Dario Fo ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Foto: AP

Durch seine grotesken Inszenierungen wurde Dario Fo zu einem Ausgegrenzten. Der Gesellschaft hielt er in der sich heil wähnenden Welt des Wirtschaftsaufschwungs gnadenlos den Spiegel vor. Am Donnerstag ist Fo 90-jährig gestorben.

Rom - Dario Fo war ein unermüdlicher Komödiant. Noch vor drei Wochen lud der Literaturnobelpreisträger von 1997 Freunde und Journalisten in seine Wohnung, um sein neuestes Buch vorzustellen. Eine Art volkstümliche Biografie von Darwin mit dem Untertitel „Sind wir Affen väterlicher- oder mütterlicherseits?“ Noch als Neunzigjähriger war er bereit, sich in öffentliche Debatten einzumischen. Ende August hatte ihm die römische Zeitschrift „L’Espresso“ wegen seiner Unterstützung der Fünfsterne-Bewegung von Beppe Grillo eine vereinfachte Weltsicht und Populismus vorgeworfen. Stolz antwortete er in einem Artikel: Natürlich sei er ein Populist, im positiven Sinne ein Mann des Volkes. Er wollte in seinem Leben nichts anderes tun, als dem Volk Stimme zu geben. Dafür sei er ausgelacht, angegriffen, verfolgt worden.

Dario Fo hatte als Schauspieler und Autor das politische Volkstheater Italiens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend beeinflusst. Und er war ein Mann des Volkes. Er kam 1926 in Sangiano bei Laveno auf die Welt und wuchs dort als Sohn des Bahnhofsvorstehers auf. Den Landstrich am Lago Maggiore unweit der Grenze zur Schweiz bevölkerten Fischer, Schmuggler aber auch Arbeiter einer nahen Glasfabrik. In den Gastwirtschaften, auf den Plätzen oder an der Mole gaben sich Geschichtenerzähler und Fabulierer ein Stelldichein. Von ihnen, wie von seinem Großvater mütterlicherseits in den Reisfeldern der Lomellina, lernte Dario Fo die ersten Schritte zum volkstümlichen Erzählen. In seinem Erinnerungsbuch „Meine ersten sieben Jahre und ein paar dazu“ aus dem Jahr 2004 schreibt er: „In jener seltsamen Schmiede der Sprache und des Dialekts besuchte ich, ohne es mir damals klar zu machen, eine einzigartige Universität der Kommunikation.“ Hier sammelte er Erfahrungen, die es ihm erlaubten, zahllose Ausdrucksmuster und ungewöhnliche sprachliche Freiheiten zu nutzen.

Leben als Kunst und Kunst als Leben

Anfang der 1950er Jahre brach er Studien an der Mailänder Kunstakademie Brera (Bühnenbild) sowie am Polytechnikum (Architektur) ab und fing an, Sketche fürs Radio und fürs Theater zu schreiben und selbst aufzuführen. Bei den Arbeiten lernte er die bezaubernde Schauspielerin Franca Rame kennen.

Franca war in einer Familie des Wandertheaters groß geworden. Durch sie bekam Dario Fo Zugang zu einer volkstümlichen Dramaturgie und Schauspieltechnik, die er dann später meisterhaft ausweiten konnte. Die beiden bildeten bis zum Tod von Franca Rame 2013 eine außergewöhnliche Gemeinschaft, in der Leben zu Kunst und Kunst zu Leben wurde. Beziehungsprobleme trugen sie am liebsten auf der Bühne aus, etwa in dem Stück „Offene Zweierbeziehung“ (1983).

Mit dieser Frau an seiner Seite wagte sich Dario Fo in immer neue Theaterformen vor. Er mischte Boulevard mit Kabarett und Revue. Er trat auch im Fernsehen auf und politisierte sich. Seine grotesken Inszenierungen hielten der Gesellschaft einen gnadenlos lächerlichen Spiegel vor. In der sich heil wähnenden Welt des Wirtschaftsaufschwunges wurde er zu einem Störenfried, den man bald zensierte und etwa aus dem Fernsehen verbannte.

Sketche als Hochkultur?

Daneben entwickelte er aus der Lautsprache des Gramelot ein eigenes Idiom, das er in der Szenenfolge „Mistero buffo“ ab 1969 zur Meisterschaft führte. Diese Monologe verbanden religiöse oder kirchenhistorische Stoffe mit der Form des mittelalterlichen Spielmannstücks. Material bot auch ein volkstümlicher Autor der Theatergeschichte des frühen 16. Jahrhunderts wie Ruzante aus Padua. Nach und nach wurde die Szenenfolge erweitert und verändert, so dass jede Aufführung gleichsam als Premiere wirkte.

„Einen Geniestreich“ nannte sein deutscher Übersetzer Peter O. Chotjewitz den „Mistero buffo“, der aus dem gesamten Schaffen von Dario Fo herausragt. Wo später das Politische wie in der „Geschichte von Qu“ (2015) explizit ausgesprochen, manchmal sogar propagandistisch überhöht wurde, blieb es hier angedeutet und im gestischen Witz verkleidet im Hintergrund. Insofern kam „Mistero buffo“ der Vorstellung eines modernen bürgerlichen Theaters nah, das dem Autor sonst eher fremd geblieben war.

Pasolini nannte Fo „eine Pest des italienischen Theaters“

Über 70 Stücke, Szenenfolgen, Sketche hatte er geschrieben, und die Lust zu fabulieren blieb bis ins Hohe Alter ungebrochen, auch wenn Augen und Ohren zuletzt nicht mehr so recht wollten. Nicht nur politisch wurde er angefeindet. Pier Paolo Pasolini konnte ihn nicht ausstehen und nannte ihn „eine Pest des italienischen Theaters.“ Und als Dario Fo 1997 gar mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, stand das kulturelle Establishment in ganz Europa Kopf. Auch seine späten Arbeiten, etwa die Erzählungen über Lucrezia Borgia (2014) oder den von den Nazis verfolgten jüdischen Boxer Johann Trollmann (2016), wollten sich nicht mit dem messen, was man landläufig unter „Hochkultur“ versteht.

Und zu den Texten kamen immer häufiger Gemälde, Zeichnungen, Skizzen. Malen, so betonte Dario Fo gerne selbstironisch, sei der einzige Beruf, den er wirklich gelernt habe, 2014 waren einige seiner Arbeiten in Stuttgart zu sehen. Vor wenigen Monaten war ein großes Interviewbuch mit dem Titel: „Dario e Dio“ (Dario und Gott) erschienen. Darin ist die Rede auch vom Tod. Die Idee eines ewigen Lebens nach dem Tod war ihm fremd. „Wir werden zu Staub, sagt mir der Verstand.“ Aber „die Fantasie, die Grille, die Torheit“ lassen bei einen Komödianten andere Visionen aufkommen: „Ich hoffe, ich werde überrascht.“

Dario Fo ist am Morgen des 13. Oktober in einem Mailänder Krankenhaus an den Folgen einer hartnäckigen Lungenentzündung gestorben.