Szene aus „Clockwork Orange“ Foto: Sievert

Anthony Burgess schrieb’s, Stanley ­Kubrick verfilmte, die Toten Hosen sangen „Hier kommt Alex“. Jungregisseur Daniel Foerster inszeniert „Clockwork Orange“ im Schauspiel Nord.

Stuttgart - „Nein! Ich war das nicht! Nein, bitte! Das waren die anderen! Es tut mir leid! Ich bin kein schlechter Mensch!“, brüllt Alex (Varya Popovkina), zappelt und krümmt sich in der weißen Pfütze, deren Radius die Cops von Mal zu Mal erweitern. Einer nach dem anderen schütten sie Liter um Liter Milch über den Delinquenten. Mit seinen Kumpeln, die er „Droogs“ nennt, hat er gestohlen, geprügelt, vergewaltigt. Nun ist’s vorbei mit der Übeltäterei.

Anthony Burgess schrieb’s, Stanley Kubrick verfilmte, die Toten Hosen sangen „Hier kommt Alex“. Jungregisseur Daniel Foerster inszeniert „Clockwork Orange“ im Schauspiel Nord. Der Roman fragte 1962, ob und inwiefern man kriminelle Energie aus dem Menschen entfernen darf. Der gewissenlose Beethoven-Liebhaber Alex, eloquent und klug, avanciert darin zum Versuchskaninchen. Eine neurologische Behandlung, bei der man ihm Abbilder des Leids eintrichtert, soll ihm die Verbrechenslust nehmen.

Godje Hansen, Alexandra Lukas und Stefan Hornbach, das ist hervorzuheben, sind Studierende der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Sie wechseln die Rollen: Opfer, Täter, Heiler. Komödiantisches Talent beweist Lukas.

Um an den Ekel des Sträflings zu appellieren, gibt sie heulend eine an den Schauspielunterricht erinnernde Imaginationsübung: „Wer sitzt im Auto? Der Opa? Was hat er an?“, fragt Hansen als weiß bemantelter Forscher respektive Lehrer, mahnt und befiehlt. Popovkinas Alex hält das nicht aus. Die fürs Stück symptomatische Szene unterhält, ist aber leider etwas zu lang, freilich auch recht selbstbezogen und lenkt vom Kern ab: Es geht um die Reaktion des Gewalttätigen, nicht ums ihm Gezeigte.

Abgesehen von einer bodenbedeckenden Riesenfolie agiert das Quintett ohne Bühnenbild. Lediglich Dutzende Milchflaschen stehen aufgereiht an den Seiten und werden nacheinander verspritzt. Riskant, so fast bar jeglicher Requisite, aber der Plan geht auf. Nicht zuletzt, weil Popovkina im grün-lila gestreiften Hemd einen herrlich Verrückten mimt, irre schielt und sich mit der Zunge die Lippen befeuchtet. Mit der Gang tanzt sie anfangs noch zu Bässen wie aus der Handheldkonsole, eine Choreografie irgendwo zwischen Schattenboxen und Aerobic – stark.

Die doppelbödige Artikulation von Alex’ futuristischer Clique eignet sich freilich nicht, um sprachliche Authentizität zu zeigen – der russisch-englisch anmutende Slang sieht dies schlicht nicht vor. Aktualisierungen vermischen reale Jugendsprache mit fiktiver. Jede Szene überzeugt, obgleich sie auch ab und an zu ausführlich gerät.

Wenn etwa Carolin Wiedenbröker aus dem Stück fällt und als Moderatorin die Zeit totschlägt, weil hinter ihr die Bühne gewischt wird, zieht sich das unnötigerweise hin. Dem zum Trotz finden sich viele gute, leidenschaftlich präsentierte Ideen. Dieses orange Uhrwerk macht Spaß. Und Hoffnung. Alex formulierte wohl lobend: Echt Horrorshow!

Weitere Aufführungen: 28., 29., 30. Mai jeweils um 20 Uhr. Karten unter: 07 11 / 20 20 90. www.staatstheater-stuttgart.de