Im Herzen der Stadt wie hier am Schlossplatz muss die AWS schon länger verbissen um Sauberkeit kämpfen Foto: Peter Petsch

Operation missglückt: Die Stadt Stuttgart wollte für die neu eingeführte Gehwegreinigung in drei Stadtvierteln das Gewerbe und die Bewohner zur Kasse bitten. Sie schoss aber über das Ziel hinaus. Jetzt soll eine neue Regelung ausgearbeitet werden.

Stuttgart - Die größten Gemeinderatsfraktionen haben Stuttgarts Stadtverwaltung aufgefordert, eine bessere Gebührenregelung für die Gehwegreinigung im Hospitalviertel, im Gerberviertel und im Leonhardsviertel zu finden. CDU und Grüne reagierten damit auf massive Proteste von Betroffenen. Technik-Bürgermeister Dirk Thürnau (SPD) und die Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) suchen bereits einen neuen Dreh. Am 4. November, sagte Thürnau unserer Zeitung, wolle er zunächst dem nicht-öffentlich tagenden Unterausschuss für die AWS berichten. Dann werden sich sicherlich noch andere Gremien im Rathaus damit befassen. Ulrich Wecker, Geschäftsführer von Haus und Grund, hält allerdings ein rasches und klares Signal für notwendig, dass die Stadt rückwirkend die jetzige Gebühr abschafft. Sonst würde diese von vielen Vermietern noch an die Mieter weitergegeben.

2013 beschlossen Verwaltung und Gemeinderat die Ausweitung der Gehwegreinigung – zu einem Gebührensatz von 68,95 Euro pro laufendem Meter Gebäudefront. Nun sollte nicht mehr bloß innerhalb des Cityrings gekehrt und geputzt werden – neu hinzu kamen drei Viertel jenseits des Cityrings. Denn auch dort beobachtete man im Umfeld der Partymeile und der Amüsierzonen immer mehr Dreck und Abfall. Im Frühjahr 2014 begann der Versand der Gebührenbescheide – und der Ärger. Das Echo überraschte im Rathaus alle. Möglicherweise hatte man schlicht übersehen, dass jetzt – anders als auf der Königstraße – zahlreiche Mieter und kleine Gewerbebetriebe betroffen sind. Außerdem ein Hauptstandort der Evangelischen Kirche mit langen Gebäudefluchten.

Die Gebührenbescheide

Rund 35 000 Euro hat die Evangelische Gesamtkirchengemeinde aufzubringen, obwohl die Gebühr in den neu hinzugekommenen Stadtvierteln 2014 nur für acht Monate zu Buche schlägt. Zu den 15 424,12 Euro, die die Stadt für die ganzjährige Gehwegreinigung rund um die Stiftskirche in der alten Reinigungszone 1 berechnet, kamen jetzt noch hinzu: 12 435,82 Euro für den Bereich Hospitalkirche und Hospitalhof sowie 6908,79 Euro für die Leonhardskirche. Falls man 2015 den jetzigen Gebührensatz für zwölf Monate bezahlen müsse, ergäbe das 45 000 Euro, sagt Kirchenpfleger Hermann Beck. Für 2014 hat er das Geld überwiesen, aber auch Widerspruch eingelegt.

Hart getroffen werden auch kleine mittelständische Unternehmen und Bewohner. Die Gebühren können vom Vermieter nämlich komplett umgelegt werden. So rechnete der Vermieter Klaus Schöning vor, dass er einem kleinen Hotelbetrieb in der Hospitalstraße jetzt zusätzliche Nebenkosten von rund 750 Euro pro Jahr aufbürden müsse. Ein anderer Vermieter berichtete, er müsse seinen Mietern in der Katharinenstraße pro Monat je 35 Euro berechnen. Verständnis dafür ist nicht zu erwarten. Denn die Mieter werfen vermutlich nichts auf die Straßen.

Die Kritiker und ihre Kritik

Die Betreiber der Clubs und Kneipen fühlen sich auch als Opfer. Die Becher, die in den Straßen herumliegen, und die Flaschen, die zu Bruch gehen, seien von ihren Gästen oft schon mitgebracht worden – zum Vorglühen vor dem Kneipenbesuch. In die Front der Kritiker reihen sich auch Wohnungsgesellschaften, der Mieterverein sowie der Haus- und Grundbesitzerverein ein. Unter anderem wird von der Stadt verlangt, dass sie Müllsünder verfolgt und das Abfallwegwerfen ahndet. Die Stadt zwinge mit den Gebühren den kleinen Mittelstand in die Knie, klagte Vermieter Schöning, gleichzeitig lasse sie es an Mülleimern fehlen und fördere die Amüsiermeile Theodor-Heuss-Straße. Dort erlaube sie, dass Lokalbetreiber städtische Freiflächen mit Holzterrassen und Sitzgelegenheiten überbauen. Wer mehrere hundert Sitzplätze vor Lokalen schaffen lasse, dürfe sich aber nicht über den Müll beschweren und die Kosten für die Beseitigung nicht den Bürgern aufbürden.

Kirchenpfleger Beck ist überzeugt, dass die Gebühr der Stadt rechtswidrig ist. Denn nach Paragraf 42 des Straßengesetzes müsse die Stadt die Verursacher belangen oder die Gesamtheit der Gebührenzahler, wenn die Verunreinigung über das übliche Maß hinaus geht. Letzteres sei im Hospitalviertel klar der Fall.Die Kosten für die Beseitigung der üblichen Verunreinigung würde die Kirche der Stadt natürlich zahlen. Aber das, sagt Beck, wäre viel weniger.

Haus und Grund bezweifelt, dass der Aufwand fürs Kehren in der Katharinenstraße oder noch kleineren Straßen gleich groß ist wie in der breiten Einkaufsmeile Königstraße Zudem hat Kirchenpfleger Beck Zweifel, ob überall täglich gereinigt wird. Anlieger der Katharinenstraße bestreiten sogar, dass es dort überhaupt besonderen Bedarf gibt.

Die möglichen Änderungen

Im Hospitalviertel würden vielleicht auch Einsätze in der Zeit von Donnerstag oder Freitag bis Montag ausreichen, meint Kirchenpfleger Beck. In diesen Zeiten falle eindeutig besonders viel Müll an. Die Stadt solle den Bedarf in den einzelnen Bereichen erheben, fordern die Kritiker. Der Mieterverein brachte ins Gespräch, den Aufwand aus einem Topf mit den Einnahmen aus der Vergnügungssteuer zu bezahlen.

Ein Patentrezept habe man nicht, sagt Philipp Hill (CDU). Die Verwaltung müsse mit Hilfe von Juristen die Handlungsmöglichkeiten ausloten und den Stadträten das ganze Spektrum präsentieren. Vielleicht müsse man die Gebiete, in denen die Gebühr erhoben wird, anders abgrenzen, meint Peter Pätzold (Grüne). Nur bei den Clubs in den Partyzonen zu kassieren, gehe aus rechtlichen Gründen wahrscheinlich auch nicht. Die eigentlichen Verursacher sind ja die Kneipenbummler und Passanten. Doch sie sind schwer zu belangen.

Das könnte dafür sprechen, dass die Allgemeinheit für deutlich mehr Kosten aufkommen muss. Welchen Weg man einschlage, sei aber noch offen, ließ Thürnau wissen.Beim Gebührenaufkommen aus den drei Vierteln gehe es um 455 226 Euro. Von dem Aufwand fürs Reinigen dort in Höhe von 919 649 Euro würden 464 423 (50,5 Prozent) bereits über den Stadthaushalt von der Allgemeinheit getragen.