Lebt vor Gericht wieder auf: Wasserwerfer-Einsatz am 30. September 2010 im Schlossgarten Foto: dpa

Ein Polizeidirektor und ein Polizeioberrat gehen schonungslos mit dem missglückten Polizeieinsatz am 30. September 2010 ins Gericht. Als Angeklagte im Wasserwerfer-Prozess offenbaren sie haarsträubende Pannen – und versuchen so ihre Haut zu retten.

Ein Polizeidirektor und ein Polizeioberrat gehen schonungslos mit dem missglückten Polizeieinsatz am 30. September 2010 ins Gericht. Als Angeklagte im Wasserwerfer-Prozess offenbaren sie haarsträubende Pannen – und versuchen so ihre Haut zu retten.

Stuttgart - Wer die zwei hochrangigen Polizisten am zweiten Tag des Wasserwerfer-Prozesses im Stuttgarter Landgericht so reden hört, kann sich nur die Frage stellen, warum dieser unglückselige Polizeieinsatz zur Baumfällaktion auf Biegen und Brechen an einem Vormittag des am 30. September 2010 stattfinden musste. Die heute 41 und 48 Jahre alten Beamten, die als Abschnittsleiter für die Räumung auf dem Baufeld verantwortlich zeichneten, wollen nicht die Schuldigen sein: „Das müssen Sie Herrn Stumpf fragen“, heißt es immer wieder.

Der damalige Stuttgarter Polizeipräsident habe das so entschieden, so die Angeklagten vor der 18. Strafkammer. Mit heißer Nadel gestrickt, mit nicht mal 33-stündiger Vorplanungszeit, mussten die beiden ein Konzept für einen Großeinsatz aus dem Boden stampfen, der gründlich daneben ging. Mit mindestens 164 Verletzten, neun darunter schwer. Nun wird den Angeklagten fahrlässige Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Sie hatten einen „sorgfaltswidrigen Einsatz von Wasserwerfern zugelassen“, so die Anklage.

Der 41-jährige Polizeioberrat, damals Revierführer in der Wolframstraße, und der 48-jährige Polizeidirektor, damals Leiter der Einsatzabteilung der Bereitschaftspolizei in Böblingen, sehen sich nur als Indianer, die von ihren Häuptlingen in eine Mission impossible gezwungen wurden. Am 28. September 2010 um 15 Uhr hatten die beiden erstmals erfahren, dass die Polizeiaktion für die erste Baumfällaktion im Schlossgarten 48 Stunden später erfolgen sollte. Alles streng geheim. „Wir sollten am nächsten Tag um 13 Uhr ein Konzept vorlegen, wie das Baufeld geräumt werden soll“, sagt der 41-jährige Polizeioberrat. Hunderte Polizisten sollten in einer Überraschungsaktion eine 475 Meter lange Absperrung aufstellen.

Der erfahrene Einsatzleiter bei S-21-Demonstrationen und der Mann von der Bereitschaftspolizei tüftelten am 29. September frühmorgens in der Polizeikaserne in Böblingen an einer Strategie mit sechs Hundertschaften. Die sollten am 30. September um 15 Uhr heimlich mit einem Sonderzug in den Hauptbahnhof einfahren und das Gelände abriegeln. Dann sollten Bauarbeiter folgen, von Wasserwerfern abgesichert.

Als das Abschnittsleiter-Duo anderntags das Konzept im Stuttgarter Polizeipräsidium vorlegen wollte, waren die Chefs nicht da. Der Einsatzzeitpunkt war verraten worden. Wo sich Stumpf bis gegen 17 Uhr aufgehalten hatte, etwa beim Staatsministerium, wollen beide Polizeiführer nicht erfahren haben. Sie bekamen von ihm nur mitgeteilt: Die Aktion findet schon um 10 Uhr statt. Und das, bitteschön, nicht weitersagen!

Weil das aber mit den baden-württembergischen Einsatzhundertschaften allein wegen der Dienstpläne kurzfristig nicht machbar war, mussten als Verstärkung über Nacht Kräfte aus Bayern geordert werden. Ortsunkundige Einheiten, die zu spät kommen sollten. Die Demonstranten war schon da. „Das war der prägende Moment des Einsatzes“, so der 41-Jährige über das Polizeidebakel. Der 48-Jährige sagt: „Das war alles zu komplex, als dass es geklappt hätte.“ Die Einsatzleiter hatten nicht einmal einen funktionierenden Funkkanal.

Freilich: In dem Prozess unter der Vorsitzenden Richterin Haußmann geht es einzig darum, warum die Wasserwerfer, die spontan zu Räumfahrzeugen umfunktioniert wurden, nicht nur mit freigegebenem Wasserregen, sondern mit bis zu 16 bar Wasserdruck gegen die Protestierenden im Park vorgingen. Und warum dies die beiden Angeklagten zugelassen hatten. Dafür waren letztes Jahr der Staffelführer und ein Kommandant zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Die Frage soll frühestens am dritten Prozesstag zur Sprache kommen. Die Verteidigung hat schriftlich erklärt, dass ihren Mandanten „von Verletzungen von Demonstranten durch den Einsatz von Wasserwerfern während der Räumung nichts bekannt geworden“ sei. Eine mutige Feststellung: Denn im Untersuchungsausschuss des Landtags 2011 ist die Aussage des 41-Jährigen protokolliert, „dass ihm bekannt gewesen sei, dass es bei dem Einsatz Verletzte gegeben habe. Sie hätten dem Führungsstab mitgeteilt, dass Personen verletzt worden seien. Er könne sich auch daran erinnern, selbst einen Notarzt informiert zu haben.“ Der Prozess wird nächsten Dienstag fortgesetzt.