Immer mehr Senioren buchen Reisen mit ärztlicher Begleitung. An der Seite eines Mediziners fühlen sie sich sicherer - obwohl der im Ausland nicht praktizieren darf.

Vor zwei Jahren buchte Herbert Holtgrefe aus Niedersachsen zum ersten Mal eine ärztlich begleitete Rundreise. Er ging mit dem Spezialreiseveranstalter Mediplus nach Vietnam und nach Kambodscha. „Es gab die Reise mit und ohne ärztliche Begleitung“, berichtet der 58-jährige Ruheständler. „Der Preisunterschied war nur gering, deshalb habe ich mich spontan für die Variante mit ärztlicher Begleitung entschieden.“ Obwohl damals nichts passierte, würde sich Herbert Holtgrefe wieder für eine ärztlich begleitete Reise entscheiden: „Durch die Anwesenheit des Arztes fühle ich mich ganz klar sicherer.“ Mit fortschreitendem Alter nimmt bei vielen Reisenden die Unsicherheit zu. Vor allem Senioren im Ruhestand fürchten sich davor, im Ausland krank zu werden - auch, weil sie der Landessprache oft nicht mächtig sind.

Ärztlich begleitete Reisen scheinen ein guter Kompromiss zu sein. Bei ihnen reist ein Arzt zusammen mit den Teilnehmern einer Pauschal- oder Rundreise ins Ausland. Er leistet ihnen von der Abreise am Flughafen bis zur Rückkehr nach Deutschland Gesellschaft. Je nach Anforderung des jeweiligen Reiseveranstalters spricht der Mediziner Englisch (oder mehrere Fremdsprachen) und kann eine tropenmedizinische Zusatzqualifikation vorweisen. Außerdem sollte er noch praktizieren.

Gabriele Gaschler begleitet ein- bis zweimal pro Jahr die Rundreisen von Tour Vital. Dabei musste die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren schon öfter Erste Hilfe leisten - zum Beispiel, wenn ein Teilnehmer beim Aussteigen aus dem Bus stürzte oder mit dem Fuß umknickte. „Etwas Schlimmeres ist zum Glück noch nicht passiert“, sagt Gabriele Gaschler. Darauf vorbereitet ist die Ärztin aber: Vor der Reise informiert sie sich über die Krankenhäuser und Mediziner in der näheren Umgebung - „außerdem habe ich immer meine Reiseapotheke im Gepäck“. Und die kommt häufig zum Einsatz. Besonders in exotischen Ländern wie Indien oder China leiden die Urlauber immer wieder unter Magen-Darm-Infekten oder stecken sich mit einer Sommergrippe an.

Bis zu 250 Euro mehr für einen Arzt

Trotzdem dient die Anwesenheit eines Mediziners vor allem dem Sicherheitsgefühl der Teilnehmer: Seine Approbation gilt - mit Ausnahmen in der EU und in der Schweiz - ausschließlich in Deutschland. Das heißt: Bei einem Notfall dürfte der Arzt einen Teilnehmer zwar reanimieren, für die weitere Behandlung müsste dieser aber ins Krankenhaus zu einem lokalen Mediziner. Ralf Baumbach, Geschäftsführer von Mediplus, sieht den Mehrwert des begleitenden Mediziners darum in dessen Funktion als sachverständiger Ersthelfer: „Der Arzt garantiert, dass man die schnellste und kompetenteste Hilfe bekommt und nicht erst drei Stunden auf einen Krankenwagen warten muss.“ Tom Rostek vom Reiseveranstalter Dertour fügt hinzu, der Mediziner agiere auch als Ansprechpartner für die Urlauber: „Für sie ist der Arzt eine Vertrauensperson in persönlichen Angelegenheiten.“ Die Kosten für diesen Service legen die Reiseveranstalter auf die Teilnehmer um: Zwischen 50 und 250 Euro zahlen sie gegenüber einer vergleichbaren Reise ohne Mediziner drauf. Der begleitende Arzt reist gratis. Kosten für Medikamente oder eine Behandlung tragen die Teilnehmer trotzdem selbst.

Die Reiseveranstalter legen ihnen meist den zusätzlichen Abschluss einer Auslandskrankenversicherung nahe. Die erste ärztlich begleitete Reise wurde 2002 von Mediplus organisiert. Seitdem folgten viele Reiseveranstalter diesem Vorbild. Bei fast allen stehen Fernziele im Fokus. „Innerhalb Europas ist die medizinische Versorgung gut. Eine Reise durch Sizilien oder Andalusien muss man nicht mit einem Arzt machen“, sagt Hans Emde, Geschäftsführer von Tour Vital. Inzwischen hat auch Dertour umgesattelt. Der Reiseveranstalter nahm ärztlich begleitete Reisen 2014 ins Programm, zu ausschließlich europäischen Destinationen.

Das hat sich geändert: Ab 2015 stehen nur noch Fernziele im Dertour-Katalog. Die Nachfrage sei wesentlich größer als bei innereuropäischen Reisen, so der Veranstalter. In den vergangenen Jahren stieg die Nachfrage bei allen Reiseveranstaltern kontinuierlich. Bei Tour Vital macht das Angebot inzwischen 40 Prozent des Gesamtumsatzes aus, bei Mediplus sorgen ärztlich begleitete Reisen jährlich für Einnahmen von etwa 16 Millionen Euro (zehn Prozent des Umsatzes). Nicht zuletzt durch den demografischen Wandel in der Gesellschaft sind ärztlich begleitete Reisen ein wachsender Markt. Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2050 zwei Drittel aller Deutschen 60 Jahre oder älter sein. Ein weiterer Faktor für die steigende Beliebtheit der Reisen: Das Reiseverhalten der Senioren hat sich gewandelt.

Kunden sind hauptsächlich reiseerfahrene Urlauber ab 60 Jahren

„Im Vergleich zu früher verreisen sie häufiger mit dem Flugzeug und ziehen öfter einen Auslandsaufenthalt dem Urlaub in Deutschland vor“, erklärt Marthe Bähre von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR). Die Zahl der Urlaubsreisen der über 60-Jährigen habe sich von 1996 bis 2006 zudem um satte 45 Prozent auf 21 Millionen pro Jahr erhöht. Sibylle Zeuch, Sprecherin des Deutschen Reiseverbandes (DRV), bezeichnet ärztlich begleitete Reisen dennoch als „Nischenangebot“: „Die Kunden sind hauptsächlich reiseerfahrene Urlauber ab 60 Jahren sowie chronisch kranke Menschen. Die fühlen sich wohler, wenn jemand dabei ist, der ihre medizinische Vorgeschichte kennt.“

Chronisch Kranke sind aber nicht bei allen Reiseveranstaltern erwünscht. Hans Emde von Tour Vital zum Beispiel schließt die Teilnahme von Menschen mit schweren Erkrankungen aus. „Unsere Kunden muss man sich generell als agil und sehr interessiert an fremden Ländern vorstellen. Das Angebot richtet sich eben nicht nur an eine ältere Klientel.“ Gabriele Gaschler bestätigt: „Es reisen auch viele Jüngere mit. Auf einer Indienreise war zum Beispiel ein 35-Jähriger dabei.“ Für die Ärztin aus dem bayerischen Oy-Mittelberg sind ärztlich begleitete Reisen ein Bildungsurlaub, der ihren Beruf mit ihrer Leidenschaft fürs Reisen verbindet. Sie genießt vor allem die gute Stimmung in den Gruppen: „Das sind Gemeinschaften interessierter und reiselustiger Menschen, mit denen ich gerne unterwegs bin.“

Fan werden auf Facebook: https://www.facebook.com/fernwehaktuell