Kein leichter Anfang: Aïssa Maïga (Zweite von li.) mit Médina Diarra (li.), Marc Zinga (Zweiter von re.) und Bayron Lebli in „Ein Dorf sieht schwarz“. Foto: Verleih

An wunderbaren Schauspielerinnen herrscht in Frankreich kein Mangel, doch die wenigsten von ihnen sind schwarz. Insofern ist Aïssa Maïga eine echte Ausnahmeerscheinung. Ein Gespräch über Kindheitserinnerungen und Rassismus in der Filmwelt.

Paris – - Frau Maïga, Sie spielen eine reale Person. Setzt einen das unter Druck?
Ja, das ist schon etwas anderes. Die Menschen, die wir in „ Ein Dorf sieht schwarz“ zeigen, leben tatsächlich; abgesehen von Seyolo, dem Familienvater, der vor einigen Jahren gestorben ist. Mir war es wichtig, dass sie den Respekt spüren, den wir ihnen und ihrer Geschichte entgegenbringen. Trotzdem stand natürlich nie außer Frage, dass wir es mit einem Spielfilm, also Fiktion, zu tun haben. Das, was wir auf der Leinwand zeigen, basiert auf der Realität, ist aber nicht ihr Imitat. Dies ist kein Biopic. Deswegen war meine Aufgabe nicht, die echte Anne zu kopieren, sondern eine Filmfigur zu erschaffen – wie in anderen Geschichten auch.
Ähnlich wie die Familie im Film sind Sie als Kind in den 1970ern nach Frankreich gekommen. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Es gibt im Film diese Szene, als die Kinder das erste Mal in ihrem Leben Schnee sehen. Daran erinnere ich mich auch noch. Alle sprachen ständig von diesem faszinierenden Schnee, doch in meinen ersten beiden Wintern war davon leider nichts zu sehen. Als ich sechs Jahre alt war, war es dann so weit. Ich spielte gerade Verstecken mit meiner besten Freundin Ophélie in der riesigen Altbauwohnung ihrer Eltern. Eigentlich hätte ich still hinterm Sofa sitzen sollen, damit sie mich nicht findet. Aber als ich sah, dass es draußen vorm Fenster zu schneien begonnen hatte, schrie ich vor Begeisterung. Und dann guckten wir beide eine gefühlte Ewigkeit nach draußen und genossen die Stille, die sich über alles zu legen schien.
Obwohl „Ein Dorf sieht schwarz“ eine Komödie ist, geht es auch um das Thema Rassismus. Vermutlich haben Sie damit Ihre eigenen Erfahrungen gemacht, oder?
Selbstverständlich; das bleibt nicht aus, wenn man schwarz ist. Ich war vier Jahre alt, als wir nach Paris zogen, und es dauerte nicht lange, bis mir andere Kinder hinterher riefen, dass meine Haut aussähe wie Kacke. Später war vieles weniger drastisch. Aber wenn mich jemand dafür lobt, wie gut ich Französisch spreche, bringt mich das bis heute auf die Palme. Auch als Schauspielerin werde ich immer wieder darauf gestoßen, dass ich „anders“ bin. Rollen, in denen es keine Rolle spielt, welche Hautfarbe die Figur hat, landen nur selten auf meinem Tisch.
Tatsächlich ist ja das Thema Rassismus heute präsenter denn je – nicht zuletzt im französischen Wahlkampf. Glauben Sie, dass Filme Einfluss haben können auf den Alltag?
Ich wünsche mir natürlich sehr, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Emotionen, die ein Zuschauer empfindet, wenn er einen Film wie unseren sieht, und seinem Wahlverhalten. Ob das der Fall ist? Keine Ahnung. Trotzdem tragen wir als Filmemacher und Künstler eine Verantwortung.
In welchem Sinne?
Weil wir mit unserer Arbeit insgesamt zum gesellschaftlichen Klima beitragen. Und weil wir in unseren Geschichten immer wieder mit spezifischen Archetypen arbeiten, die dazu dienen, dass die Menschen sich wiedererkennen. Selbst wenn die Zuschauer vielleicht nicht aktiv ihre Lehren ziehen aus dem, was sie auf der Leinwand gesehen haben, so bleibt doch sicherlich vieles hängen. Unbewusst wirkt da sicherlich oft vieles lange nach. Deswegen ist es enorm wichtig, dass wir selbst immer wachsam sind, was wir auf welche Weise erzählen. Gerade wenn es um wichtige Themen wie Rassismus geht.
In Hollywood wird genau aus dem Grund seit einiger Zeit viel über Diversität diskutiert. Wie ist die Lage in Frankreich? Gibt es etwa genug Rollen für schwarze Schauspielerinnen?
Dass Sie diese Frage stellen müssen, ist in gewisser Weise schon Ihre Antwort. Wenn es im französischen Kino eine Vielzahl von Rollen für Schauspieler und Schauspielerinnen gäbe, die nicht weiß sind, hätten Sie das schon mitbekommen. Ein Film wie „Ein Dorf sieht schwarz“ ist nach wie vor eine Ausnahme. Dennoch weigere ich mich, angesichts der Realität in einen Pessimismus zu verfallen. Ein Wandel ist da. Gleichzeitig müssen wir alle zusehen, nicht schon mit kleinen Veränderungen zufrieden zu sein und Ruhe zu geben. Vielleicht ist das Glas mittlerweile halb voll und nicht halb leer. Doch ganz gefüllt ist es eben noch lange nicht.
Wie würden Sie die Veränderungen beschreiben, die Sie beobachten?
Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ein Film wie „Ein Dorf sieht schwarz“ von zehn Jahren nicht gedreht worden wäre. Ein Film mit schwarzen Hauptdarstellern hätte als Risiko gegolten, in das niemand Geld investiert hätte. Dass so etwas nun möglich ist, liegt einzig am Erfolg einiger Filme, die sich mit Minderheiten beschäftigt haben. Filme wie „ Willkommen bei den Sch’tis“, „ Ziemlich beste Freunde“ und „ Monsieur Claude und seine Töchter“ haben gezeigt, dass Frankreich mehr ist als weiße Pariser. Diese Komödien haben zudem viel Geld eingespielt. Was allerdings die Tatsache nicht weniger erschreckend macht, dass „Ein Dorf sieht schwarz“ der erste französische Mainstream-Film mit einer schwarzen Familie im Zentrum überhaupt ist.
Dafür hoffentlich nicht der letzte!
Das hoffe ich auch. Wobei ich noch einmal betonen möchte, dass es mir nicht nur um Schwarze geht. Ich bin eine Verfechterin des Gedankens, dass wir Menschen alle gleich sind. Ich träume von einer Gesellschaft, in der niemand benachteiligt wird, egal ob Mann oder Frau, asiatischer oder arabischer Abstammung, schwul oder transgender. Jeder sollte sich im Kino repräsentiert sehen.