Mit 27 Jahren wurde Philippè Gerard Matern mit dem HI-Virus infiziert. Foto: Kathrin Wesely

Philippè Gerard Matern ist seit 25 Jahren HIV positiv. Noch immer würden infizierte Menschen stigmatisiert, sagt der 54-Jährige. Im Mai 2015 will er zu einer Aktionswanderung nach Berlin aufbrechen: Dabei geht’s ihm nicht um Tempo: „Ich will durch meine Person zeigen, dass man als HIV-positiver Mensch leistungsfähig sein kann. Ich will Mut machen, und ich will sie ermuntern, sich zu outen.“

S-West - Er hat sich gefreut auf das Ende seiner Schicht hinterm Tresen: Sein Exfreund hatte angekündigt, er wolle ihn noch sprechen, nachdem die Kneipe dicht gemacht hat. „Er kommt zu mir zurück!“, schlussfolgerte Philippè Gerard Matern. Doch so war es nicht: Sein Exfreund eröffnete ihm in dieser Nacht, dass er „aidskrank“ sei, wie man damals sagte. Es war das Jahr 1989, es gab noch keine wirksamen Medikamente gegen HIV, und Philippè Gerard Matern war überzeugt, dass sein junges Leben bald zu Ende sein würde.

Ein bitteres Lächeln umspielt seinen Mund, wenn er seine Geschichte erzählt. „Damals starben die HIV-positiven Menschen in kurzer Folge hintereinander auch an Aids. Kaum hatte ich (über die Aids-Hilfe, die Redaktion) jemanden kennen gelernt, war dieser Mensch erst im Krankenhaus und kurze Zeit später meistens auf dem Friedhof.“ Matern wartete damals auf seinen Todeskampf. Doch er hatte Glück, er zeigte nie Symptome. Er durchlitt allerdings mehrere lebensbedrohliche Krankheiten. Heute sagte er: „Ich bin nach 20 Jahren wie Phönix aus der Asche ins Leben zurückgekehrt und werde meine restliche Zeit nutzen.“

Der 54-Jährige ist groß und durchtrainiert. Der Mann aus dem Stuttgarter Westen hält sich fit für die bevorstehende Wanderung nach Berlin. Zwischen dem 1. Mai und dem 22. Juli 2015 will er die 650 Kilometer zu Fuß bewältigen. Er sucht noch Sponsoren, die ihm die Übernachtungen finanzieren. Es geht ihm nicht ums Tempo: „Ich will durch meine Person zeigen, dass man als HIV-positiver Mensch leistungsfähig sein kann. Ich will Mut machen, und ich will sie ermuntern, sich zu outen.“ Matern selbst wird unterwegs ein T-Shirt mit dem Aufdruck „HIV-bewegt“ tragen. Dank eines Sponsors kann er außerdem 7500 Flyer drucken lassen, die er auf seinem Weg unters Volk bringen will. Matern hat eine Mission, er wirbt um Verständnis. Denn Diskriminierung ist immer noch an der Tagesordnung, obwohl das Virus hier seit bald 30 Jahren grassiert und zahlreiche Aufklärungskampagnen gelaufen sind. Erinnert sei etwa an den legendären Fernsehspot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit Hella von Sinnen von 1990: „Rita, wat kosten die Kondome?“

Im Auftrag der Deutschen Aids-Hilfe haben Matern und 39 weitere Interviewer von 2011 bis 2012 HIV-infizierte Leute befragt. Dabei offenbarte sich eine Stigmatisierung dieser Gruppe, was zu Leidensdruck mit vielfältigen psychischen Folgen führt. Die bestürzenden Ergebnisse der Befragung hat die Aids-Hilfe in einer Broschüre zusammengetragen: So verloren mehr Berufstätige den Job, weil sie diskriminiert wurden als wegen gesundheitlicher Schwierigkeiten. Jedem Fünften wurde schon eine medizinische Behandlung verweigert. Ein Drittel der HIV-Positiven gaben an, ein geringes Selbstwertgefühl zu haben. 23 Prozent fühlen sich schuldig, 31 Prozent schämen sich.

Matern hat Ausgrenzungen am eigenen Leib erfahren – insbesondere in den ersten Jahren. „Wenn ich zum Arzt ging, kam ich immer als Letzter dran, weil die hinterher alles desinfiziert haben.“ Selbst in den Praxen wusste man nicht, dass Ansteckungsgefahr nur besteht, wenn infektiöse Körperflüssigkeiten mit Wunden oder Schleimhäuten in Berührung kommen. „Es gab Menschen, die plötzlich kein Wort mehr mit mir sprachen, obwohl sie vorher jeden Samstag bei mir im Garten gesessen hatten“, erinnert sich der 54-Jährige. Die Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen sei nicht passé und auch kein Privileg von Heteros: „Sie ist in schwulen Kreisen heute noch sehr verbreitet.“