Schwere Güterzüge verursachen den meisten Schienenlärm. Foto: dpa

Bisher wurden 45 Millionen Euro für Schallschutzwände und -fenster in der Region Stuttgart bereit gestellt – 2015 soll das meiste erledigt sein.

Leonberg/Stuttgart - Ewald Thoma muss die Fenster in seinem Schlafzimmer nachts zulassen. „Wenn sie gekippt wären, würde ich laufend aufwachen“, sagt Thoma. Der Grund dafür ist, dass der 63-Jährige etwa 80 Meter entfernt von der Bahnlinie in der Leonberger Gartenstadt wohnt. Durch Leonberg fahren täglich 122 S-Bahnen, die aber nicht Thomas Problem sind. Er stört sich am Lärm, den die Güterzüge machen, die täglich von Kornwestheim über Böblingen in Richtung Schweiz oder umgekehrt fahren.

Derzeit 38 werden nach Angaben der Bahn in der S-Bahn-freien Zeit nachts auf die Reise geschickt, „und da messe ich in der Spitze schon mal 70 Dezibel an meinem Schlafzimmerfenster“, sagt Thoma. Das ist so viel wie ein Auto, das in zehn Meter Entfernung an einem vorbeifährt, oder ein Staubsauger, der einen Meter weiter läuft. An der ehemaligen Schwarzwaldbahn und der Rankbachbahn nach Böblingen kämpfen sieben Bürgervereine um eine Linderung des Problems. Auch die Bürgermeister von Leonberg, Ditzingen, Korntal-Münchingen und Renningen haben sich schon mal gemeinsam bei den Bundestagsabgeordneten aus ihren Wahlkreisen dafür eingesetzt.

Die Prioritäten liegen woanders

Für die Bahn rangiert das Glemstal auf der Liste der Lärmprobleme weit unten. Die höchste Priorität in Deutschland hat das linke Rhein-Ufer in Köln mit 23,714, die niedrigste Elsterwerda in Brandenburg mit 0,4. Da landet die Strecke Korntal–Böblingen mit 1,767 unter „ferner liefen“ – Leonberg eingeschlossen. „Wir haben hier keine hohe Belastung“, urteilt Sabine Weiler, Projektleiterin für die Lärmsanierung bei der Bahn in Baden-Württemberg, aus der Gesamtschau von 1526 Städten und Gemeinden in Deutschland. Zum Vergleich: Das Filstal, wo die Lärmsanierung seit 2010 läuft und wo dieses Jahr noch Restarbeiten in Göppingen, Faurndau und Salach zu erledigen sind, muss laut Weiler mit mehr als 100 Zügen pro Nacht leben. Noch nicht beendet ist im Filstal auch die Ausstattung von Wohngebäuden mit Lärmschutzfenstern. Diese können Eigentümer bekommen, wenn sie 25 Prozent der Investition selbst stemmen.

Mit am höchsten in Deutschland ist auch die Belastung im Neckartal zwischen Stuttgart und Plochingen, wo abgesehen von Esslingen ebenso bereits Lärmschutzwände stehen, sowie zwischen Stuttgart und Bietigheim-Bissingen. Zwischen Stuttgart und Kornwestheim (Schusterbahn) sowie in Zuffenhausen in Fahrtrichtung Leonberg ist ebenfalls schon gearbeitet worden. 84 Prozent der in der Region Stuttgart geplanten Maßnahmen sind nach einer Berechnung unserer Zeitung bislang realisiert.

Den Schienenlärm halbieren

In Esslingen sollen 2015 zwei spezielle transparente Wände von insgesamt 1110 Meter Länge an der Neckarstraße und an der Ulmer Straße errichtet werden, für die es bisher noch keine Zulassung gab. In Sachsenheim und Sersheim an der Strecke Bietigheim–Vaihingen/Enz werden zurzeit Wände auf 2282 Meter Länge aufgestellt. Ansonsten fehlen Wernau und Wendlingen im Kreis Esslingen, die nachträglich aufgenommen wurden, weil an ihnen vorbei künftig Güterzüge auf die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm fahren sollen.

Noch keinen Termin für die Sanierung haben Besigheim, Walheim und Kirchheim an der Strecke nach Heilbronn (Priorität 4,454), die laut Brigitte Weiler aber „als Nächstes in Baden-Württemberg“ dran sind, sowie Stuttgart-Vaihingen–Herrenberg (1,802) und eben die Strecke Korntal–Böblingen. Diese drei sollen aber zum Zuge kommen – anders als etwa das Murrtal ab Marbach (S 4) oder das Remstal ab Waiblingen (S 2), wo laut einem Bahnsprecher „das Güterzugaufkommen nachts zu gering ist“. Deshalb stehen diese Strecken im Lärmsanierungsprogramm gar nicht drin.

Projektleiterin Weiler geht davon aus, dass „wir in Baden-Württemberg 2015 ziemlich durch sind“. Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Programm vorgenommen, den Schienenlärm zwischen den Jahren 2000 und 2020 zu halbieren.

Nur wenige Waggons umgerüstet

Dafür muss sie laut Ewald Thoma aber noch eine Menge mehr tun. Von Lärmschutzwänden und -fenstern hält der Leonberger nicht allzu viel. Die Fenster, die er sich auf eigene Kosten hat einbauen lassen, empfindet er als „Käfighaltung – immer eingeschlossen“. Die Wände brächten nur was, „wenn man direkt dahinter wohnt“. Die Bahn geht von zehn Dezibel aus, was einer Halbierung des Lärms entspräche. Den Informatiker im Ruhestand Thoma stört, dass die Berechnung der Priorität fürs Bundesprogramm unzureichend sei. Dass es keine Rolle spiele, ob das Wohngebiet in einem Tal liege, wie in der Gartenstadt, und damit auch Schallreflexionen ausgeliefert sei.

Es ärgert Thoma auch, dass die Gesetze nicht geändert werden und die Verursacher zur Kasse gebeten werden. „Die Transportbranche verdient eine Menge Geld“, sagt er, damit sollten die Unternehmen auch ihren Fuhrpark modernisieren und alle gusseisernen Bremsklötze gegen leisere Verbundstoffbremsen austauschen. Das tun sie bisher nur auf freiwilliger Basis oder mit Zuschüssen. Nach Angaben der Bahn sind rund 25 000 von 180 000 Waggons umgerüstet, die über deutsche Schienen rollen. „Ich bin absolut enttäuscht darüber, was die Regierung in Sachen Bahnlärm unternimmt“, sagt Ewald Thoma. Es wird noch viel Wasser die Glems hinunterfließen, bevor er die Schlafzimmerfenster nachts gekippt lassen kann.