Russische Flagge am Himmel über Moskau – Sanktionen belasten das Land, aber auch die Firmen in Deutschland Foto: EPA

Die exportstarke Wirtschaft im Südwesten ächzt unter den Auswirkungen der Russland-Ukraine-Krise. Die neuerlichen Sanktionen verschlimmern die Lage.

Stuttgart - Die neuerliche Sanktionsrunde der EU und der Vereinigten Staaten gegen Russland setzt die über lange Jahre gewachsenen Beziehungen der Südwest-Wirtschaft zur russischen Föderation hohen Belastungen aus. Dennoch stehen die Firmen zur Politik. Ein Überblick über die wichtigsten Branchen:

Der Maschinenbau ist das Zugpferd der deutschen Exporte nach Russland. Fast ein Viertel der deutschen Einfuhren in das Land sind Maschinen und Anlagen. Für Baden-Württemberg – neben Nordrhein-Westfalen das Hauptzentrum des Maschinenbau in Deutschland – sind Verwerfungen in dem Markt daher ziemlich heikel.

Mit einem Exportvolumen von zirka 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2013 ist Russland für den hiesigen Maschinenbau nach Daten des Branchenverbands VDMA der fünfwichtigste Absatzmarkt. Nachdem Maschinen aus Baden-Württemberg in den letzten Jahren wesentlich zum Aufbau von industrieller Infrastruktur in der Russischen Föderation beigetragen haben, drückt die schlechte Konjunktur in Russland nun auch die Geschäfte der Maschinenbauer. „Die Maschinenexporte nach Russland sind im Zeitraum Januar bis Mai 2014 um rund 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsführer des VDMA im Südwesten.

Besonders getroffen seien die Hersteller von Werkzeug- sowie Holzbearbeitungsmaschinen sowie Zulieferer der Öl- und Gasindustrie. Allein die Androhung von Sanktionen habe dazu geführt, dass viele Aufträge storniert oder geschoben wurden. „Die Sanktionen werden diese negative Entwicklung weiter beschleunigen“, sagt Birk. Langjährige Lieferbeziehungen und gegenseitiges Vertrauen zwischen den Handelspartnern würden so empfindlich gestört.

Ganz ähnlich sieht es in der Elektrobranche – ein weiteres deutsches Industrieschwergewicht – aus. Unabhängig von den nun ergriffenen Sanktionen habe sich das Geschäft mit Russland und der Ukraine bereits seit Monaten deutlich negativ entwickelt, sagt Wolfgang Wolf, Geschäftsführer des Branchenverbands ZVEI im Land. Der Grund: Die Währungen beider Länder haben stark abgewertet. In Südwest-Firmen seien die Elektroausfuhren nach Russland „in erheblichen Maße, je nach Teilbranche sogar um über 40 Prozent“ gesunken, sagte Wolf. Dass sich diese Tendenz mit den Sanktionen nicht verbessern wird, liegt auf der Hand.“ Dennoch erkennen die Verbände das Primat der Politik an. Birk sagt: „Angesichts der jüngsten Eskalationen war es faktisch jedoch unvermeidbar, mit neuen Sanktionen ein deutliches Zeichen zu setzen.“ (wro)

Automobil - Der ohnehin schwächelnde russische Automobilmarkt dürfte durch die Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Russland noch weitere Dellen abbekommen. Dieser Meinung ist der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA): „Große Sorge bereitet uns die dramatische Abwertung des Rubels, die die Exporte verteuert“, sagt eine VDA-Sprecherin unserer Zeitung. Der Verband rechnet damit, dass der gesamte PKW-Absatz in Russland im laufenden Jahr um neun Prozent zurückgeht. Hinzu kommt laut VDA „eine restriktive Importpolitik der russischen Regierung, die auf eine Erhöhung der lokalen Wertschöpfung abzielt.“ All diese Maßnahmen verschlechterten die ohnehin schon angespannte wirtschaftliche Lage in Russland, so der VDA.

Der russische Markt für Lastwagen ist der größte in Europa. Die Krim-Krise und die Sanktionen der EU dürften daher vor allem an den exportabhängigen deutschen Herstellern nicht spurlos vorrübergehen. Daimler hat mit Nutzfahrzeugen in der Vergangenheit in Russland gute Geschäfte gemacht. Bereits 2013 gaben die Ausfuhren dorthin allerdings deutlich nach: Im Vergleich zu 2012 verkaufte der Stuttgarter Konzern im vergangenen Jahr 22 Prozent weniger Lastwagen nach Russland, insgesamt waren es 5600.

Daimler selbst äußerte sich zur Bedeutung der EU-Sanktionen zurückhaltend. Die genauen Folgen könne man erst nach einer eingehenden Prüfung der Sanktionen abschätzen, so eine Sprecherin. Der Konzern dürfte eine weitere Eskalation in der Ukraine fürchten. Daimler „hofft, dass die Bemühungen der Bundesregierung um eine diplomatische Lösung bald Erfolg haben werden“, sagt eine Sprecherin. Der Bundesregierung bescheinigt das Unternehmen, in der Ukraine-Krise „besonnen und umsichtig zu agieren.“

Neben dem reinen Export hat Daimler auch seine Präsenz auf dem russischen Markt ausgebaut und arbeitet dort mit dem LKW-Hersteller Kamaz zusammen. Seit 2013 liefert Daimler an Kamaz LKW-Kabinen, Diesel- und Gasmotoren sowie Achsen. Außerdem betreiben die Stuttgarter vor Ort die beiden Joint Ventures Mercedes-Benz Trucks Vostok und Fuso Kamaz Trucks. Über sie produziert und vertreibt der Stuttgarter Konzern Lastwagen auf dem russischen Markt. Der russische Transporterhersteller GAZ ist ein weiterer Daimler-Partner und produziert dort seit Sommer 2013 den Sprinter Classic .

Deutschlands größter Automobilzulieferer Bosch ist nach eigenen Angaben von den bisher bestehenden aber auch den neu beschlossenen Sanktionen „nach derzeitigen Kenntnisstand voraussichtlich nicht direkt betroffen“. Grund: Der Schwerpunkt der Bosch-Aktivitäten in Russland liegt auf derzeit unkritischen Bereichen wie Kraftfahrzeugtechnik, Thermotechnik und Konsumgütern. Insgesamt erwartet Bosch – auch durch die schlechte wirtschaftliche Lange in Russland – für die kommenden Monaten schlechtere Geschäfte in dem Land. (jps/imf/wro)

Chemie: Nach Maschinenbau und Fahrzeugindustrie liefert kein Industriezweig mehr Güter nach Russland als die Chemiebranche. Fast 16 Prozent der deutschen Exporte in das Riesenreich sind chemische Erzeugnisse. Firmen aus Baden-Württemberg sind traditionell allerdings eher nach Westen orientiert. Ihr Russland-Anteil an den Umsätzen betrug 2013 nur 2,6 Prozent oder etwa eine halbe Milliarde Euro. Dennoch reagiert man beim Thema Sanktionen sensibel. Besonders die angedrohte Erhörung der Erdgaspreise „sehe wir kritisch“, sagte Thomas Mayer, Hauptgeschäftsführer der Chemie-Verbände Baden-Württemberg. Schon heute habe die Branche mit hohen Energiepreisen zu kämpfen. Insgesamt hat die Branche im Land rund 105 000 Beschäftigte. (wro)

Energieversorger: Beim Erdgas ist Deutschland weitgehend von Importen aus dem Ausland abhängig. Nur rund zehn Prozent des Gasverbrauchs wird aus heimischen Quellen gedeckt. Wichtigstes Lieferland ist nach Zahlen des Branchenverbands BDEW Russland mit einem Anteil von 38 Prozent. Danach folgen die Niederlande mit einem Anteil von gut einem Viertel und Norwegen mit einem Fünftel. Energieriesen wie Eon und RWE haben ihren Bezug vom russischen Gazprom-Konzern über Lieferverträge geregelt, die teilweise über Jahrzehnte laufen. Einseitige Preiserhöhungen sind hier nicht so einfach möglich. Deutschlands drittgrößter Energieversorger, die EnBW, hat 2012 einen Zehn-Jahres-Vertrag mit Russlands größtem privaten Energiekonzern abgeschlossen: Für 600 Millionen Euro jährlich liefert Novatek der EnBW 21 Milliarden Kilowattstunden Gas jährlich – das ist rund ein Fünftel des Gesamtabsatzes des Jahres 2013 von 100 Milliarden Kilowattstunden. An Spekulationen, Russland könne die Gaspreise nach oben schrauben „beteiligen wir uns nicht“, sagte ein Konzern-Sprecher. Auch die Tatsache, dass Novatek auf der Sanktionsliste der USA stehe, „hat keine Auswirkung auf den EnBW-Vertrag“. (ker)

Rüstung: Der Bereich Luft- und Raumfahrt, sowie die Rüstungsindustrie sind die wohl sensibelsten Branchen in der aktuellen Sanktions-Debatte. Beide sind in Baden-Württemberg stark vertreten. Offizielle Statements zum Thema gibt aber keiner der Branchenverbände. Schätzungen gehen von 10 000 bis 20 000 Jobs allein für den Rüstungssektor im Land aus. Hier ist auch klar: Kein Neugeschäft in Russland auf absehbare Zeit. Insider meinen, die Luftfahrtindustrie, die am Bodensee konzentriert ist und dort über 7000 Jobs umfasst, leide mittelbar durch den Abschwung im Maschinenbau. Der Grund: Beide Branchen sind eng verzahnt, Export-Beschränkungen bei einer, treffen immer auch die andere. Ähnliches gilt für den Rüstungssektor. Hier existiert das Phänomen der Dual-Use-Güter, also Waren, die sowohl für militärische, als auch zivile Zwecke genutzt werden können – und dann meist von Maschinenbauern hergestellt werden. (wro)