Im Kunsthandwerkerdorf Werchnije Mandrogi wird ordentlich aufgetischt. Foto: Brustein

Manche sagen, es sei das schönste Dorf in ganz Russland: Werchnije Mandrogi. Dort geht es um das Wiederbeleben alter Traditionen.

Werchnije Mandrogi - Viele Flusskreuzfahrtsschiffe machen Halt im Kunsthandwerkerdorf Werchnije Mandrogi. Doch für einen Kurzaufenthalt ist dieses Kleinod viel zu schade. Man braucht Zeit, um die vielen Künstler und Kunsthandwerker, die hier leben und arbeiten, persönlich kennenzulernen und ihnen bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Werchnije Mandrogi (russisch: Obere Stromschwelle) ist gleichzeitig eine Ferienanlage, ein Kunsthandwerksdorf und ein Museumsdorf. Hier gibt es nicht nur nachgebaute Häuser im russischen Stil, sondern auch Bauernhäuser aus dem 19. Jahrhundert, die aus den verlassenen Dörfern im Norden Russlands umgesetzt wurden. Sogar eine alte Windmühle fand ihren Platz.

Das Dorf befindet sich im Landbezirk Podporoschje im Leningrad-Gebiet, 270 Kilometer nordöstlich von Sankt-Petersburg. Es liegt am Fluss Swir, der den Onega-See mit dem Ladoga-See verbindet. Seine Blütezeit erlebte es unter dem Zaren Peter dem Großen, als hier eine Schiffswerft errichtet wurde. Im Zweiten Weltkrieg brannte das Dorf nieder und wurde von seinen Bewohnern verlassen. Die Gäste von Werchnije Mandrogi bestaunen vor allem die verspielten, fantasievollen Holzhäuser, die an Bojaren-Residenzen aus dem 17. Jahrhundert erinnern und mit großer Liebe zum Detail mit Holzschnitzereien geschmückt sind.

In manchen dieser Gebäude können die Touristen übernachten. In den anderen befinden sich die Werkstätten von Kunstschmieden, Töpfern, Webern, Strickerinnen, Klöpplerinnen und anderen Meisterinnen und Meistern des traditionellen russischen Handwerks. Alle Werkstätten können besichtigt werden. Die Besucherinnen und Besucher bekommen nicht nur die Gelegenheit, nette Andenken zu kaufen, sondern können auch selbst Hand anlegen. Unter fachmännischer Anleitung bemalen sie Matrjoschkas (russische Schachtelpuppen), stricken, weben, klöppeln und töpfern. Manche sagen, Werchnije Mandrogi sei ein für Touristen nachgebautes Dorf. Reitlehrer und Kutscher Wladimir Timofeew ist mit dieser Formulierung nicht einverstanden.

Menschen aus der ganzen Welt treffen

„Unsere Gemeinde ist keineswegs ein Touristen-Dorf, sondern eine ganz normale ländliche Siedlung. Wir leben in einem russischen Dorf wie aus dem Bilderbuch. Vielleicht ist es das schönste Dorf in ganz Russland“, sagt der stämmige Mann mit dem Vollbart. Timofeew lebt seit 2004 im Werchnije Mandrogi. „Früher arbeitete ich in einer Pferdezuchtanstalt, die Pleite ging. Ich kam hierher, weil es hier immer Feriengäste gibt, die meine Dienstleistungen brauchen. Manche Leute wollen Reitunterricht nehmen. Andere bevorzugen es, sich in einer Kutsche fahren zu lassen.“ Doch es waren nicht nur wirtschaftliche Gründe, die Timofeew zu einem Umzug nach Werchnije Mandrogi brachten. Er schätzt auch die Möglichkeit, sich mit den Menschen aus der ganzen Welt zu unterhalten.

„Wir sind hier für die Begegnung mit ausländischen Besuchern gut vorbereitet“, sagt der freundliche Mann, „ich spreche einigermaßen Deutsch. Die anderen Kutscher beherrschen Englisch und Französisch. Auch die anderen Mitarbeiter können sich immer in einer oder auch mehreren Fremdsprachen verständlich machen.“ Ein Anziehungspunkt der Anlage ist das Wodka-Museum, wo 3041 Wodka-Flaschen aus fast allen Regionen Russlands ausgestellt sind. Klar, das es für die Gäste auch Kostproben gibt. „Es ist für uns praktisch, wenn die Touristen nicht ganz nüchtern sind. Auf diese Weise kaufen sie mehr Souvenirs,“ sagt augenzwinkernd die junge Verkäuferin. In den neunziger Jahren bediente man in Werchnije Mandrogi vor allem Flusskreuzfahrtsgäste.

Es gab nur wenig Interessierte, die hier länger bleiben wollten und eine Übernachtungsmöglichkeit brauchten. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Der Urlaub in der Heimat wird bei den Russen immer beliebter. Als Zielgruppe entdeckte man in der Ferienanlage vor allem Familien mit Kindern. Nicht nur die Begegnungen mit den Kunsthandwerkern sind für die jungen Gäste interessant. Sie erforschen auch gerne das traditionelle bäuerliche Leben. Die Bewohner von Werchnije Mandrogi halten Pferde, Kühe, Schweine, Gänse, Rebhühner und andere Nutztiere.

Stadtkinder brauchen den Kontakt mit der Tierwelt

„Viele Kinder fragen mich, ob sie Pferde und auch andere Tiere streicheln und füttern dürfen. Manche wollen auch bei der Arbeit im Viehstall behilflich sein. Selbstverständlich erfüllen wir diese Wünsche. Die Stadtkinder brauchen den Kontakt mit der Tierwelt, den sie in ihrem alltäglichen Leben meistens nicht haben,“ so Timofeew. Auch Angler und Pilzesammler gehören zu den Stammgästen. Der fischreiche Fluss Swir und die umliegenden Wälder bieten die besten Voraussetzungen dafür. Auch diejenigen Besucher, die etwas Luxus wünschen, kommen auf ihre Kosten. Vor einigen Jahren wurde im Dorf ein elegantes Gutshaus im Stil der Petersburger Adligenpaläste aus dem 19. Jahrhundert errichtet. Das Haus wird nur komplett vermietet und kostet umgerechnet etwa 1100 Euro pro Tag. In einem Wäldchen, das sich auf dem Gelände der Ferienanlage befindet, werden in überlebensgroßen Holzfiguren Szenen aus dem Alexander-Puschkin-Verseepos «Ruslan und Ludmila» dargestellt.

Diese Märchengestalten sind auch vielen westlichen Opern-Liebhabern bekannt, die die gleichnamige Oper von russischen Komponisten Michail Glinka aus dem Jahre 1842 kennen. In dem Dörfchen stehen für die Gäste auch mehrere Banjas direkt am Fluss Swir zur Verfügung. Nach dem Schwitzen in diesen traditionellen Dampfbädern kann man ins kalte Wasser springen. Ein Bademeister, Banschtschik genannt, bietet zudem eine kräftige Birkenzweigbündel-Massage an und macht Aufgüsse mit Kräuteressenzen - denn für Russen ist ein Erholungstag ohne einen Banja-Besuch eigentlich fast undenkbar.

Infos zu Russland

Anreise
Täglich gibt es mehrere Züge, die vom Ladoschskij-Bahnhof in Sankt-Petersburg abfahren und nach etwa vier Stunden die Bezirksstadt Podporoschje erreichen. Von dort aus fährt man 30 Kilometer mit dem Taxi bis zum Dorf Werchnije Mandrogi. Die Zugfahrt in eine Richtung kostet 25 bis 50 Euro, eine Taxifahrt etwa 20 Euro. Ein Visum erteilt die Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, Tel. 030 / 2 29 11 10, www.russische-botschaft.de

Unterkunft
Im Feriendorf Werchnije Mandrogi gibt es verschiedene Unterbringungsmöglichkeiten. Ein Hotelzimmer ohne Frühstück kostet zwischen 70 bis 140 Euro pro Tag. Für die Vermietung der Ferienhäuser, die bis zu drei Schlafzimmer haben, werden 210 bis 400 Euro pro Tag berechnet. Wer im prachtvollen Gutshof residieren möchte, zahlt umgerechnet 1100 Euro pro Tag. Auf dem Gelände gibt es ein Restaurant mit exzellenter russischer Küche und für die örtlichen Verhältnisse gehobenen Preisen. Ein Abendessen ohne Wein kostet ab 25 Euro pro Person.

Alle Ferienhäuser sind mit Küche ausgestattet. Die selbstständige Zubereitung der Mahlzeiten ist aber nicht erlaubt. Die Gäste sind aufgefordert, sich vom Kochpersonal der Ferienanlage bedienen zu lassen. Persönliche Wünsche bezüglich der Verpflegung werden gerne berücksichtigt. Auf der Internetseite des Feriendorfes Werchnije Mandrogi gibt es Informationen in russischer und englischer Sprache. Man kann aber in der Verwaltung der Ferienanlage alle notwendigen Informationen auf Deutsch anfordern, E-Mail-Adresse: office@mandrogi.ru, www.mandrogi.ru

Organisierte Reisen
Mehrere Reiseveranstalter bieten Russland- Flusskreuzfahrten an, die auch einen Besuch im Feriendorf Werchnije Mandrogi beinhalten, etwa das Stuttgarter Unternehmen Nicko Tours, Tel. 07 11 / 24 89 80-0, www.nicko-tours.de , oder Phoenix Reisen in Bonn, Tel. 02 28 / 92 60 55, www.phoenixreisen.com .

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