Immer sind genug freiwillige Helfer zur Stelle – daheim, aber auch in den Flutgebieten. Foto:  

Neun Lastwagenladungen aus Stuttgart sind in Bosnien-Herzegowina, im Kanton Zenica-Doboj, angekommen – gesammelt und verpackt von Mitgliedern und Freunden des bosnischen Jugendkulturvereins KUD Mladi Biseri, der im Stuttgarter Westen seinen Sitz hat.

S-West - Der Transporter parkt am Ende des Dorfs. Kaum öffnen sich die Schiebetüren, kommen die ersten Menschen aus Richtung der zerstörten Häuser herbeigelaufen. Nemina Brljak und die anderen Helfer reichen ihnen Tüten mit Hilfsgütern herab – Hygieneartikel, Mückenspray, Mehl, Reis, Konserven. Neun Lastwagenladungen aus Stuttgart sind in Bosnien-Herzegowina, im Kanton Zenica-Doboj, angekommen – gesammelt und verpackt von Mitgliedern und Freunden des bosnischen Jugendkulturvereins KUD Mladi Biseri, der im Westen seinen Sitz hat.

Über Facebook hat Nemina Brljak zu Spenden aufgerufen, durch Vereinskontakte fand sich ein Lager, wo sie gesammelt wurden. Wiederum Dank Freunden wurden mehrere 40-Tonner zum Selbstkostenpreis gemietet, mit denen die Spenden nach Bosnien-Herzegowina gefahren werden konnten – dorthin, wo nach den Überschwemmungen im Frühjahr die Not am größten ist. „Das war alles Networking“, sagt Nemina Brljak . Die 29-jährige Wirtschaftsingeneurin ist schon seit Jahren nicht mehr im bosnischen Jugendkulturverein aktiv, aber „dort habe ich Freunde fürs Leben“ gefunden, die man im Zweifelsfall mal rasch anruft, um eine aufwendige Hilfsaktion zu stemmen.

So war es auch, nachdem sie im Mai über Facebook von der Flutkatastrophe erfahren hatte. Brljak kennt diese Gegend, sie hat dort Verwandte, verbrachte dort Urlaube. „Meine Mutter und ich haben uns gefragt, warum den Flutopfern niemand hilft. Und dann haben wir uns gefragt: Wieso helfen wir eigentlich nicht?“ Sogleich wurden der Freundeskreis und KUD Mladi Biseri aktiviert. „Ich war beeindruckt, als ich die viele jungen Leute sah, die nach Feierabend kamen, die Spenden in Kartons packten und in Lastwagen luden“, erzählt Thomas Mayer. Der Verwaltungsdirektor der Diakonissenanstalt war durch zwei bosnische Reinigungskräfte auf die Aktion aufmerksam geworden und schaute sich nun an, was vor sich ging. „Ich war hin und weg.“ Die Diakonissenanstalt machte ihrerseits Mittel locker und spendete medizinisches Material für die Leute im Flutgebiet.

Nemina Brljak ist selbst mitgefahren nach Doboj. Die Hilfsgüter mussten am Ankunftsort vor Zugriffen der Bürokratie und der Polizei regelrecht versteckt werden, berichtet die 29-Jährige. Vor Ort mussten freiwillige Helfer rekrutiert werden, die die Tüten packten und beim Verteilen halfen. „Wir hatten drei Tage einen dabei, der hatte selber alles verloren. Sein Job war weg, sein Haus kaputt und der Friseursalon seiner Frau voller Schlamm. Gesagt hat er uns nichts.“ Warum nur, wollte Brljak wissen: „Da sagte er, dass er sich schäme. Er wolle nicht um Spenden bitten, und er wolle nicht, dass ihn jemand bemitleidet.“ Nie sei es ein Problem gewesen, Leute zu finden, die anpacken. Obwohl die Freiwilligen bis in die Nacht gearbeitet hätten, hätten sie danach stets auf eine gemeinsame Zigarette oder ein Liedchen bestanden, erzählt Brljak.

Die Hilfsbereitschaft der Leute daheim in Deutschland und in den Katastrophengebieten, sowie die Dankbarkeit derjenigen, denen sie helfen konnten, hat die junge Frau sehr angerührt. Sie hofft, dass die Flutkatastrophe zumindest hilft, die politischen und religiösen Gegensätze in Bosnien-Herzegowina zu überwinden: „Ich glaube, dass die imaginären Grenzen allmählich bröckeln. Denn jetzt, wo keiner mehr etwas hat, lassen die Berührungsängste nach. Man hilft sich. Es ist es nicht mehr wichtig, wer man ist.“