Katja Bürkle als Hamlet Foto: Thomas Aurin

Wie im Fußball steht auch in den renommierten Theatern zum Saisonende stets die Frage im Raum, wer wechselt wohin. Katja Bürkle kehrt fast zehn Jahre enttäuscht den Münchner Kammerspielen den Rücken, und wechselt auf die andere Straßenseite zur Konkurrenz, dem Residenztheater München.

Stuttgart - Kürzlich hat sich Katja Bürkle (39) mit Containern beschäftigt. Also mit solchen, die man auf Schiffe verlädt – oder auf einem Firmengelände parkt. Normalerweise packt man Waren hinein, Säcke voller Reis zum Beispiel. Oder eben das Bühnenbild von Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“. 2008, noch unter der Intendanz von Frank Baumbauer, des Vorvorgängers des jetzigen Kammerspiele-Intendanten, hatte Jossi Wieler das Stück der österreichischen Nobelpreisträgerin uraufgeführt. Eine große Inszenierung über ein NS-Massaker im burgenländischen Rechnitz. SS-Männer ermordeten 200 jüdische Zwangsarbeiter. Das Stück erhielt den Mülheimer Dramatikerpreis, wurde auf zahlreiche Gastspiele eingeladen. Es war auch eine der ersten großen Rollen, die Katja Bürkle nach ihrem Wechsel von Stuttgart nach München gespielt hatte. Und weil Theater zwar eine Zeitkunst ist, manche Inszenierungen aber eben dennoch die Tagesaktualität überdauern, kam die Schauspielerin irgendwann auf die Idee mit dem Container, um das Stück zu retten.

„Angesichts der momentanen Geisteslage dieser Welt ist es ein Abend von ungeheurer Brisanz, Dringlichkeit und Wichtigkeit“, sagt Katja Bürkle. „Leider teilt die amtierende Leitung der Kammerspiele diese Einschätzung nicht.“ Die Kammerspiele, inzwischen von Matthias Lilienthal geleitet, teilten im September 2016 mit, es drohe die „Verschrottung der Dekoration“, die Arbeit sei abgespielt, und das Bühnenbild würde demnächst zur Verschrottung freigegeben. „Alle Beteiligten wollten aber weiterspielen. Die Bühnenbildnerin Anja Rabes und ich überlegten, wie wir Rechnitz retten könnten“,sagt Katja Bürkle. „Die Leitung im Haus signalisierte mir, dass sie das Bühnenbild nicht entsorgen würden, wenn ich einen Ort finde, um es zwischenzulagern.“ „Die technische Direktion räumte uns eine verlängerte Frist ein, um Optionen zu prüfen, die Dekoration unabhängig von den Kammerspielen zu lagern.“

Rettung von Jossi Wielers Inszenierung „Rechnitz“

Katja Bürkle, schon in Stuttgart als Ensemblesprecherin eine engagierte Künstlerin, recherchierte. 2700 Euro hätte ein Container gekostet, inklusive Verladung auf einen Sattelzug und Transport bis nach Fellbach bei Stuttgart. Das Geld auszugeben, war am Ende nicht nötig, denn nicht nur die Schauspieler schätzen Jossi Wielers Inszenierung. „Ich hatte eine Mail mit der Bitte um Unterstützung an den Freundeskreis der Kammerspiele geschickt“, sagt Bürkle. „ein Mitglied des Freundeskreises, ein Architekt, bot uns an, die Dekoration abzuholen und professionell einzulagern – und alles gratis.“

Da liegt es nun, das Bühnenbild, im Containerlager in München, ein Spieltermin ist vorläufig nicht in Sicht. Im Sommer 2017 sollte „Rechnitz“ auf Reisen gehen – nach Stuttgart ans Schauspielhaus, Katja Bürkles früherer Wirkungsstätte. Was auch deshalb Charme gehabt hätte, weil Regisseur Jossi Wieler nebenan in der Oper noch Intendant ist. Andere Gastspiele kamen dazwischen, Terminschwierigkeiten – es galt ja nicht nur Tage im Haus zu finden, sondern auch noch fünf an inzwischen anderen Häusern oder frei arbeitende Schauspieler Hildegard Schmahl, Hans Kremer, André Jung und Steven Scharf zusammenzubringen. „Wir wäre alle am Start gewesen, und nicht nur deshalb geben wir die Hoffnung nicht auf“, sagt Katja Bürkle.

Kritik an „Pseudocoolness und Arroganz“

Von den Schauspielern, die damals in München engagiert waren, ist nur noch Katja Bürkle im Ensemble. Seit Matthias Lilienthal das Haus leitet, hat sich das Ensemble, das als eines, wenn nicht als das beste Ensemble überhaupt galt, zerstreut. Hervorragende, vielleicht auch deshalb fordernde Schauspielerinnen unbedingt zu halten – wie André Jung oder Sandra Hüller – ist dem aktuellen Intendanten zumindest nicht gelungen. Nun, im dritten Intendanzjahr, haben noch einmal einige Schauspieler das Ensemble verlassen, weil sie sich künstlerisch nicht mehr ausreichend gefordert und gefördert sahen, darunter auch – mit einigem medialen Nachhall – Publikumslieblinge wie Brigitte Hobmeier. Viele von ihnen arbeiten künftig frei oder wechseln auf die andere Straßenseite ans Staatsschauspiel von Martin Kusej. Auslastungszahlen sprechen auch eine Sprache, an den Kammerspielen, die nun all ihre überregional gefeierten Schauspieler verloren haben, beträgt die Auslastung 64 Prozent, an Kusejs Staatsschauspiel 84 Prozent. Auch Katja Bürkle wird die Kammerspiele verlassen. Aber nicht wegen der „Rechnitz“-Sache. Es ist komplizierter, hat aber auch mit Koordination und Kommunikation zu tun. „Der Betrieb hinter den Kulissen“, sagt Katja Bürkle, „diese Pseudo-Coolness, die dann meist in Arroganz mündet, all das ist sehr ermüdend.“

Als die Diskussionen über die Kammerspiele hektisch im Gange waren, weil namhafte Schauspieler sich über schlechte Behandlung beklagten und das Haus verließen, wollte sich Katja Bürkle nicht äußern. „In der damaligen Situation mochte ich mich nicht einreihen in die medial ausgetragene, sehr unscharf geführte Debatte um Performance versus Schauspiel.“ Es wurde viel geredet, auch viel Unsinn. Das Problem, sagt Katja Bürkle nun, einige Monate später, bei einem Kaffee an einem Mittag in der Goldenen Bar des Hauses der Kunst in München, sei nicht, dass es in den Kammerspielen zu viele Performances gibt. „Qualität ist das Thema.“ Und die müsse man suchen, egal ob es eine Stückentwicklung ist, eine Performance, ein Film oder ein Bühnenklassiker. „Um Qualitätsarbeit zu liefern, müssen entsprechende Bedingungen geschaffen werden.“ Ausreichende Probenzeiten, Kommunikation, das Gespräch als fundamentale Grundlage von Zusammenarbeit. Und nicht Entscheidungsfindungen, die über Nacht über die Köpfe der Künstler hinweg geführt werden.

Mehr Zeit für Filme und Karl Moor in Schillers „Räubern“

Wertschätzung, Achtung, ein stilvoller Umgang miteinander äußert sich auch in kleinen Gesten. Es ist wie in der Liebe, eine Beziehung scheitert selten aus einem einzigen Grund. Für Katja Bürkle jedenfalls war nach zehn Jahren an den Kammerspielen und nach der Produktion „Plattform/Unterwerfung“ endgültig die Zeit zu gehen, die Zeit etwas zu verändern. Julien Gosselin hätte den Houellebecq-Text inszenieren sollen, schmiss aber hin. Man habe von ihm verlangt, „eine Botschaft rüberzubringen“, erklärte er den Schauspielern zum Abschied, auch habe er vermisst, dass die Theaterleitung ihm Gehör schenkt, er habe auch nicht die Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, die er für seine Art zu proben brauche.

Auch die Art und Weise, wie es letztlich zur Aufgabe dieser Produktion gekommen sei, habe sie darin bestärkt, eigene Wege zu gehen, sagt Katja Bürkle. „Ich hatte glückhafterweise schon viele besondere Begegnungen mit vielen sehr unterschiedlich arbeitenden Künstlern. Ich weiß, wie weit man kommen kann, inhaltlich wie ästhetisch, das will ich nicht missen. Schlampigkeit ist nicht meine Sache. Wenn ich etwas mache, dann richtig. Mit Menschen, denen ich vertraue und die ich respektiere.“

Mehr Zeit ist nun für Arbeiten in anderen Zusammenhängen. „Meine Agentin hat sich gefreut“, sagt sie mit einem Lächeln. Oft genug musste sie Angebote ablehnen. Filme wie aktuell im Kino zu sehen „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ kann sie dann drehen oder wie demnächst an acht Drehtagen für den Fernsehkrimi „Der Kriminalist“ vor der Kamera stehen. Sie muss sich nicht nach Probenzeiten und Besetzungsplänen richten. Jetzt kann sie „gerne mehr drehen.“ Außer sie unterrichtet gerade Schauspiel wie unter anderem am Mozarteum in Salzburg oder spielt selbst. Martin Sperrs „Jagdszenen aus Niederbayern“ zum Beispiel. Martin Kusej hatte das Stück für die Kammerspiele inszeniert, zeigt es nun an seinem eigenen Haus, im Residenztheater des Bayrischen Staatstheaters München.

Herausragender „Hamlet“

Der Intendant konnte Katja Bürkle außerdem gewinnen, Karl Moor in Ulrich Rasches zum Theatertreffen eingeladener Inszenierung von Schillers „Räubern“ zu übernehmen. Katja Bürkle gehört längst zu den Schauspielern, deren Namen auch ein Ensemble wie das renommierte Bayrisches Staatstheater schmücken, weil es auch Theaterleiter gibt, die wissen, Menschen gehen nicht wegen irgendwelcher Konzepte ins Theater, sondern der Künstler wegen. Man will eben Edgar Selge im Schauspielhaus Stuttgart sehen oder Nina Hoss an der Schaubühne Berlin, Jens Harzer am Thalia Theater Hamburg. Diese Schauspieler sind zwar Ensemblemtglieder, aber mit Verträgen, die ihnen Arbeiten für den Film ermöglichen. Wie klug es ist, auf gute Schauspieler zu setzen, sieht man zum Beispiel wenige Stunden nach dem Gespräch mit der Schauspielerin im Saal der Münchner Kammerspiele. Shakespeares „Hamlet“, drei Schauspieler stemmen den Abend. Katja Bürkle ist überragend. Gespannt wie eine stramm aufgezogene Feder marschiert sie, eimerweise Blut auf den vergitterten Boden schüttend. Eisiger Blick. Man würde sich ihr nicht in den Weg stellen wollen. In der Szene, in der ihr Hamlet den toten Vater sieht, starrt sie in den Nebel, spielt die Szene ganz ohne das übliche verwunderte Staunen ob der Erscheinung eines Geistes, und man meint selbst schier den Alten zu sehen, so resolut spricht Katja Bürkle diesen Monolog. Herzergreifend? Kann sie auch immer noch sein, wie vor Jahren in der Stuttgarter „Penthesilea“ von Kleist, wo sie und Felix Goeser sich in Hassliebe ineinander verbissen. Als Bürkles Hamlet seine Ophelia (Nils Kahnwald) zurückstößt, sitzt Kahnwald mit bejammernswertem Blick, schweigend da, machtlos gegen das furiose Rasen von der zierlichen Person, die sich in eine Hysterie hineinschraubt. „Verschwinde!“, „Geh ins Kloster!“: Katja Bürkle schreit sich dergestalt ihre Liebe aus dem Leib, dass man kaum zu atmen wagt. Ein Amoklauf, der nachwirkt. Muss man erwähnen, dass die nächste Vorstellung am 2. Juni mal wieder ausverkauft ist?

Weitere Termine:

„Hamlet“ (2. Juni, 12. und 13. Juli) in den Münchner Kammerspielen. Karten: 089 / 23 39 66 00. www.muenchner-kammerspiele.de

„Jagdszenen aus Niederbayern“ (22. Juli) und „Die Räuber“ (10., 11. Juni, 14., 15. Juli) im Bayrischen Staatsschauspiel München. Karten: 089 / 21 85 19 40. www.residenztheater.de

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