Birgit und Markus Piechot sind seit 2015 Pastoren in Stuttgart West. Foto: Kathrin Wesely

Gott hat Birgit und Markus Piechot vergangenes Jahr nach Stuttgart geführt. Die beiden Offiziere der Heilsarmee leiten seither die Gemeinde im Stuttgarter Westen, die an der Rotebühlstraße 117a residiert.

S-West - Gott hat Birgit und Markus Piechot vergangenes Jahr nach Stuttgart geführt. Die beiden Offiziere der Heilsarmee leiten seither die Gemeinde im Stuttgarter Westen, die an der Rotebühlstraße 117a residiert. Von außen ahnt man nicht, was einen drinnen erwartet: Ein riesiger Saal mit Empore und Rundbogenfenster, der aussieht wie ein Kirchenschiff. Tatsächlich aber handelt es sich um einen Tanzsaal aus dem Jahr 1905. Lange Tischreihen mit Kerzen, Strohsternen und Reisigzweigen sind bereits für die Weihnachtsfeier aufgestellt. Es die zweite „Weihnachtsfeier für Jedermann“ für die Piechots. Im vergangenen Jahr waren sie noch ganz aufgeregt gewesen, wie viele wohl kommen und ob auch alles klappt.

Zutrauliche Schwaben

„Das ist dann hier wie ein riesiger Restaurantbetrieb“, sagt der 45-jährige Piechot. Bei der „Weihnachtsfeier für Jedermann“ gibt es nämlich außer Weihnachtsliedern, Predigt und Singspielen immer auch ein warmes Essen – in diesem Jahr Maultaschen mit Kartoffelsalat. So um die 160 Gäste waren Weihnachten 2015 da. Die soziale Mischung an den langen Tafeln konnte bunter nicht sein: „Da kommt so unsere typische Klientel aus Obdachlosen aber auch die Dame im Pelzmantel, die Heiligabend nicht allein verbringen will“, sagt Markus Piechot. Das Erstaunlichste für die Stuttgart-Neulinge war: „Die reden ja alle miteinander!“ Das sei schon eine schwäbische Besonderheit, dass da jeder gleich mit jedem ins Gespräch komme, sagt 49-jährige Birgit Piechot. „In Ostwestfalen, wo wir herkommen, wäre das undenkbar. Wenn man dort den ganzen Abend nebeneinander in der Kneipe sitzt und nichts redet, dann war’s schon ein gelungener Abend.“ Der Schwabe, das haben die Piechots beim ersten Weihnachtsfest in Stuttgart gelernt, ist ein warmherziges, aufgeschlossenes und kommunikatives Wesen. Geht runter wie Öl, gell?

Trotzdem war es dem Ehepaar nicht nur leicht gefallen, dem Ruf Gottes nach Schwaben zu folgen. Die Piechots hatten zuvor mit ihren fünf Kindern in einem Weiler nahe Bielefeld gewohnt, wo es rundum Grün ist und jeder jeden kennt. Er arbeitete in der Qualitätssicherung einer Papierfabrik und war praktisch nie zuhause. Sie, gelernte Krankenschwester, pausierte beruflich, um sich um die Kinder zu kümmern. „Gott hat mir dann ganz konkret gesagt, dass ich mich für die Gemeinde einsetzen und Pastor werden soll“, berichtet Markus Piechot. „Bei mir war’s so ähnlich“, sagt seine Frau über ihre Berufung. Die Ausbildung zum Pastor bei der Heilsarmee ist kein Theologiestudium, dauert aber auch mehrere Jahre und man gelangt dann in den Rang eines Leutnants. Als solcher wird man dorthin versetzt, wo immer gerade man gebraucht wird. Das kann man sich nicht aussuchen. Aber man Glück haben.

Alles voller Menschen hier!

Im September 2015 kamen die Piechots mit vier ihrer fünf Kinder in Stuttgart an. Ihr Zuhause ist die Wohnung über dem herrlichen Emporensaal an der Rotebühlstraße und wird von der Heilsarmee bezahlt. Ansonsten würde das Einkommen des Pastorenpaares, das „knapp über Hartz IV liegt“ in einer Großstadt nirgends hinreichen. „Die vielen Menschen überall“ hätten sie anfangs überfordert, gestehen die ehemaligen Landeier. Aber ihre Kinder hätten sich rasch eingelebt, wenngleich die schulischen Anforderungen nun spürbar höher seien, so der Vater – was unterm Strich nicht schade. „Die Kinder sind hier auch viel selbstständiger geworden. Ich muss sie nicht mehr überall hinfahren. Sie finden sich in der Stadt gut zurecht“, führt die Mutter an. Es hat sich alles gut gefügt in Stuttgart.

Ihrer zweiten „Weihnachtsfeier für Jedermann“ sieht das Pastorenpaar nach den Erfahrungen vom vergangenen Jahr weitaus gelassener entgegen. „Im letzten Jahr haben sich schon im November über 30 Helfer angemeldet, die trudelten dann Heiligabend auch alle ein. Wir kannten die ja nicht aber alles hat geklappt wie am Schnürchen. Das war eine interessante Gruppenerfahrung“, erzählt Markus Piechot. Seine Frau freut sich schon auf die Bescherung am Ende der Feier, wenn sie am Ausgang allen noch ein frohes Fest wünscht und eine Tüte in die Hand drückt. Eine Dose Eintopf, ein Stollen, Taschentücher, ein Schal und natürlich die aktuelle Ausgabe des „Heilsarmee Magazins“ sind darin. Kinder kriegen Extratüten. „Das friedliche Miteinander, die festliche Stimmung, und die Dankbarkeit der Menschen – das waren schöne Erfahrungen“, erinnert sich Birgit Piechot.

Für manchen, der die Gemeindehalle am Heiligabend gegen 19.30 Uhr verlässt, geht das Feiern anderswo weiter. „Viele haben da ihren festen Fahrplan: 15 Uhr Eva (Evangelische Gesellschaft), 17 Uhr Heilsarmee und dann weiter zur Leonhardskirche“, weiß der Pastor und grinst. Er gönnt den Leuten das Feiern. Seine Predigt wird er heuer über Menschen halten, „die sich abgehängt fühlen“. Für Piechot wird in unserer Gesellschaft zu schnell die Gleichung aufgemacht: „Arm ist gleich doof, leicht verführbar und wählt AfD.“ Auch die Politik begnüge sich mit solchen Vorurteilen und „orientiert sich immer an den Reichen und Gebildeten. Aber wer kümmert sich um die anderen?“