Das Rudolf-Sophien-Stift um 1900. Die Anlage hat sich seit damals kaum verändert Foto: Rudolf-Sophien-Stift

Vor 100 Jahren wurde das Rudolf-Sophien-Stift eingeweiht. Gedacht war es als Sanatorium. Die Gäste reisten per Bahn an. Heute ist die Haltestelle weg und in dem Bau eine psychiatrische Klinik und ein Reha-Zentrum untergebracht. Die Geschichte des Stifts spiegelt auch die Entwicklung in der Psychiatrie.

Stuttgart - Die Kulisse könnte aus Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ sein: Das Rudolf-Sophien-Stift am Schattenring liegt abgeschieden auf einer Anhöhe im Stuttgarter Süden und ist umgeben von Natur pur. Das repräsentative blass rote Gebäude lässt die Noblesse früherer Tage spüren. Der Pavillon, der einst Liegehalle war, steht noch. Von der Terrasse im obersten Geschoss ist der Blick auf den Wald und den Park des Stifts atemberaubend. Eingeweiht wurde das Haus am 1. August 1914. Zwischen 1913 und 1915 schrieb Mann auch den größten Teil seines Romans „Der Zauberberg“, in dem es um die Gäste eines schweizer Sanatoriums geht.

Die Idee, die hinter dem Rudolf-Sophien-Stift steckt: Im Grünen sollte es ein Erholungsheim für die bürgerliche Mittelschicht in Stuttgart geben. Dafür stifteten Rudolf Knosp,Gründer der BASF, und seine Frau Sophie 1895 zwei Millionen Mark. Baubeginn war erst sieben Jahre später. „Die Stadt und der Gemeinderat hatten kein Interesse daran“, begründet Jürgen Armbruster, Geschäftsführer des Stifts, die lange Zeit bis zum Baustart. Entworfen hat das Gebäude-Ensemble der Stuttgarter Architekt Rudolf Lempp, zusammen mit Paul Bonatz und Paul Schmitthenner ein Vertreter der so genannten Stuttgarter Schule. Die Architekturrichtung setzte auf eine konservative, solide Bauweise mit Jugendstilelementen.

Doch statt erholungsbedürftige Stuttgarter wurden zunächst verwundete Soldaten im Rudolf-Sophien-Stift gepflegt. Denn inzwischen war der Erste Weltkrieg ausgebrochen und das Stift noch bei der Einweihung als Lazarett beschlagnahmt worden. Nach Kriegsende wurde das Gebäudeensemble renoviert. Und 1919 reisten dann tatsächlich Stuttgarter Bürger aus dem Mittelstand an, um sich in dem Stift von Krankheiten oder den Strapazen des Alltags zu erholen. Viele kamen noch mit der Eisenbahn, stiegen vor dem Haus an der Haltestelle Wildpark / Rudolf-Sophien-Stift aus.

Dann der Zweite Weltkrieg: Wieder erlebte das Gebäude eine Nutzungsänderung. Diesmal beschlagnahmte die Luftwaffe einen Gebäudeflügel und brachte dort die Büros für die Stabsdienststelle unter. Nach Kriegsende wurde das Stift zunächst von der französischen, dann von der amerikanischen Armee beschlagnahmt. Nachdem die das Gebäude wieder geräumt hatten, zog das Cannstatter Krankenhaus ein. Denn während das Stift mit zwei Bombeneinschlägen den Krieg glimpflich überstanden hatte, war die Klinik in Bad Cannstatt bei Fliegerangriffen völlig zerstört worden.

1970 zog das Krankenhaus aus, die Eisenbahnhaltestelle wurde abgebaut und die Stadt verkaufte das Anwesen an die Stiftung für Bildung und Behindertenförderung Stuttgart (heute Heidehof-Stiftung) von Robert Bosch, dem Jüngeren, und Eva Madelung. Beide sind Kinder des Stuttgarter Unternehmers Robert Bosch. Robert Bosch junior hatte eine Ausbildung als Psychoanalytiker, seine Schwester war Familientherapeutin. Beide kannten die Defizite in der Psychiatrie: Psychisch kranke Menschen wurden damals noch in Großkliniken wie Winnenden und Zwiefalten in Sälen mit bis zu 30 Patienten untergebracht. Es gab zu wenig gut ausgebildetes Personal. Rehabilitation war ein Fremdwort. Viele Patienten kamen nie wieder aus den Kliniken raus. „Die Geschwister machten diese Situation zu ihrem Thema. Das Rudolf-Sophien-Stift wurde bundesweit zu einer der ersten Einrichtungen, die sich die psychotherapeutische Behandlung und Rehabilitation zur Aufgabe machte“, sagt Geschäftsführer Armbruster. 1973 wurde ein Übergangswohnheim und eine Werkstatt für psychiatrische Patienten eröffnet. 1977 kam die psychiatrische Klinik mit 16 Betten dazu.

Anfang der 80er Jahre starten die Evangelische Gesellschaft und der Caritasverband in Stuttgart mit dem Aufbau eines Hilfsangebots für psychisch Kranke. 2006 übernahm die Evangelische Gesellschaft Stuttgart die Trägerschaft für das Stift. Im Altbau wohnen heute noch 36 Patienten. In einem umzäunten Neubau sind 16 Patienten untergebracht, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich selbst etwas antun könnten. Außerdem leben im gesamten Stadtgebiet 70 Menschen in Wohngruppen und 30 in ambulanten Wohnungen der Rudolf-Sophien-Stift gGmbH. 460 Männer und Frauen arbeiten in den Werkstätten.

An die Gründerfamilie des Stifts, Sophie und Rudolf Knosp, sowie an Robert Bosch den Jüngeren und seinen Vater erinnern noch heute die Porträts an der Wand im ersten Stock im Altbau.