Yekaterina Osmolkina mit Maxim Zyuzin in „Chopiniana“ Foto: Natasha Razina / Mariinsky Theatre

Mit sechs Lastwagen voller Kulissen und Kostüme ist das Mariinsky-Ballett in diesem Jahr angereist. Mit seinen Ballettklassikern verbreitet die weltberühmte Kompanie aus Sankt Petersburg Märchenstimmung im Festspielhaus Baden-Baden. Doch auch die Tänzer lassen sich gern verzaubern: von der pittoresken Kurstadt.

Baden-Baden - Wer derzeit durch die Innenstadt von Baden-Baden schlendert, dürfte stutzig werden: an jeder Ecke diese gertenschlanken, jungen Leute, sehr aufrecht, die ausgedrehten Füße dick in flache Stiefel gepackt. Die Einheimischen wissen, was das bedeutet. Das Mariinsky-Ballett ist in der Stadt. Mit 160 Tänzern sind die Sankt Petersburger nun schon zum 16. Mal über Weihnachten in der Kur- stadt. Mitgebracht haben sie ihren Intendanten Valery Gergiev, Orchester, Ballettmeister, Techniker und Mitarbeiter aus der Kostümabteilung und Maske. Das Hotel am Sophienpark unweit des Festspielhauses ist für eine Woche fest in russischer Hand.

Yekaterina Osmolkina hat aufgehört, ihre Auftritte in Baden-Baden zu zählen. „Anfangs war ich jedenfalls noch im Corps de ballet“, sagt die Erste Solistin auf Russisch. Eine Übersetzerin ist beim Gespräch mit der Moldawierin dabei, die seit 1999 Mitglied des Mariinsky-Balletts ist und zu den Stars des weit über 200-köpfigen Ensembles zählt. „Ich fühle mich hier schon wie zu Hause“, beschreibt Osmolkina die Beziehung zu ihrem häufigsten Gastspielort. Denn außer in Baden-Baden gastiert das Mariinsky so regelmäßig und umfangreich nur in Washington D. C., allerdings noch nicht über einen so langen Zeitraum hinweg.

Im Festspielhaus hat Osmolkina dieses Jahr die „Chopiniana“ in der gleichnamigen Choreografie von Mikhail Fokine getanzt und wird am Nachmittag des ersten Weihnachtstags die Titelrolle von „Giselle“ verkörpern. Außer von ihrem Ehemann, ebenfalls Mariinsky-Tänzer, wird sie nun schon zum zweiten Mal vom ältesten ihrer beiden Söhne begleitet. „Er ist sechs Jahre alt und hatte sich schon das ganze Jahr auf die wunderschöne Atmosphäre hier gefreut.“ Mit ihm durch die Innenstadt mit all ihrem Lichterschmuck zu schlendern, das sei wie im Märchen. Auch für einen Bummel über den Weihnachtsmarkt vor dem Spielkasino wollen sie sich noch Zeit nehmen.

Viele Tänzer haben ihre Kinder dabei

Der Junge ist nicht das einzige Tänzer-Kind, das die Feiertage in Deutschland miterlebt und das russische Weihnachtsfest am 7. Januar noch vor sich hat. Bei der Generalprobe zum dreiteiligen Mikhail-Fokine-Abend sitzen eine ganze Schar Sprösslinge in den Reihen des 2500 Plätze umfassenden Zuschauerraums.

Die Tänzer haben bei diesem Gastspiel viel zu tun: Training, Proben und sieben Vorstellungen. Und doch atmen die Kompaniemitglieder förmlich auf, sobald sie in Süddeutschland ankommen. „Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen wie Ferien an und ist für uns jedes Mal erholsam“, bestätigt Osmolkina. Die Tage sind länger als im hohen Norden, die Luft ist besser als in Sankt Petersburg, und man habe auch genügend Zeit für einen Besuch den Caracalla-Thermen, um durch den Park zu spazieren und Geschenke für die Lieben daheim zu kaufen.

Insbesondere die Stars der weltberühmten Kompanie genießen es, in dem Kurort unbeobachtet zu sein. „Die Leute erkennen schon, dass ich eine Tänzerin bin, und bringen mich mit dem Mariinsky in Verbindung, aber sie erkennen mich nicht persönlich“, sagt die Erste Solistin. Einmal hat sich Yekaterina Osmolkina sogar einen Weihnachtsbaum nach Russland mitgenommen – einen echten, keinen aus Plastik. „Der war so wunderschön, dass ich nicht an ihm vorbeikonnte“, erzählt sie lachend. „Natürlich haben wir auch in Russland Christbäume. Aber die sind gewöhnlich. Ein Weihnachtsbaum aus Baden-Baden: Das ist sehr exquisit!“

An Festspielhaus-Zuschauern schätzt Osmolkina, dass sie die Auftritte des Mariinsky-Balletts als richtiges Ereignis wahrnehmen: „Sie ziehen sich schön an, stimmen sich auf die Veranstaltung ein und erscheinen oft mit der ganzen Familie.“ Auch wenn die Bühne des Festspielhauses etwas kleiner ist als im Mariinsky-Theater an der Newa und die Seitenbühnen unterschiedlich dimensioniert sind: Nach einer kurzen Phase der Umgewöhnung in den Proben nimmt sie solche Unterschiede während einer Aufführung nicht mehr wahr. Wohl aber die ganz besondere Aufmerksamkeit im Saal: „Die Energie des Publikums spüre ich immer: Sie ist oft herzlicher und wärmer als zu Hause.“

Das Mariinsky-Ballett setzt auf Klassiker

Abgesehen von der Ballett-Gala am 27. Dezember mit ein paar moderneren Stücken setzt das Mariinsky-Ballett auch in diesem Jahr auf Klassiker: „Schwanensee“, „Giselle“ und „Chopiniana“, wie das handlungslose Ballett „Les Sylphides“ auch genannt wird, stehen auf dem Programm. Zudem die von den legendären Ballets Russes stammenden Stücke „Feuervogel“ und „Scheherazade“. „Tatsächlich tanzen wir hier häufig ,Schwanensee‘. Die Besucher sehen sich das Stück immer wieder gern an.“ Ob diese Fokussierung beim riesigen Repertoire ihrer Kompanie nicht schade sei? Ihre Antwort: „In Westeuropa ist das Moderne besser vertreten als bei uns. Insofern bietet es sich an, gerade hier die besten Klassiker zu zeigen.“ Wenn sie an ein Stück denkt, das in Baden-Baden wieder einmal auf den Spielplan gehöre, dann wäre es das Handlungsballett „La Sylphide“. Anders als etwa das Stuttgarter Ballett zeigen die Sankt Petersburger das Märchen nicht in der Fassung von Peter Schaufuss, sondern in der Choreografie von August Bournonville. „Ich liebe dieses Ballett und die Rolle der Sylphide“, schwärmt die Tänzerin.

Nach der Gastspielwoche in Baden-Baden hat Yekaterina Osmolkina wie alle ihrer heimkehrenden Kollegen ein paar freie Tage. Dann steht im Mariinsky-Theater die große Silvestergala an. Der Jahreswechsel markiert traditionell den Start in die Winterferien. Doch an Baden-Baden wird Osmolkina mit ihrer vierköpfigen Familie immer wieder denken. Sogar ihr noch keine drei Jahre alter Jüngster führt den Namen der Stadt im Mund. „Dabei weiß er noch gar nicht, was Baden-Baden bedeutet.“

Karten gibt es noch für folgende Vorstellungen: „Schwanensee“ am 25. Dezember, 17 Uhr (Restkarten); „Giselle“ am 26. Dezember, 14 und 19 Uhr, und für die „Ballett-Gala“ am 27. Dezember, 19 Uhr, unter Telefon 0 72 21 / 3 01 31 01 oder online unter www.festspielhaus.de