Loretta Petti bereitet drei mal wöchentlich einen Mittagstisch an. Foto: Kathrin Wesely

Loretta Pettis Lokal ist eine kulinarisch-kulturelle Institution im Quartier. Doch nun will der Vermieter die Wirtin und Veranstalterin nach 30 Jahren aus dem Lokal haben.

S-Süd - Teller dampfen auf rohen Holztischen, Gläser klirren, Ravioli baden in Salbeibutter, allerlei Gerüche wabern aus der Küche herüber. Um die Mittagszeit herrscht im Alimentari da Loretta Hochbetrieb. Die Mittagstischler lieben die sorgfältige italienische Küche, sie lieben Loretta Petti und alle, die ihr in der Küche zur Hand gehen. Das Alimentari an der Römerstraße 8 ist nicht einfach ein Bistro, es ist ein Zuhause über Mittag – geöffnet immer dienstags, donnerstags und freitags.

Und so ist es kein Wunder, dass Stammgäste Loretta Petti mit großen Hallo begrüßen. Dieser Tage gibt es noch jede Menge warmer Worte und Durchhalteparolen dazu. Die Kunde von der dräuenden Schließung des familiären Lokales samt angeschlossener Kulturgarage macht die Runde: Der Hausbesitzer hat Petti und sämtlichen Wohnungsmietern in den oberen Stockwerken gekündigt. Im Herbst nächsten Jahres soll Schluss sein – nicht nur mit der beliebten Kombüse, sondern auch mit den kulinarischen Musik- und Literatur-Abenden, die Loretta Petti in ihrem Hinterzimmer veranstaltet.

Gegen die Gentrifizierung des Quartiers

Flugs hat sich eine Solidargemeinschaft formiert und die Petition „Loretta muss bleiben!“ aufgesetzt. „Das Alimentari und die Kulturgarage dürfen nicht weggentrifiziert werden!“, heißt es im Aufruf. „Lyrik, Lieder und die Leidenschaft für eine gute Küche, Jazz und ein guter Espresso, Kleinkunst, Filme, Überlebensmittel: Loretta muss bleiben! In mehr als 30 Jahren ist in der Stuttgarter Römerstraße 8 ein Kleinod entstanden – ein Ort der Kultur, der Kommunikation und kulinarischer Köstlichkeiten, der nun durch die Kündigung der Gewerbe- und Wohnräume in höchster Gefahr ist.“ 300 Unterschriften kamen in den ersten drei Tagen zusammen. Erreicht die Eingabe bis Anfang Januar das Quorum von 3700 Unterzeichnern, kann die Internet-Plattform openPetition von den „zuständigen gewählten Vertretern“ eine Stellungnahme einfordern und hoffen, damit politisch Druck auszuüben.

Loretta-Besucher, Fans und Freunde, die nun um den Fortbestand der Institution bangen, sehen die Kündigung als weiteren Schritt der Gentrifizierung ihres Quartiers. Außer Frage steht, dass die Gegend um die Tübinger Straße immer teurer wird – die Geschäfte vornehmer und die Mieten höher. Dem klassischen Gentrifizierungsmuster folgt dies aber nicht, wonach eine urbane Avantgarde ein Viertel neu erschließt, um anschließend vom Kapital gekapert zu werden. Im Süden lief die Entwicklung anders. Attraktivität erlangte das Gebiet erst infolge der Neuordnung des Marienplatzes durch die Stadt im Jahr 2003. In den Folgejahren mauserte sich der einstige Treff für Dealer und Gestrandete allmählich zum Hot-Spot. Die Eröffnung des Stadtkaufhauses Gerber im Herbst 2014 und diverse verkehrsberuhigende Maßnahmen auf der Tübinger Straße taten ihr Übriges, die Anziehungskraft des Quartiers zu steigern. Gebäude wurden aufwendig saniert oder neu gebaut, teure Wohnungen entstanden – etwa ein Boarding-House für exklusives Wohnen auf Zeit – Kneipen und Lädchen verschwanden und verschwinden. Selbst am hinteren Ende der Tübinger Straße werden – wie man hört – inzwischen Ladenmieten von bis zu 40 Euro pro Quadratmeter verlangt.

Der Vermieter meldet Eigenbedarf an

Die Verfasser der Loretta-Petition und deren Unterzeichner mutmaßen, dass auch Pettis Vermieter sich diesen Braten nicht entgehen lassen will: „Mit der Kündigung würde nicht nur dieser authentische Ort wegsaniert, sondern auch der Prozess der Gentrifizierung neue, unangenehme Qualität bekommen.“

Petti ist seit 1996 Mieterin in dem Haus in der Römerstraße – nicht nur mit dem Laden, sie wohnt auch hier. Sie berichtet, ihre Miete sei immer nur moderat gestiegen. Vor wenigen Jahren habe ein Bekannter das Haus günstig erworben. Er habe ihr damals in die Hand versprochen, dass sie selbst, das Alimentari und die Kulturgarage im Haus bleiben dürften. Doch seit es zum Zerwürfnis gekommen ist, erinnere sich der Bekannte wohl nicht mehr an sein Versprechen, meint Petti.

Der Hausbesitzer selbst sagt dazu gar nichts. Er lässt seinen Anwalt sprechen. Zu der mündlichen Zusage von einst freilich äußert sich auch der Jurist nicht. Stattdessen betont er, dass die Kündigung aller Mieter rechtens und wasserdicht begründet sei. Sein Mandant wolle mit „seiner Familie in das Haus in der Römerstraße 8 in Stuttgart einziehen und mit dieser dort ausschließlich selber wohnen. Er stellt sich ein Mehrgenerationenhaus vor“. Die Kündigung eines Geschäftsraumes indessen bedürfe „gar keiner Begründung“, schreibt der Anwalt und liefert auch keine. Auch zu etwaigen Sanierungsplänen des wohl um 1900 erbauten Hauses gibt er keine Auskunft. Allerdings teilt er mit, dass Loretta Petti mittlerweile „eine strafbewährte Unterlassungserklärung“ abgegeben habe. Sie dürfe „wörtlich oder sinngemäß“ nicht mehr behaupten, sein „Mandant verfolge andere Zwecke als die oben dargestellten“.

Viel zu sagen braucht Loretta Petti in Anbetracht der vielen Fürsprecher ohnehin nicht mehr: Die interkulturelle Initiative Die Anstifter, die Unterzeichner der Petition, eine Reihe Kulturschaffender sowie Freunde und Gäste haben sich mittlerweile ihrer Sache angenommen. Ob es hilft?

„Wir suchen natürlich trotzdem nach einer Alternative“, sagt Petti mit resignativem Unterton. Ein neues Lokal käme aber bloß innerhalb des Quartiers infrage – wegen der vielen Stammgäste. Außerdem müsste die Miete so erschwinglich sein, dass sie günstige Preise verlangen und sich weiterhin leisten könne, bloß an drei Tagen die Woche mittags zu öffnen: „Ich möchte kein normales Lokal mehr führen mit Öffnungszeiten bis in die Nacht.“ Mit 67 Jahren dürfe man seine Ressourcen ruhig mal etwas schonen, meint die Wirtin.