bauhaus-Stars Oskar Schlemmer (1888–1943) ist eine neue Ära angebrochen. Mit dem Auslaufen der Urheberrechte 70 Jahre nach seinem Tod entsteht an der Stuttgarter Staatsgalerie die erste große Werkschau in Deutschland seit fast 40 Jahren. „Es ist an der Zeit, diesen Künstler zu würdigen“, sagt Kuratorin Ina Conzen. Ein bisweilen bizarrer Erbstreit machte dies über Jahrzehnte so gut wie unmöglich.

„Sein Werk kommt zu kurz“, ist Conzen überzeugt. Schließlich sei der Stuttgarter ein bedeutender Vertreter der Klassischen Moderne, gelte in Fachkreisen als vielseitiger Erneuerer der Kunst. Seine „Visionen einer neuen Welt“ in Malerei, Skulptur und Bühnenkunst sind ab 21. November zu sehen – rund 250 Gemälde, Skulpturen, grafische Arbeiten und Originalkostüme sowie teils unveröffentlichte Dokumente.

Seit zwei Jahren laufen die Arbeiten am Comeback Schlemmers. In den Katakomben der Staatsgalerie schaffen jetzt noch die Restauratorinnen Lina Wällstedt und Catrin Schuster. Falte für Falte friemeln sie mit viel Akribie, zum Teil mit Zahnarztbesteck, das gelbliche Transparentpapier mit der feinen Pastellzeichnung auseinander. Schlemmers gut 230 mal 150 Zentimeter große Vorzeichnung für den „Folkwang-Zyklus: Treppenszene mit fünf Jünglingsfiguren“ bekommt auch ein neues Passepartout.

Viele Schlemmer-Werke stammen aus der Staatsgalerie

Fragil seien viele Schlemmer-Werke, sagt Conzen. Manche Grundierung sei nicht gut, vermutlich auch, weil Schlemmer und sein Bruder einst sehr viel experimentiert haben. Rund die Hälfte der Arbeiten, die gezeigt werden sollen, stammen aus der Staatsgalerie, die neben 45 Gemälden und Skulpturen sowie mehr als 250 grafischen Arbeiten auch das Schlemmer-Archiv mit zahlreichen Dokumenten beheimatet. Die andere Hälfte wird teils aus Übersee herangeschafft – trotz der üblichen Bedenken anderer Häuser, was den Transport angeht.

Schlemmer gilt als einer der vielseitigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, seine Werke erzielten bei Auktionen von Doyle oder Sotheby’s Millionensummen. Er arbeitete nicht nur als Maler und Bildhauer, sondern auch als Bühnengestalter und Choreograf („Das Triadische Ballett“). Seine Werke wurden auch bei den ersten drei Weltkunstausstellungen Documenta in Kassel gezeigt. Aus New York könnte auch Schlemmers wohl berühmtestes Werk eingeflogen werden – „Die Bauhaustreppe“ aus dem Museum of Modern Art. Entsprechende Gespräche liefen, sagt Conzen.

Das Gemälde von 1932 stand auch einmal im Mittelpunkt des Erbenstreits. Man wollte es bei einer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin konfiszieren lassen – doch da war es schon auf dem Rückweg.

Um Schlemmers Nachlass gab es seit Jahrzehnten Streit und juristische Scharmützel unter seinen Erben. Ausstellungen konnten nicht realisiert werden, Kataloge erschienen mit leeren Seiten, Hauptwerke konnten über Jahrzehnte nicht aufgeführt werden, Eigentümer von Werken mussten sich vor Gericht verantworten. Wissenschaftler, Museen und Sammler zuckten beim Namen Schlemmer zurück.

Schlemmer war immer der Meinung: Ein Künstler muss unpolitisch sein

Das könnte sich jetzt ändern. Conzen etwa hat viel Neues bei Schlemmer entdeckt: „Es hat mich schon erstaunt, wie viel er über seine Kunst geschrieben hat – in dieser Tiefe und Kontinuität.“ Sein Archiv enthalte Hunderte von Aufsätzen über die Entstehung seiner Werke und Briefe. Darunter einer an den Hitler-Vertrauten Joseph Goebbels, in dem sich Oskar Schlemmer beschwert, dass seine Arbeiten von den Nazis als „entartet“ eingestuft wurden. Ihn bezeichneten sie als „Kulturbolschewisten“.

„Schlemmer war immer der Meinung: Ein Künstler muss unpolitisch sein“, sagt Conzen. Er habe sich ganz als deutscher Künstler gesehen, sich von den NS-Ideologen nicht verstanden gefühlt. „Es ging ihm stets um seine Idealvorstellung vom neuen Menschen, einer neuen Kunst, einer neuen Welt.“ Schlemmers Auffassung vom Menschen als „Maß aller Dinge“ sei auch am Bauhaus einzigartig gewesen.

Schlemmers erste große Werkschau in Stuttgart wurde 1933 von den Nazis noch vor der Eröffnung geschlossen. Eine Neuauflage 1977 – für die Staatsgalerie erarbeitet von Karin von Maur – blieb für 37 Jahre die einzige umfassende Würdigung des vielseitigen Bauhäuslers. Der Gesamtetat der neuen Oskar-Schlemmer-Schau liegt laut Staatsgalerie bei 1,2 Millionen Euro, das Land steuert nach eigenen Angaben 775 000 Euro zu der Großen Landesausstellung bei. (dpa)

www.staatsgalerie.de