Der Fußballer und die Anwältin als hilflose Patienten. Foto: Petra Mostbacher-Dix

Im Merlin ist ein Stück über das Leben auf der Intenvistation uraufgeführt worden. „Auf Leben und Tod – À la vie, à la Mort“ heißt denn auch die Performance von Simone Rist.

S-West -

Ist das Leben? An die Decke und die Wanduhr starren? In einen Beutel seine Notdurft verrichten und Schmerzen erleiden? So sieht es Herr M. Für Frau F. ist Leben indes, den Sonnenuntergang zu genießen, Kinderlachen, ein Lied der Freundin auf der Ukulele, das Morgen. Und die beiden unterscheidet noch Gravierendes: Als Herr M. und Frau F. sinnieren – mit Chefarzt in der Intensivstation – ist Frau F. bereits tot. Gestorben an Darmkrebs im Endstadium.

„Auf Leben und Tod – À la vie, à la Mort“ heißt denn auch die Performance von Simone Rist, die nun im Merlin in deutscher Sprache uraufgeführt wurde – als Produktion des Fördervereins Deutsch-Französische Kultur in Zusammenarbeit mit dem französischen Verein Champs Mêlés. Darin verarbeitet die Pariser Regisseurin und Autorin, die mit Legenden wie John Cage, Merce Cunningham und Pierre Boulez zusammenarbeitete, eigene Erfahrungen: Ein halbes Jahr lang hospitierte sie in der Intensivstation eines Krankenhauses.

Ansprache Fehlanzeige

In „À la vie, à la mort“, übersetzt von Hedda Kage, werden zwei Fälle daraus: die lebenslustige F., noch nicht einmal 30 Jahre alt, und der lebensmüde M., über 70 Jahre. Beide sind ins künstliche Koma versetzt, an Atemgeräten angeschlossen, von Ärzten und Krankenschwestern versorgt, nach allen Regeln der modernen Maschinenmedizin. Das Personal ist gut, aber nur interessiert an den körperlichen Funktionen. Ansprache Fehlanzeige – abgesehen von den üblichen Sätzen im Klinikalltag „Herr M., wir müssen sie jetzt absaugen“ oder „Frau F. wir müssen nun ihren Mund reinigen“.

Es sind denn auch diese schematischen Abläufe, die Rist an den Anfang ihres Stücks stellt: Zwei Ärzte und zwei Schwestern in weißen Kitteln stapfen hintereinander durch das Publikum und deuten pantomimisch medizinische Rituale an: Plastiküberzieher über die Schuhe streifen, Hände desinfizieren, Gummihandschuhe anziehen. Kaum hinter der Bühne verschwunden, erwachen darauf Herr M. und Frau F. Sie am Bettende stehend, er, wie seit 40 Jahren, im Rollstuhl sitzend, fragen sich, wie sie zu diesem Etwas geworden sind, diese regungslosen Puppen im Bett mit Schläuchen im Schlund, an denen die Ärzte herumhantieren, ohne zu ahnen, dass die Patienten alles mitbekommen.

Ringen um Leben und Tod

M., einstiger Fußballstar, erinnert sich, dass er wohl aus der Narkose einer Schulter-Operation nicht richtig erwachte. Und F., Anwältin und Mutter einer fünfjährigen Tochter, dass sie den Fehler begangen habe, im Sommer Austern zu essen. Sie sei doch mit Lebensmittelvergiftung eingeliefert worden. Und nun soll sie Darmkrebs haben, wie die Ärzte sagen?

Aus diesen Zuständen entwickelt Regisseurin Rist ein surreales, mitunter ironisches Spiel mit Video, Musik und Off-Texten, in dem die Ärzte mit dem Tod um das Leben ringen, ohne ins Kalkül zu ziehen, was die Patienten überhaupt wollen. Immer wieder dazwischen: Fordernde oder überforderte, verzweifelte Angehörige, die mal den Medizinern, dann wieder einem Geistheiler vertrauen. Nicht nur die Patienten sind im System der Gesundheit gefangen, sondern auch die Ärzte, zwischen hippokratischem Eid und Termin- wie Finanzdruck, das sie mitunter selbst zum Opfer macht. Ohne Antworten zu geben, ist dieses fesselnde Spiel, dargeboten von einer überzeugenden Truppe, einerseits ein Plädoyer fürs Menschsein, andererseits eines, über die Menschlichkeit im Leben und Sterben nachzudenken.