Katharina Knap (32) ist Ensemblemitglied am Schauspiel Stuttgart. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die 32-jährige Wienerin Katharina Knap wünscht sich das Theater als Labor für Gedanken und tankt bei Wald­spaziergängen Energie für ihr exzessives Spiel.

Stuttgart - Es war eine winzige Bewegung. Ein Moment nur. Im Premierenpublikum mischten sich Zustimmung und Ablehnung. Die Schauspieler, erschöpft nach drei Stunden „Richard III“ von William Shakespeares, verbeugten sich zum dritten, vielleicht vierten Mal. In diesem Moment stieß Katharina Knap ihre Zungenspitze zwischen die Lippen. Blitzschnell, wie man es von Eidechsen kennt. Und dann lachte sie. Ein kindliches, gelöstes Lachen. Und dabei war es doch keine andere als die junge Schauspielerin, die bis vor wenigen Minuten T. S. Eliots „The Hollow Men“ gesprochen hat. Eine, die zum Ende der Inszenierung die textile Hülle abstreift.

„Im Tod sind wir alle gleich“, sagt Katharina Knap, „nackt wie Würmer.“ Sie sagt es mit ernstem Ausdruck, sich erinnernd an den Augenblick, der sie immer wieder schutzlos vor den Augen des Publikums machen wird, solange die Inszenierung auf dem Spielplan des Schauspiels Stuttgart steht.

Als Gesprächsort hat Katharina Knap den Malsaal des weitläufigen Schauspielhauses vorgeschlagen. „Ich mag die Atmosphäre, das Handwerkliche. Die Kollegen hier haben mir meinen alten Stuhl für die Stuttgarter Wohnung bezogen“, sagt die 32-jährige Wienerin. Und dass sie auch gern handwerelt, näht, strickt und malt. Als Opfer sieht sie das Ablegen der Hülle, wenn sie die Zeilen von T. S. Eliot spricht, nicht. „Es war mein Angebot an Robert Borgmann, den Regisseur, verlangt hat er es nicht“, sagt sie mit ihrer leicht angerauten Stimme.

„Zwischen Verlangen / Und Zuckung / Zwischen Vermögen / Und Leibhaftigkeit / Zwischen Wesen / Und Abstieg / Fällt der Schatten“ – so übersetzt Hans Magnus Enzensberger Eliot. „In diesem Gedicht liegt alles, was ich liebe, das Letzte, was ich in diesem Drama tun kann, ist, mich nackt zu machen und mich zum Sterben hinzulegen, für Maskentum ist es zu spät“, sagt Katharina Knap. Und dann – sie erinnert noch einmal an die Premiere – ging das Licht im Saal an. „Das war brutal“, sagt sie. Die ersten Buhrufe kamen – in exponierten Stimmlagen, die allein schon akustisch wehtaten.

„Ja, ich bin zu einhundert Prozent auf das Publikum angewiesen“, beantwortet Katharina Knap eine naheliegende Frage. Weggetragen fühlen möchte sie sich im Theater durch das Theater. Und das wünscht sie auch dem Publikum. Katharina Knap, die in Graz, Mainz und am Wiener Burgtheater gearbeitet hat, fasziniert durch ihr exzessives Spiel bei hoher physischer Präsenz. Ihr Lächeln ist gefährlich. Atemlos kann sie einen damit machen, vollständig bannen, Theaterfieber erzeugen.

So hat sie auch die Sonja in Anton Tschechows „Onkel Wanja“ in Stuttgart über die Bühne gebracht. Sonja, eine junge Frau, hoffnungslos unglücklich liebend, die ihre Situation und ihre Schwächen nicht beschönigt. Auch damals gab es Buhrufe. Doch die Inszenierung – wieder führte Robert Borgmann Regie – wurde zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen, Katharina Knap von der Zeitschrift „Theater heute“ zur Nachwuchsschauspielerin 2014 gekürt.

Zum Zeitpunkt der Auszeichnung war sie in Wien. Zu Hause bei der Familie in Hietzing, 13. Bezirk. „Ein Kollege schickte mir per SMS einen Glückwunsch, und ich dachte: Warum verarscht der mich“, sagt Katharina Knap. „Ja, Kathi, es stimmt“, sagte ihre Mutter, die die gemeinsamen Kochpläne für eine Internet-Recherche unterbrochen hatte. Der Tochter fuhr es durch den Kopf: „Das wird jetzt schwierig, andere hätten den Preis sicher auch gern bekommen.“ Der Preis habe aber bewirkt, dass sie sich nicht mehr so schnell verunsichern lasse. Eine wie sie, die während der Proben schon mal Zusatzaufgaben von Intendant Armin Petras („Schreib ein Exzerpt über schwarze Pädagogik!“) bekommt, weil sie Leerstellen kaum aushält, kann momenthaft zur Außenseiterin werden. Die Natur ist es, die ihr Energie gibt, sie harmonisiert. In Wien sammelt sie im Lainzer Tiergarten Kräuter, Löwenzahn, Giersch, Melde, die werden verkocht. In Stuttgart durchstreift sie die grünen Höhenlagen. Und sie wünscht sich so sehr eine Wohnung, die nah am Wald liegt: „Zwei Zimmer, Badewanne, Balkon, das wäre toll.“

In den Wald trägt sie ihre Gedanken. Die Menschheit, so denkt sie dann, sei doch schon viele Male schweren Irrtümern verfallen, woher soll ausgerechnet Katharina Knap wissen, dass nicht schon wieder welche gemacht würden. Es ist wohl das Welt-Weh, das die junge Frau dann befällt. „An diesen Gedanken leide ich, weine an dunklen Tagen“, sagt Katharina Knap mit einem Lächeln. Und so sprudelt jetzt heraus, dass Katharina Knap Trost und Erkenntnis bei Schopenhauer, Nietzsche, Voltaire, Sokrates sucht. „Nietzsche ist wie ’ne Hautcreme, hast du eine wunde Stelle, schmier ihn drauf, dann bist du wieder heil“, sagt sie. Und zitiert, hier im Malsaal, aus dem Stand Schopenhauer: „Tausend heitere, angenehme Stunden lassen wir mit verdrießlichem Gesicht ungenossen an uns vorüberziehen, um nachher, in trüber Zeit, mit vergeblicher Sehnsucht ihnen nachzuseufzen“.

Nein, so eine Vergebliche will sie nicht sein, nie werden. Sie sagt: „Ich würde gern so bleiben, wie ich bin“. Denn auch in jungen Jahren schon habe sie erlebt: „Innerhalb von Leid und Traurigkeit geht die Tür auf für den nächsten Glücksmoment.“ Dass sie, die zuerst Medizin studierte, Schauspielerin wurde, hat sie vermutlich ihrer Kinderliebe zu Bibi Blocksberg und den Sprechkassetten zu verdanken. Knap lacht. „Ich war eine kleine Piefkerin, auch beim Vorsprechen an der Grazer Universität.“

Theater, denkt sie, sollte kein politisches Bildungstheater sein. Eher ein Labor für neue Assoziationen, Gedanken. Aber es wäre ganz schrecklich, wenn sie wüsste, die Hälfte des Publikums langweile sich bei einer Vorstellung zu Tode. „Ich wünsche mir offene Zuschauer, die nicht am Reclam-Text kleben, die mit mir einsteigen wie bei einer Wanderung, deren Führerin ich bin“, sagt sie. Und sie erzählt von Zeiten am Burgtheater in Wien, wo es nach der Vorstellung kein Verbeugen des Ensembles gab, die Schauspieler sich Ablehnung oder Zustimmung durch das Publikum nicht öffentlich auszusetzen hatten. Hätte sie das auch gern in Stuttgart? Ja, das hätte sie auch gern in Stuttgart. Oder eben die Alternative: ein angstfreies Publikum, das neue Wege geht. „Die Zuschauer müssen nur mitgehen, die Arbeit tun wir doch für sie“, sagt Katharina Knap. Sie zuckt mit den Schultern und sagt in einem Ton, der keine Zweifel zulässt: „Ich möchte im Theater alles hergeben, ich könnte ja morgen tot sein.“