Die Benediktinerabtei Ettal ist ein prachtvoller Bau mitten in alpenländischer Idylle.

Die Benediktinerabtei Ettal ist ein prachtvoller Bau mitten in alpenländischer Idylle. Doch was innerhalb der Klostergemäuer über lange Jahre passierte, passt so gar nicht in das liebliche Bild.

Der Missbrauchsskandal nimmt immer gewaltigere Dimensionen an.

Von Ralph Hub

ETTAL. Über Nacht ist der Winter zurückgekehrt nach Ettal. Doch die dünne Neuschneedecke kann nicht verbergen, welch schreckliche Dinge sich in Kloster und Schule über viele Jahre hinweg ereigneten. Benediktinermönche haben Schüler misshandelt und sexuell missbraucht. 100 Opfer haben sich inzwischen gemeldet.

Es ist kalt in der Aula der Klosterschule. Doch die meisten der Anwesenden frösteln nicht deshalb, sondern angesichts der schier unglaublichen Geschichten, die sie zu hören bekommen. Sonderermittler Thomas Pfister legt seinen vorläufigen Zwischenbericht vor und bringt damit die altehrwürdigen Klostermauern schier zum Beben.

Zuletzt meldete sich ein Pater, der zugab, im Internet Kinderpornos heruntergeladen zu haben. Er zeigte sich bei der Staatsanwaltschaft selbst an. Der Pater wurde vom Kloster suspendiert. In der kommenden Woche wird er von einem Psychiater begutachtet und beginnt dann eine Psychotherapie.

Der Pater hatte in den Jahren 2000 und 2001 Fotos von Ettaler Schülern heimlich auf Internetseiten für Homosexuelle gestellt. Die Fotos entstanden auf Bergtouren und Klassenausflügen. Sie zeigen Jungen mit nacktem Oberkörper. Die Sache flog erst auf, als einige Schüler Namen von Freunden googelten und dabei plötzlich auf Sexseiten landeten. Wegen der Kinderpornoaffäre hatte die Staatsanwaltschaft vor wenigen Tagen das Kloster durchsucht, Unterlagen und Computer beschlagnahmt.

Sodom und Gomorrha herrschte über Jahrzehnte in der Benediktinerabtei. So gab es in den 70er Jahren einen Mönch, der eine 16-Jährige verführte. Pater R., nach Schilderung seiner damaligen Schüler ein "ausgemachter Sadist", wollte für seine Geliebte den Orden verlassen. Doch dann wurde er zum Schuldirektor befördert. Seine Geliebte sollte deshalb verschwinden. Er bot dem Mädchen Geld, falls es nach Neustadt an der Weinstraße ziehe. Doch die Schülerin blieb und wurde von dem liebestollen Pater bis zum Abitur mit schlüpfrigen Bemerkungen terrorisiert und gedemütigt. Offenbar wurde auch ein Benediktiner von einem Mitbruder sexuell missbraucht. Das behauptet jedenfalls ein ehemaliger Pater, der sich in den vergangenen Tagen bei Sonderermittler Pfister gemeldet hat.

Besonders schockierend ist die Lebensbeichte des im vergangenen Jahr verstorbenen Pater Magnus. Offen beschreibt der Mönch in den Notizen seine pädophilen Neigungen. Schüler zwischen 14 und 15 seien ihm am liebsten gewesen. Nachts hätten sie sich zu ihm ins Bett gelegt, sich von ihm befriedigen lassen. "Das habe ich mir immer schon mit dir gewünscht", habe einer voller Dankbarkeit geschrieben. Teilweise habe er nicht gewusst, wer sich da in der Dunkelheit in sein Zimmer geschlichen habe. Vielen im Kloster war bekannt, was Pater Magnus mit seinen Zöglingen trieb. Trotzdem ließ man ihn gewähren. Systematisch sei in der Klostergemeinschaft weggesehen und geschwiegen worden, kritisiert Pfister.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen einen Pater, der inzwischen nach Wechselburg in Sachsen versetzt wurde. Pater G. soll Kinder an Oberkörper, Armen und Beinen gestreichelt haben. Er habe sie auf seinem Schoß sitzen lassen. Die Vorwürfe stammen aus dem Jahr 2005. Zwei Jugendliche haben sich inzwischen gemeldet. Pater G. habe Schülern auch in die Boxershorts gefasst. Die angeblichen Opfer konnten dazu aber noch nicht befragt werden.

"Ich werde Tag und Nacht von Vorwürfen ehemaliger Schüler überhäuft", berichtete der Sonderermittler. "Im Klosterinternat Ettal wurde systematisch misshandelt." Er habe eine Vielzahl von E-Mails erhalten, in denen ehemalige Schüler auf erschütternde Weise von körperlichen Züchtigungen berichteten.

Alfred G. schrieb: "Ettal war die schlimmste Zeit meines Lebens. Einmal wurde ich mit dem Bambusstock so hart auf Rücken und Gesäß geschlagen, dass der Stock zerbrach - nur, weil mir ein Malkasten heruntergefallen war. Danach musste ich auf die Krankenstation."

Thomas A. berichtete: "Ein Pater hatte eine besondere Systematik beim Haareziehen. Er drehte einem die Koteletten, riss sie nach oben, das waren extreme Schmerzen. Ich wurde selbst oft heftig geschlagen und kann 40 Leute nennen, die ebenfalls geschlagen wurden." Und weiter: "In der Freinacht sind wir auf dem Gang erwischt worden. Zur Strafe wurden wir massiv verprügelt. Der Pater hat mit unglaublicher Wucht mit der flachen Hand voll durchgezogen - wir waren doch alle erst elf Jahre alt."

Rudolf N. teilte mit: "Es herrschte der absolute Terror. Manchmal wurden 40 Schüler nacheinander abgewatscht, wenn einer im Schlafsaal geredet hat. Sie suchten sich immer die Schwächsten unter uns aus. Pater A. durchsuchte die Päckchen, die uns unsere Eltern schickten. Er nahm heraus, was ihm passte, leckere Würste. Uns schickte er mit einem Apfel weg."

Eberhard P.: "Ich wurde von einem Pater als Prügelknabe auserkoren und mehrmals in der Woche geschlagen. Für mich war Ettal die Hölle."

Ein Ex-Schüler berichtete von einem Selbstmord. Anfang der 80er Jahre habe sich einer der Schüler mit Lösungsmitteln vergiftet. Die Gründe dafür liegen heute - 30 Jahre später - im Dunkeln.

"Deutlich mehr als zehn Patres", so Pfister, sollen sich in den vergangenen Jahrzehnten an Übergriffen beteiligt haben. Unter den Mönchen hätten sich ausgemachte Sadisten befunden. Bis etwa 1990 sei "systematisch und brutal geprügelt" worden.

Mit Tränen in den Augen gestand der Verwaltungschef des Klosters, Johannes Bauer: "Auch ich habe damals Kinder brutal körperlich misshandelt und gedemütigt." In den 80er Jahren habe er Schüler mit Kleiderbügeln und der flachen Hand geschlagen, so die späte Beichte des Benediktiners. Er sei als junger Mönch mit der Aufgabe als Lehrer schlicht überfordert gewesen, sagte Pater Johannes und bat all diejenigen, denen er Leid zugefügt habe, um Verzeihung.

Für Aufregung sorgte der Auftritt des kommissarischen Schulleiters, Wolf Rall, bei der Pressekonferenz. Rall bestritt, dass es auch in jüngster Zeit noch durch Pater R., einen langjährigen und erfahrenen Lehrer, zu Gewalt an der Klosterschule gekommen sei. Er verharmloste Übergriffe des Paters als "leichte Kopfnüsse, mehr im Spaß". Der Sonderermittler widersprach scharf. Die Kinder hätten geweint. Pater R. habe Kinder so geschlagen, dass sie zu Bettnässern wurden, berichtete Pfister.

Viele in Ettal haben jetzt Angst, dass die Schule und das Internat geschlossen werden. Das Erzbischöfliche Ordinariat in München und die Benediktinerabtei werden freilich nicht müde zu betonen, dass alle Vorwürfe aufgeklärt würden und nichts verschwiegen werde. Erst dann wolle man einen Neuanfang wagen.

Abt Barabas Bögle und Schulleiter Maurus Kraß wurden entlassen. Ob sie auf ihre Posten zurückkehren dürfen, steht in den Sternen. Darüber wird erst entschieden, wenn die Untersuchung durch den Vatikan abgeschlossen ist.