Der Weltmeister übernimmt Verantwortung: Sami Khedira Foto: Baumann

Das Jahr 2014 war das erfolgreichste seiner Karriere – aber kein einfaches. Nun richtet Sami Khedira den Blick nach vorn. „Wir müssen neue Ziele in Angriff nehmen“, sagt der Fußball-Weltmeister und verrät, warum er vor Länderspielen neuerdings die Hymne mitsingt.

StuttgartSami Khedira, Sie haben das Jahr 2014 als Patient begonnen. Nun sind Sie amtierender Champions-League-Sieger, Weltmeister und Weltpokalsiege. Das hat bisher nur der Brasilianer Roberto Carlos geschafft. Stolz?
Mehr zu gewinnen, geht tatsächlich kaum. Es war wirklich ein unglaubliches Jahr, das mich mit großer Zufriedenheit erfüllt. Irgendwie bin ich jetzt aber auch froh, dass dieses Jahr zu Ende geht, vor allem, weil es zuletzt nicht unbedingt so gelaufen ist, wie ich mir das vorstelle.
Was war im Rückblick das Entscheidende, dass Sie trotz Ihres Kreuz- und Innenbandrisses noch zum Seriensieger geworden sind?
Da sind natürlich einige günstige Faktoren zusammengekommen. Zunächst einmal gab es keinen einzigen Rückschlag während der Reha-Phase. Dazu kam, dass ich mir von Beginn an vorgenommen hatte, alles für ein schnelles Comeback zu tun und auch wirklich alles andere hintanzustellen. Ich wollte die WM unbedingt erreichen, weil ich damals schon das Gefühl hatte: Das wird einzigartig.
Wegen der Titelchancen?
Erst einmal ist es immer etwas Besonderes, eine Weltmeisterschaft zu spielen, umso mehr, wenn sie in Brasilien stattfindet. Und dann hatte ich auch das Gefühl, dass wir als Mannschaft in diesem Jahr einfach dran sind, dass wir was reißen können. Und dabei wollte ich einfach helfen.
Also war Ihr Wille entscheidend?
Nicht nur. Die Unterstützung meiner Familie hat eine große Rolle gespielt, und, dass ich absolute Spezialisten um mich hatte, die ebenfalls vieles hinangestellt haben, nur um mir zu helfen. Bedeutet: Ich selbst habe viel dazu beigetragen, das zu schaffen, ohne das Team um mich herum, wäre es aber nicht möglich gewesen.
Dieser Wille – woher kommt der?
Ich glaube, dass ich das schon früh mitbekommen habe. Für mich war immer klar: Das Talent ist das eine, wer sich im Profifußball aber wirklich durchsetzen will, benötigt Willen und Durchsetzungsvermögen. Und man muss klar im Kopf bleiben.
Das heißt . . .
. . . das man sich von Rückschlägen nicht verrückt machen lassen, im Erfolg aber auch nicht abheben darf. Das ist ganz entscheidend, und ich glaube, dass ich da einen ganz guten Weg gefunden habe. Ich habe eine innere Stärke entwickelt und glaube auch dann noch an mich, wenn es andere nicht mehr tun. Das war schon in der Jugend so, das ist der Rote Faden in meiner Karriere.
Kann man das Lernen, oder gilt: Das hat man – oder man hat es nicht?
Generell ist es nicht so, dass man sich das nicht aneignen könnte. Aber natürlich ist es wichtig, mit welchen Leuten es man zu tun hat, in welchem Umfeld man sich bewegt. Da braucht man absolute Ehrlichkeit. Andererseits glaube ich auch, dass das meiste von einem selbst kommen muss. Innere Stärke muss man entwickeln, muss sie in sich finden. Das ist etwas, was ich jungen Spielern immer versuche zu vermitteln.
Was meinen Sie genau?
Dass die Jungs nicht darauf schauen sollen, was andere haben oder machen. Junge Fußballer sollten auf sich selbst schauen, einen eigenen Weg finden, auf dem sie etwas erreichen wollen.
Übertragen auf ein Team: Hat die Nationalmannschaft bei der WM genau diesen Weg gefunden und konsequent beschritten?
Absolut. Auch beim Nationalteam gab es im Vorfeld der WM viele Rückschläge und unterschiedliche Meinungen. Was dabei aber das Ausschlaggebende war: Jeder von uns hatte zu jeder Zeit das gleiche Ziel, wir haben zusammengehalten, und wenn es darauf ankam, hat jeder dem anderen geholfen. Gerade in schwierigen Phasen konnten wir uns aufeinander verlassen.
Das brachte den sportlichen Erfolg. Aber auch das Auftreten des Teams wurde gelobt, speziell nach dem 7:1 gegen Brasilien. Sind Sie darauf verpflichtet worden, war das Thema im Vorfeld?
In der Halbzeit der Partie gegen Brasilien war ja im Grunde schon sicher, dass wir ins Finale einziehen werden. Dennoch war für uns klar: Wir spielen ernsthaft weiter, versuchen nicht, jemanden vorzuführen – allein aus Respekt und aus Dankbarkeit für die Unterstützung, die wir in Brasilien erfahren haben. Das ist am Ende eine Mentalitätsfrage, da war nichts gespielt oder abgesprochen.
Im Halbfinale haben Sie geglänzt, im Finale dann nicht gespielt. Bleibt also das 7:1 gegen Brasilien Ihr herausragendes Erlebnis der WM?
Ja, einerseits. Andererseits hat auch das Finale eine ganz eigene Geschichte und Bedeutung für mich persönlich – obwohl ich nicht gespielt habe. Ich bin stolz, dabei gewesen zu sein, wenn auch als Person im Hintergrund, das hat mir unheimlich viel gegeben. Natürlich will man als Sportler in solch einem Spiel auf dem Platz stehen. Wenn man sich aber für den Fußball entschieden hat, ist da eben auch der Teamgedanke. Von daher war es für mich unheimlich wichtig, mir eingestehen zu können, dass es an diesem Tag nicht reicht. So oder so waren Halbfinale und Finale der WM die emotionalsten Spiele, die ich in meiner Karriere erlebt habe.
Als Spieler von Real Madrid steht man voll im Fokus. Hat sich nach dem WM-Titel dennoch noch einmal etwas verändert für Sie?
Die öffentliche Wahrnehmung ist noch einmal eine ganz andere geworden. Noch extremer. Sportlich hat die WM aber keinen Einfluss, außer, dass es sich einfach immer noch richtig gut anfühlt. Was man aber natürlich nicht denken darf: Dass man durch solch einen Titel menschlich etwas Besseres ist als ein anderer.
Als Fußball-Nationalspieler wird Ihnen auch eine große gesellschaftliche Verantwortung zugesprochen. Spüren Sie diese?
Natürlich. Der Fußball ist populär wie nie, und wenn man auf diesem Niveau spielt, schauen viele Kinder und Jugendliche auf einen. Ich weiß, dass andere sich mich zum Vorbild nehmen, ich weiß aber auch: Es ist nicht immer einfach, dieser Rolle gerecht zu werden, da wir alle ja auch Privatpersonen mit Ecken und Kanten sind, die auch Fehler machen.
Ist Ihnen diese Verantwortung zu viel?
Es wird immer mehr verlangt, und medial werden Dinge aufgebauscht, die nicht wirklich relevant sind. Für mich ist einfach wichtig, dass ich zu jeder Zeit hinter dem stehen kann, was ich mache oder sage. Ich will nicht unter öffentlichen Forderungen einbrechen, man muss wissen, wer man ist und was man macht.
Dass Sie die Nationalhymne vor Länderspielen lange nicht mitgesungen haben, war ein großes Thema. Zuletzt haben Sie das geändert. Wegen dieser Diskussionen?
Überhaupt nicht. Für mich war immer klar: Aus Respekt vor meinem zweiten Heimatland, Tunesien, singe ich keine der beiden Hymnen. Dann haben wir bei der WM gegen die USA gespielt, Jürgen Klinsmann hat die deutsche und die amerikanische Hymne mitgesungen – und ich hab mir gedacht: Das ist auch ein guter Weg. Also singe ich jetzt die Hymnen eben mit.
Zurück zur Verantwortung. Die übernehmen Sie neuerdings in Form eines sozialen Projekts in der Region Stuttgart.
Und auch das mache ich nicht, weil ich es muss, oder weil es von mir gefordert wird. Das alles ist durch private Gespräche entstanden, danach hatte ich den Wunsch, etwas zu tun. Und bei zwei Besuchen in sozialen Einrichtungen habe ich erfahren: Die Kinder merken, dass da jemand ist, der sie unterstützen will. Da habe ich strahlende Augen und Begeisterung gesehen. Das ist für mich das Wichtigste.
Sie haben zwei Einrichtungen besucht, in denen Kinder und Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen betreut werden. Welche Gefühle hatten Sie bei diesen Begegnungen?
Zunächst einmal habe ich Traurigkeit empfunden, weil jedes Kind doch eigentlich die gleichen Chancen bekommen sollte. Zum anderen weiß ich es jetzt noch mehr zu schätzen, welches Glück ich in meinem Leben bisher hatte. Liebe und Unterstützung von der Familie zu bekommen, das ist für ein Kind mit das Wertvollste. Und ich habe festgestellt: Es lohnt sich zu helfen.
Was können Sie diesen Kindern mitgeben – neben eingespielten Spendengeldern?
Dass es sich lohnt, Ziele zu verfolgen, auch wenn es zunächst aussichtslos erscheint. Dass sie alles geben, dass sie ein Team zu schätzen wissen, denn alleine ist man machtlos. Ich war zu Gast in einer Wohngruppe, da ist es kaum anders als im Fußball: Die Jungs müssen zusammenhalten, müssen sich unterstützen, dann kommt auch jeder einzelne weiter.
Wie verbringen Sie eigentlich Weihnachten?
Für mich ist sehr wichtig, die Zeit mit der Familie zu verbringen. Wir haben nur sechs Tage frei, dennoch soll die Weihnachtszeit erholsam sein. Wir halten es seit einiger Zeit so, dass wir alle gemeinsam in die Berge fahren – meine Familie und ich, dazu Lena (Anmerk. d. Red.: Khediras Verlobte Lena Gercke) und ihre Familie. So will ich Kraft und Zuversicht tanken.
Weil Sie 2015 wieder durchstarten wollen?
Wie gesagt: Die vergangenen Monate waren nicht leicht, aber ich weiß genau, wo ich ansetzen muss. Ich muss meine alte Fitness wiedererlangen. Da war ich in den vergangenen Wochen häufig schon kurz davor, dann kam wieder eine Verletzung wie zuletzt die Gehirnerschütterung. Aber ich bin schon wieder auf einem guten körperlichen Niveau und deshalb sehr zuversichtlich, dass ich bald wieder meine Einsatzzeiten haben werde.
Einen Wechsel in der Winterpause habe ich vor zwei Monaten ausgeschlossen, vor zwei Wochen ausgeschlossen, und ich kann ihn auch jetzt ausschließen.
Obwohl im Sommer in Toni Kroos ein weiterer Konkurrent nach Madrid gekommen ist, der derzeit hoch gelobt wird.
Ich bin ein Freund von starker Konkurrenz. Jeder Spieler, der im Mittelfeld spielt, ist für mich zwar ein Konkurrent – aber eben kein Feind, sondern dennoch ein Freund. Diese Einstellung macht unser Team bei Real derzeit aus. Wir kämpfen miteinander, nicht gegeneinander – und am Ende entscheidet der Trainer, wer spielt. Das macht uns stärker, denn wenn man keine Konkurrenz hat, lässt man vielleicht auch ein bisschen nach. So weiß man, dass man noch mehr tun muss.
Zurück zu Toni Kroos.
Er macht es überragend und ist nach einem halben Jahr schon ein Fixpunkt in unserem Spiel. Das war nach dem Abgang von Xabi Alonso sehr wichtig.
Kurzfristig ist ein Vereinswechsel also kein Thema, im Sommer aber endet Ihr Vertrag bei Real. Wie sehen Ihre Pläne aus?
Ich habe immer betont, dass da überhaupt kein Druck herrscht und keine Ungewissheit besteht. Ich stehe bis Ende Juni bei Real Madrid unter Vertrag und habe immer wieder gesagt, dass ich mich in dieser Mannschaft unheimlich wohl fühle. Der Trainer gibt mir – selbst nach diesem Jahr – große Rückendeckung, das ist nicht selbstverständlich. Mein Berater und ich pflegen den Austausch mit den Verantwortlichen. Wenn wir da eine Lösung finden, bin ich glücklich.
Wann macht das Nationalteam seine Fans wieder glücklich? Auch da lief es nach der WM alles andere als rund.
Klar, auch da gab es Probleme. Aber jeder einzelne weiß, dass er jetzt wieder eine Schippe drauflegen muss. Und ich denke, dass mit dem Jahreswechsel auch jedem bewusst ist, dass die WM nun endgültig abgeschlossen ist und nun neue Ziele in Angriff genommen werden müssen. Es stehen richtungsweisende Spiele an, wir werden alles daran setzen, wieder überzeugende Partien abzuliefern. Und wir wollen uns souverän für die EM qualifizieren. Der Erfolg in Spanien war da schon ein guter Schritt in die richtige Richtung.
Den will auch der VfB gehen – am liebsten irgendwann auch wieder mit Spielern wie Sami Khedira oder Mario Gomez. Ist für Sie eine Rückkehr vorstellbar?
Ich trage den VfB immer im Herzen, momentan hat der Verein sportliche Schwierigkeiten, dennoch glaube ich, dass man im Leben – und speziell im Fußball – nie Nein sagen sollte. Warum also sollte ich diese Tür zumachen? Ich habe ja hoffentlich noch das eine oder andere Jahr als Fußballprofi vor mir, mal schauen, was noch so kommt. Derzeit wünsche ich dem VfB aber erst einmal, dass er in ruhigere Fahrwasser kommt und zu alter Stärke zurückfindet.