Der Speidelweg windet sich zwischen Neckartal und Filderebene. Foto: LG/Max Kovalenko

Um Verbote für den Speidelweg kümmert sich niemand – trotz eines tödlichen Unfalls im vergangenen Herbst. Eigentlich dürften dort nur Autos mit bis zu zwei Metern Breite entlangfahren, doch täglich zeigt sich ein anderes Bild.

S-Ost - Stammfahrer fürchten den schwarzen Audi. Allabendlich im Feierabendverkehr setzt dessen Fahrer seine eigene Verkehrsregel in Kraft: Vorfahrt hat er. Mittels Lichtblitzen aus seinen Scheinwerfern versucht der Audi-Fahrer, den Gegenverkehr an den Straßenrand zu zwingen. Wer der Lichthupe nicht gehorcht, den Audi gar zum Stoppen zwingt, wird beleidigt und bedroht.

Außerhalb der Berufsverkehrszeiten ist der Speidelweg ein Relikt der Zeit, in der automobile Fortbewegung noch mit Lustbarkeit verknüpft war, nicht mit Feinstaubwerten. Das Asphaltband windet sich zwischen Rohracker und dem Frauenkopf durch die Weinberge. Es ist nicht nur die kürzeste, es ist auch die schönste Verbindung zwischen Neckartal und Filderebene.

Die Abkürzung lockt nicht nur Stuttgarter Autofahrer

Sie lädt ein anzuhalten, den Blick übers Tal schweifen zu lassen oder per Schnappschuss festzuhalten, dass hier am Hang in der Großstadt Schafe grasen – wenn es so einfach wäre, zu halten. Der Speidelweg ist zu schmal, damit zwei Autos aneinander vorbeimanövrieren könnten, es sei denn an einer der Buchten, die etwa alle 100 Meter die Straße erweitern. Deshalb ist die Fahrt für Autos über zwei Meter Breite verboten. Aber darum schert sich niemand. Knapp 300 Autofahrer, gezählt an einem gewöhnlichen Dienstag, entscheiden sich zwischen 17 und 18 Uhr für die Abkürzung über den Speidelweg. Etwa ein Drittel der Kennzeichen ist nicht aus Stuttgart. Esslingen und Waiblingen sind reichlich vertreten, aber auch München und die Schweiz.

Mindestens jedes vierte ihrer Gefährte ist zweifelsfrei breiter als zwei Meter. Was wenig verwundert. So gut wie jeder Mittelklassewagen durchbricht diese Grenze. Elf Transporter passieren das Verbotsschild, zwei Laster, einer mit Hänger. Der Beweis, dass ihnen kein Ungemach droht, rollt ebenfalls vorbei: eine Streifenwagenbesatzung im Mercedes-Kombi.

Im Oktober 2004 schon wollte die Stadt den steten Gesetzesbruch beenden. Der Weg sollte die eine Hälfte des Tages nur bergauf befahrbar sein, die andere nur bergab. Die Anwohner protestierten, im Tal wie auf dem Berg. Sie wollten ihre kürzeste Verbindung allzeit befahren. Die Idee, nur Anwohnern die Fahrt zu erlauben, scheiterte ebenfalls. In grauer Behördenvorzeit ist das schmale Asphaltband zur „Gemeindeverbindungsstraße“ erklärt worden. Die muss per Gesetz für jedermann befahrbar sein. So unsinnig dieser Erlass inzwischen wirkt, er gilt noch immer.

Diese Verstöße kosteten bereits ein Menschenleben

Der 1. Oktober 2014 war ein Mittwoch. An ihm starb um 15.17 Uhr ein 44 Jahre alter Motorrollerfahrer auf eine Art, die sich mindestens empfindsame Gemüter nicht vorstellen mögen. Er starb in einer jener Haltebuchten. Ein Schwerlaster, Gewicht 26 Tonnen, zermalmte erst den Vorderbau des Rollers, dann den Körper des Fahrers, im Rückwärtsgang. Den hatte der Lastwagenfahrer eingelegt, um sein Gefährt so weit an den Straßenrand zu manövrieren, dass der Gegenverkehr sich vorbeipressen kann. Selbstverständlich war er verbotenerweise auf der Strecke unterwegs.

Seither sind die Anwohner empfindlich, wenn sie Schwertransporter in Richtung Speidelweg rollen sehen – noch empfindlicher als zuvor. Ein Ärgernis waren ihnen die Lastwagenfahrer schon immer, die sich um das Verbot nicht scheren, immer mal wieder sogar Autofahrern gebieten, sie sollen gefälligst zurückstoßen, um den illegalen Weg freizumachen. Wenn die Fälle sich häufen, fordern die Betreiber der Internetseite speidelweg.de dazu auf, bei solchen Gelegenheiten zu fotografieren und die Fahrer bei der Polizei anzuzeigen.

Tägliche Verstöße und doch zu wenige Kontrollen

Bei der ist der Missstand selbstredend bekannt, nicht nur, was den Speidelweg betrifft. „Die Leute scheren sich oft nicht um ein Verbot, wenn es einen Schleichweg gibt“, sagt der Pressesprecher Peter Sitzler. Allerdings registrierten die zuständigen Reviere derzeit keine ungewöhnlich hohe Zahl vor Beschwerden über verbotene Fahrten zwischen Rohracker und Frauenkopf. Die Polizei „kontrolliert im Rahmen der personellen Möglichkeiten“, sagt Sitzler und empfiehlt einen zusätzlichen Anruf bei der Stadt. Die kontrolliere ebenfalls.

Der Anruf scheint allerdings unnötig, denn die Statistik aus jahrelanger, nahezu täglicher Erfahrung ist eindeutig: um die 2000 Fahrten, null Kontrollen.