Szene aus „Hirnbonbon“ Foto: Conny Mirbach

Texte zuhauf, aber kein Stück. Massig Stoff, aber kein Ziel: Das in Kooperation mit dem Kunstmuseum Stuttgart erschaffene Schauspiel „Hirnbonbon“, das am Samstag in der Spielstätte Nord Premiere hatte, verweist wortgewaltig auf den Künstler Dieter Roth, kann jedoch nicht für sich selbst stehen.

Texte zuhauf, aber kein Stück. Massig Stoff, aber kein Ziel: Das in Kooperation mit dem Kunstmuseum Stuttgart erschaffene Schauspiel „Hirnbonbon“, das am Samstag in der Spielstätte Nord Premiere hatte, verweist wortgewaltig auf den Künstler Dieter Roth, kann jedoch nicht für sich selbst stehen.

Stuttgart - Es ist wohl unmöglich, einen Künstler wie Dieter Roth zu fassen: dieses Arbeitstier, das gegen seine eigene Desillusion ankämpfte und schöpferisch als Maler, Objektkünstler, Drucker, Dichter, Interview-Partner und Sammler skurriler Alltagsdinge tätig war – und zwar in Deutschland, in der Schweiz, auf Island, in den USA und anderswo.

Diesen Tausendsassa als Schriftsteller in den Blick zu nehmen ist das Anliegen eines Dieter-Roth-Projekts, das unter dem Titel „Hirnbonbon“ vom Schauspiel Stuttgart in Kooperation mit dem hiesigen Kunstmuseum und der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg nun vorgestellt wurde. Dabei wird darauf verwiesen, dass der Schweizer sich selbst als Dichter begriff. Auch die im Dezember startende Ausstellung „Balle Balle Knalle“ im Kunstmuseum Stuttgart wird sich auf die sprachlichen Elemente im Werk Dieter Roths konzentrieren.

Die Fokussierung auf das Wort hätte vielleicht als szenische Lesung gelingen können. Doch „Hirnbonbon“, am Samstag in der Inszenierung von Christiane Pohle und als letzte Premiere dieser Spielzeit in der Spielstätte Nord uraufgeführt, will Theater sein und tut sich damit nicht leicht. Das Bühnenbild zeigt Roths weiten Kosmos: eine als Atelier eingerichtete Zelle, eine unter einer Plane vor sich hin qualmende Landschaft, die an isländische Geysire, Felsen und Eis erinnert, ein Zelt als rettender Zufluchtsort, eine Hundehütte und eine auf Gleisen fahrende Videokamera stecken die persönliche Landkarte eines aus der Welt fliehenden Mannes ab, der Leben und Wirken wie besessen dokumentierte.

Stärke zeigt das in sechs Wochen Probezeit entstandene Stück immer dann, wenn es tatsächlich die Texte des Künstlers ins Zentrum setzt. So gehört Anne Greta Webers Monolog über den Schrecken eines zerstörten Büros zu den starken Szenen des Abends. Die Studentin der Akademie für Darstellende Kunst trägt die nicht enden wollenden Gedankenschleifen um eine Explosion so plastisch vor, dass deutlich wird: An den Worten, Namen, Begriffen, wiederkehrenden Varianten des Genannten kommt das sprechende Ich nicht vorbei.

Fast wortlos, aber nicht weniger eindrücklich führt Franziska Benz im Stewardessen-Look eine fast durchchoreografierte Sicherheitseinweisung im Flugzeug samt gemeingefährlicher Schwimmweste vor. Das Absurde im Alltäglichen: Roths Blick auf die Welt erscheint hier bildhaft.

Die Leere um solche eindrücklichen Szenen füllen die von Taschenlampen begleitete Suche nach verwertbarem Textmaterial, Interview-Versuche, Musik vom Keyboard, das An- und Ausziehen von Kleidung, das wortwörtliche Totschlagen von Sekunden und Minuten und weitere kurze und längere Monologe, in denen Begriffe und Gedanken verbogen, gebeugt, untersucht und immer wieder neu, aber vergeblich bewältigt sein wollen. Das aufs Wort hörende Zusehen der sieben Protagonisten, die alle Dieter Roths Werk spiegeln, ohne zu dessen Figur zu werden, wird mitunter anstrengend, gegen Ende leider auch ermüdend, hat man das Prinzip des kreativen Nichtvorankommens doch längst durchschaut.

Bleibt die Frage, ob dieses Stück mehr sein kann als ein Kommentar zum Œuvre des Künstlers. Wohl kaum. Ohne Hintergrundwissen dürfte sich das Treiben auf der Bühne kaum erschließen. Doch das ist vermutlich auch nicht gewollt: Schließlich hing Dieter Roth ausdrücklich am Unsinn, am Nicht-Sinn. Insofern verkörpert „Hirnbonbon“ auf theatralischem Weg durchaus seine Haltung.