Impressionist Edouard Manet: „Marée montante“ (1873) – ein Werk der Sammlung Victor Chocquets, derzeit zu sehen im Museum Oskar Reinhart in Winterthur Foto: Courtesy Nathan Fine Art Berlin/Zürich

Im schweizerischen Winterthur erzählt zurzeit eine Ausstellung eines der folgenreichsten und spannendsten Kapitel der neueren Kunstgeschichte – und erinnert an eine Sammlerpersönlichkeit, die der Moderne Wege bahnte.

Winterthur - Es waren Werke von Cézanne, Renoir, Manet und Delacroix, die 1899 in einer Versteigerung der Pariser Galerie Georges Petit verkauft wurden. Die Gemälde stammten aus der Sammlung des acht Jahre zuvor verstorbenen Victor Chocquet (1821–1891), der als Freund der Impressionisten ein Pionier der Moderne war.

Davon, wie Chocquet einen wesentlichem Anteil am frühen Erfolg der von ihm protegierten Künstler hatte, erzählt nun eine intim und sorgfältig kuratierte Ausstellung im Museum Oskar Reinhart „Am Römerholz“ in Winterthur.

Victor Chocquet hat nicht nur ein Kapitel der Kunstgeschichte mitgeschrieben, er wurde auch selbst zu einer Episodenfigur der Weltliteratur. In Emile Zolas 1886 erschienenem Künstlerroman „Das Werk“, in dem Zola das Ringen der Avantgarde mit dem eigenen Kunstwollen und dem Akademiebetrieb im Paris um 1870 beschreibt, tritt Chocquet unter dem Namen „Monsieur Huet“ auf, der als ein bescheidener Bourgeois geschildert wird, in sich jedoch die „wunderliche Gewohnheit entdeckt hat, eine glühende Künstlerseele zu haben“.

Bilder (noch) verkannter Maler-Genies

Huets finanzielle Mittel sind begrenzt – was ihn jedoch nicht davon abhält, immer wieder Bilder der (noch) verkannten Maler-Genies zu erwerben. Zola charakterisiert mit seiner Romanfigur treffend die Sammlerpersönlichkeit Victor Chocquets, der eine etwas kuriose Randfigur des damaligen Kunstbetriebes war, sich jedoch in der historischen Rückschau als ein grandioser Prophet der Moderne erwies.

Chocquet wurde 1821 in Lille geboren und durchlief eine erfolgreiche, aber völlig unspektakuläre Karriere als Beamter der Zollbehörde. Unter seiner eintönigen Arbeit litt er, der sich als Schöngeist und verhinderter Künstler fühlte.

Daran änderte auch seine Versetzung nach Paris wenig, allerdings kam er an der Seine in Kontakt mit der Künstlerszene der Hauptstadt, und trotz seines mittelmäßigen Beamtengehaltes begann er, Antiquitäten sowie Gemälde zeitgenössischer Künstler zu sammeln.

Umfangreiche Kollektion von Gemälden der frühen Moderne

Bereits 1877 ging der zu diesem Zeitpunkt 56-Jährige in Pension. Fünf Jahre später eröffnete ihm das beträchtliche Erbe seiner Frau neue sammlerische Perspektiven: In den letzten knapp zehn Jahren seines Lebens erwarb er eine umfangreiche Kollektion von Gemälden der frühen Moderne.

Ausgangspunkt seiner ästhetischen Vorlieben war die Malerei Eugène Delacroix’, deren freie Auffassung der Komposition und rauschhafte Farbigkeit ihm den Weg zur Kunst der Formerneuerer des Impressionismus wies.

Auch in der Frühzeit der modernen Malerei gab es Sammler und Galeristen, die sehr viel größere finanzielle Mittel als Chocquet hatten, um sich für die Jungen Wilden ihrer Zeit zu engagieren. Trotzdem ist vor allem der bescheidene Beamte der Nachwelt als ein früher Mäzen der frühen Modernen in Erinnerung geblieben – nicht nur, weil sein Engagement für die mit ihm befreundeten Maler von aufrichtiger Bewunderung ihrer künstlerischen Leistung getragen war.

Chocquet kannte die Helden des Impressionismus

Kein Sammler ist so oft von den großen Neuerern porträtiert worden wie Chocquet, der durch diese Darstellungen bis heute bildhafte Präsenz besitzt. Zudem sind seine Porträts ein dauerhaftes Zeugnis seiner freundschaftlichen Verbundenheit mit den Künstlern. Chocquet kannte Manet, Renoir, Monet und viele andere der Helden des Impressionismus, eine herausragende Bedeutung hatte jedoch seine Freundschaft zu Paul Cézanne.

Bereits 1875 erwarb er mit der Studie von Badenden, „Trois Baigneuses“ (Musée d’Orsay, Paris) ein frühes Gemälde Cèzannes zu einem Zeitpunkt, als der Künstler noch ein weitgehend Unbekannter war. Auch Chocquet war sich zunächst seines Kaufes nicht ganz sicher, vor allem befürchtete er, dass seine Frau mit dem Bild nicht einverstanden sein könnte.

Deshalb brachte er es zunächst nicht nach Hause, sondern stellte es bei seinem Freund Auguste Renoir unter und bat diesen, bei der Gattin gut Wetter zu machen. Dies ist Renoir offenbar gelungen, der kleinen Ölskizze sollten noch über 40 weitere Werke Cézannes folgen, die das Herzstück der Sammlung Chocquets darstellten.

Dass Madame Chocquet, die Renoir im selben Jahr porträtiert hat – das Bildnis aus der Staatsgalerie Stuttgart ist in der Winterthurer Ausstellung zu sehen –, den Kunstkäufen ihres Mannes kritisch gegenüberstand, ist im Kontext der Ablehnung moderner künstlerischer Tendenzen durch Publikum und Kunstkritik der Belle Epoque durchaus verständlich.

Chocquet ließ sich in seiner Vorliebe für Impressionisten nicht beirren

Tatsächlich brachte es in den Jahren des ausgehenden 19. Jahrhunderts einem Sammler weder gesellschaftliche Anerkennung ein, noch winkten dynamische Preisentwicklungen, wenn er Werke künstlerischer Außenseiter wie Cézanne, Manet oder Renoir erwarb. Chocquet ließ sich in seiner Vorliebe für die Impressionisten jedoch nicht beirren, selbst als eines der Bildnisse, das Cézanne 1875 von ihm malte (Privatbesitz), von der Kritik grausam verrissen wurde.

Als dieses Gemälde auf der dritten Impressionisten-Ausstellung 1877 gezeigt wurde, denunzierten die Rezensenten es als das Bildnis eines „schokoladenfarbenen Billoir“ (der ein berüchtigter Mörder war), und es wurde in „Porträt eines Gelbsüchtigen“ umbenannt. Man fand, dass das Gesicht des Porträtierten so lang sei, als wäre es in ein Walzwerk geraten, und bemängelte die freie, also unnatürliche Farbgebung des Inkarnats und der Frisur.

Für den heutigen Betrachter weisen jedoch gerade die reiche, koloristisch originelle Textur und die psychologisierende Tiefe das Gemälde als ein bedeutendes Meisterwerk im Œuvre Cézannes aus.

Von Delacroix bis zu Cézanne

Die Ausstellung in Winterthur zeigt kaum mehr als 30 Gemälde und Arbeiten auf Papier aus der einstigen Sammlung Victor Chocquets, es gelingt ihr jedoch allein mit diesen vergleichsweise wenigen Arbeiten, nicht nur die Qualität und Bedeutung dieser Kollektion nachzuempfinden, sondern die Entwicklung und Genese der frühen Moderne in Frankreich zwischen 1820 und den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen.

Der Spannungsbogen reicht von Delacroix’ „Rochers“, einer Felslandschaft von 1822 (Musée de Valence), in der eine wilde Topografie unter dem flüchtigen Moment eines bewegten Wolkenhimmels geschildert wird, bis zu einem „Bouquet de fleurs“ (Puschkin-Museum, Moskau), in dem sich Paul Cézanne 1902 bis 1904 mit einem Aquarell Delacroix’ auseinandergesetzt hat und dessen duftigen floralen Überschwang durch die konstruktiv-abstrahierende Gebautheit seines reifen Stils ersetzte.

Dergestalt wird in Winterthur eines der folgenreichsten und spannendsten Kapitel der neueren Kunstgeschichte erzählt und an eine wichtige Sammlerpersönlichkeit erinnert, die den Siegeszug der Moderne in seinen frühen Jahren maßgeblich förderte.