Die Kulisse der nächtlichen Schießerei: Auf dem Karl-Benz-Platz am Untertürkheimer Bahnhof ging ein Mann mit Pistole auf eine Polizeistreife los Foto: 7aktuell.de/Adomat

Offenbar wollte er erschossen werden: Mit einer täuschend echt aussehenden Druckluftwaffe lieferte sich ein Stuttgarter am frühen Mittwochmorgen mit der Polizei ein Feuergefecht. Der 34-Jährige überlebt schwer verletzt.

Stuttgart - Genau 48 Stunden vor dem blutigen Zwischenfall am Untertürkheimer Bahnhof wechselt ein 34-Jähriger sein Profilbild im sozialen Netzwerk: Mit Kampfanzug in Tarnmuster lächelt er in die Kamera. Die Freunde nehmen das nicht weiter ernst: Terrorist, kommentiert einer ironisch. Das Foto sei bestimmt in der Ukraine gemacht worden. Ich will auch mit, kommentiert ein anderer. Alles nur Spaß?

Doch der 34-Jährige hat nichts mit der Ukraine im Sinn – seinen Kampf lässt er in Untertürkheim stattfinden. Am Mittwoch um 3.17 Uhr greift er zum Mobiltelefon und ruft die Notrufnummer 110 an. „Er kündigte einen Amoklauf an“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach, „und erklärte, dass er den Nächstbesten umlegen wird.“ Zwei Streifenwagenbesatzungen rücken nach Untertürkheim aus. Die erste Streife trifft wenige Minuten später am Karl-Benz-Platz ein.

Dort kommt es nach Angaben der Polizei sofort zum Duell. Der Mann trägt eine silberne Schusswaffe, bedroht die Beamten und lässt sich auch durch Zurufe nicht stoppen. „Das ist eine seelische Ausnahmesituation, wenn da einer bewaffnet auf einen losgeht“, sagt Keilbach. In dieser Lage sei es das wichtigste Ziel, das Gegenüber zu stoppen und dafür zu sorgen, dass kein anderer gefährdet oder gar verletzt wird.

Die beiden Polizisten eröffnen das Feuer. Es handelt sich um zwei 25 und 35 Jahre alte Beamte des Reviers Ostendstraße – jene Dienststelle, die bereits im November 2013 in eine ähnliche Schießerei verwickelt worden war. Damals hatte es ein 36-Jähriger im Stuttgarter Osten auf einen Todesschuss aus einer Polizeiwaffe angelegt und war dabei ums Leben gekommen.

Der 34-Jährige schießt offenbar ebenfalls – später werden jedenfalls Kügelchen seiner Druckluftwaffe (Softair) auf dem Boden gefunden. Eine Polizeikugel trifft den Mann in den Bauch. Das Projektil durchschlägt den Körper und verletzt ihn schwer. Der 34-Jährige wird von einem Notarzt behandelt und in einem Krankenhaus operiert. Von dort kommt die Nachricht, dass er außer Lebensgefahr ist. Das war offenbar nicht in seinem Sinne: „Was er im Rettungswagen geäußert hat, lässt darauf schließen, dass er sich mit dieser Aktion das Leben nehmen wollte“, sagt Polizeisprecher Keilbach.

Ähnlich wie bei dem Fall am 12. November 2013 in der Landhausstraße im Osten, als ein 36-Jähriger nachts mit einer Schreckschusswaffe auf Polizisten feuerte und durch den Schuss aus einer Dienstwaffe tödlich getroffen wurde. Suicide by Cops wird dies im Fachjargon genannt, die indirekte Selbsttötung durch die Polizei. Erst vor wenigen Wochen wurde das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung im Amt gegen einen 48-jährigen Polizisten des Reviers Ostendstraße eingestellt.

Die Waffe des 34-Jährigen sieht einer großkalibrigen Pistole täuschend ähnlich. Die Taurus PT 92 AF ist kostengünstig zu erwerben – die einfachsten Versionen schon ab 30 Euro. Der Besitz ist nicht strafbar – wohl aber ist das Zeigen oder Verwenden in der Öffentlichkeit ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Die silberne Waffe mit schwarzem Griff ist von einer scharfen Schusswaffe aus der Entfernung nicht zu unterscheiden. Vor allem nicht bei Dunkelheit frühmorgens um halb vier.

Das Motiv des 34-Jährigen ist derweil unklar. Der Mann ist gebürtiger Stuttgarter, hatte dort ständige Wohnsitzwechsel, mit Lebensmittelpunkt in Möhringen und wohnte zuletzt beim Ölhafen in Untertürkheim. Für die Polizei ist er kein Unbekannter – meist wegen Körperverletzungsdelikten, wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, wegen Drogenkonsums, aber auch wegen Missbrauchs von Notrufen. Nicht ausgeschlossen, dass womöglich psychische Probleme eine Rolle gespielt haben.

Offen ist auch, welche strafrechtlichen Folgen der Zwischenfall am Untertürkheimer Bahnhof haben wird. „Sobald eine Polizeiwaffe benutzt wird, geht der Fall an uns zur Überprüfung“, sagt Staatsanwalts-Sprecherin Claudia Krauth. Den Beamten könnte ein Verfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung drohen. Sie dürften sich aber auf Notwehr berufen können.

Der 34-jährige Möhringer dürfte sich allenfalls der Bedrohung strafbar gemacht haben – Paragraf 241 Strafgesetzbuch. Wer einen Menschen mit der Begehung eines Verbrechens bedroht, wird dabei aber nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft – oder muss eine Geldstrafe zahlen.