Anwohner können wegen des Rotlicht-Betriebes nicht schlafen. Foto: Max Kovalenko/PPF

Quartierliebhaber, Hells Angels, Bordellbetreiber reden über das Leben im Rotlichtviertel. Anwohner können wegen des nächtlichen Betriebes teilweise nicht schlafen.

Mitte - Die Stadt möge Bordellbetreibern Häuser zur Verfügung stellen. Dann wäre der Straßenstrich im und um das Leonhardsviertel zwar nicht verschwunden, aber es würden wesentlich weniger käufliche Damen auf dem Gehweg um Freier werben. Diese Behauptung lässt sich gleichsam statistisch belegen – wenn auch nur im Umkehrschluss. „Wenn Laufhäuser geschlossen wurden, habe wir eine Zunahme des Straßenstrichs beobachtet“, sagt Wolfgang Hohmann. Im Lauf der Zeit verteilten sich die Frauen dann wieder auf neue Quartiere.

Hohmann leitet den Ermittlungsdienst Prostitution der Stuttgarter Polizei, landläufig ist er Chef der Sitte, und von ihm stammt nicht nur die Beobachtung, sondern auch der Vorschlag dazu. Dass er im Rathaus gefällt, darf bezweifelt werden. Es darf sogar bezweifelt werden, dass die Verantwortlichen im Rathaus sich über die Verhältnisse in der Altstadt Stuttgarts im Klaren sind. „Es ist sehr interessant, einmal zu hören, was im Viertel wirklich los ist.“ So sagt es Uli Endreß, mithin einer, der per Amt informiert sein müsste. Er sitzt für die Christdemokraten im Gemeinderat.

Das Stadtparlament spricht immer wieder über das Leonhardsviertel, gelegentlich mit bemerkenswertem Ergebnis. Fritz Kuhn, der Oberbürgermeister, hat ein stadteigenes „Bündnis gegen Zwangs- und Armutsprostitution“ angekündigt. Zwangsprostitution ist selbstverständlich ohnehin illegal, und zu den ersten Vorschlägen im Rat gehörte, Freiern eine Kondompflicht aufzuerlegen. Darüber, wer kontrolliert, wurde nichts beschlossen. Über das wirkliche Leben im Quartier wird einmal jährlich diskutiert, am runden Tisch Leonhardsviertel. Tatsächlich ist der runde Tisch der mittlere Sitzungssaal im Rathaus. Der ist so gut gefüllt wie sonst nur, wenn die Stadträte über Stuttgart 21 sprechen. Rund 80 Interessierte sind gekommen, an einem Wochentag um 17 Uhr. Kuhn hat außerdem einen „Masterplan“ fürs Leonhardsviertel angekündigt. Allerdings ist der zum Sitzungstermin noch nicht fertig. Er soll zunächst im eigenen Unterausschuss Leonhardsviertel des Gemeinderats vorgestellt werden. Der tagt am 4. Februar. Was die Ämter erdacht haben, wird aber erst später bekannt. Publikum ist bei jenen Sitzungen unerwünscht.

Ohnehin wirkt der Begriff Masterplan beim Blick in den Sitzungssaal übergestülpt, wie ein Wort, das in einem anderen Teil Stuttgarts erdacht wurde, Mühlhausen vielleicht oder Frauenkopf. Die Hells Angels sind im Publikum vertreten, Betreiber von Bordellen, Altstadtwirte, Hausbesitzer, Sozialarbeiter, gewöhnliche Bewohner, die aus Liebe zur Altstadt im Viertel leben. Entgegen allem Anschein gibt es auch sie. Selbst die Caritas ist im Quartier ansässig. Die gewöhnlichen Bewohner sind es, die sich über den Straßenstrich beklagen, nicht, weil sie die Huren aus der Stadt jagen wollen. Sie können wegen des Betriebs vor ihren Fenstern schlicht nicht schlafen. Andere verdienen mit eben diesem Betrieb Geld, sei es mit Sex oder mit Snacks.

Selbstverständlich ist all dies nicht neu. „Ich habe das Gefühl, wir kommen nicht weiter“, sagt Manuel Krauß, der Vorsitzende der SPD in der Stadtmitte. Die Stadt müsse einmal 20 Millionen Euro ausgeben, um Häuser im Quartier zu kaufen und zu bestimmen, wer einzieht. Das ist sein Vorschlag. Der klingt zwar schlüssig, nur „stehen keine Häuser zum Verkauf“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Was nicht weiter wundert, denn Hausbesitz im Quartier gleicht der Lizenz zum Diamantenabbau. Sogar Studentengemeinschaften haben schon damit geliebäugelt, sich im Leonhardsviertel einzumieten. Allerdings zahlt die junge weibliche Konkurrenz um die Wohnungen 150 Euro pro Zimmer – nicht monatlich, täglich.

Abgesehen davon ist von dem Vorschlag, Geld ins Leonhardsviertel zu investieren, erwiesen, dass er im Rathaus nicht gefällt. Schon vor fünf Jahren hatte die Runde gefordert, die Stadt möge mit zusätzlichen Laternen dunkle Ecken ausleuchten. In den Haushaltsberatungen zum Jahreswechsel hat der Gemeinderat diesen Wunsch erneut abgelehnt.