Kirchentag sucht Unterkünfte für Besucher Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, ist begeistert: „Wir freuen uns sehr, wenn Gäste des Kirchentags bei muslimischen Gastgebern unterkommen.“

Stuttgart - Seit dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ wurde deutlich: Die Integration der Muslime ist in Frankreich gescheitert. Jene, die dort in den Banlieues, den Vororten, leben, fühlen sich eher geduldet. Nicht als Teil der Gesellschaft. In Stuttgart ist das anders, wie auch die „Mittendrin“-Veranstaltung der Stuttgarter Nachrichten zeigte. Unter den meisten Muslimen der Stadtgesellschaft herrscht ein großer Wunsch nach Zugehörigkeit.

„Die Integration haben wir eigentlich hinter uns“, sagte Erdìnç Altuntas von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) im Land, „jetzt geht es um Partizipation.“ Also um Teilhabe. Damit verbunden ist auch der Wunsch nach einer repräsentativen Moschee in der Stadt. Aber es geht letztlich um mehr. Wer teilhaben oder teilnehmen will, muss sich auch einbringen. Er muss geben. Das wissen die Stuttgarter Glaubensbrüder. Daher machten sie am Montagabend dem evangelischen Stadtdekan Sören Schwesig ein überraschendes Angebot: Muslime der Stadt wollen auch ihr Gräbele für Besucher des Deutschen Evangelischen Kirchentags (3. bis 7. Juni) zur Verfügung stellen.

Die Bettenkampagne des 35. Kirchentags steht unter dem Motto „Gräbele g’sucht!“. Dabei werden etwa 10 000 Schlafplätze in Privathaushalten für Kirchentagsbesucher gesucht.

Einigen davon will nun Kamal Ahmad, der Sprecher der Ahmadiyya Muslim Jamaat Stuttgart, das Gräbele, also den Spalt zwischen zwei Matratzen in einem Doppelbett, Christen anbieten: „So etwas ist doch selbstverständlich. Denn die Gastfreundschaft hat im Islam einen hohen Stellenwert. Sie gilt unabhängig von der jeweiligen Religionszugehörigkeit eines Gastes.“ Weiter sagte er: „Beide Religionen haben mehr Verbindendes als Trennendes. Wir haben viele gemeinsame Werte.“

Dies unterstrich Erdìnç Altuntas von der Ditib ohne Einschränkung: „Auch wir werden Gäste einladen und beherbergen.“ Beide ergänzten, dass Muslime beim Kirchentag in Hamburg 2013 bereits eine Moschee als Herberge für Christen zur Verfügung gestellt haben. In Hamburg hatte die Bettenkampagne das Motto „Koje frei?“.

Schon damals freute sich Ellen Ueberschär über die Geste der Hamburger Muslime. „Wir wissen, dass dies auch in der Vergangenheit gute Tradition war. Wir freuen uns auch jetzt sehr, wenn Gäste des Kirchentags bei muslimischen Gastgebern unterkommen“, sagte sie zu dem aktuellen Angebot und ergänzte: „Stuttgart ist eben eine weltoffene Stadt. Und genau darum geht es bei der Privatquartiersuche: um Offenheit, Herzlichkeit und Gastfreundschaft.“

Erwartungen an konkrete Zahlen und Bettenplätze hat sie nicht. Sie nimmt das Angebot von Kamal Ahmad, die Moscheeräume in Bad Cannstatt während des Kirchentags zur Verfügung zu stellen, gerne an.

Für Stadtdekan Schwesig ist die Geste der Muslime ebenso willkommen. „Kirchentage stehen ja in der Tradition, dass sie den interreligiösen Dialog pflegen. Das wird auch in diesem Jahr zwischen Muslimen und Christen stattfinden.“ Das Angebot der muslimischen Gräbele könne diesen „wichtigen gegenseitigen Lernprozess“ fördern.

Wenn Muslime ihren christlichen Mitbürgern ein Zuhause auf Zeit anböten, könnte in dieser Woche etwas Entscheidendes passieren: In dieser Zeit sprechen Menschen unterschiedlicher Religionen miteinander – nicht übereinander. Genau das ist Schwesig wichtig: die direkte Auseinandersetzung, in der aber auch Grenzlinien gezogen werden: „Es ist ganz wichtig, dass in diesen Dialogen kein Mischmasch entsteht. Es muss deutlich werden, dass man zwar anders glaubt, aber dennoch viel voneinander hören will. Darauf freue ich mich.“