Die Stuttgarter Richter müssen über die Befehlskette Foto: dpa

Vergewaltigung,Tötung und Plünderung im Kongo - dafür müssen sich seit 2011 zwei Männer aus Mannheim und dem Kreis Esslingen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Die Verteidigung spricht dem Hauptangeklagten allerdings die nötige Macht für die Taten ab.

Stuttgart - Am Ende geht’s ganz flott: Mehr als vier Jahre lang zieht sich der Prozess gegen zwei ruandische Rebellenführer vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht dahin wie zäher Kaugummi. Mit rund 300 Beweisanträgen und weit mehr als 700 Verfahrensanträgen haben die Verteidiger den 5. Strafsenat bombardiert, dessen Richter sich 37-mal einem Befangenheitsantrag stellen mussten. Das alles hat das Verfahren mit mittlerweile 315 Verhandlungstagen zu einem Mammutprozess aufgebläht. Doch zum Finale gibt sich die Münchner Anwältin Ricarda Lang plötzlich ganz jovial, sachlich und knapp.

Exakt 30 Minuten benötigt die Verteidigerin in ihrem Schlussplädoyer am Montag, um darzulegen, warum ihr Mandant, der Rebellenchef Ignace Murwanashyaka, unschuldig und freizusprechen sei. Der in Mannheim lebende Präsident der ruandischen Hutu-Miliz FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“) habe weder die Möglichkeit noch die Entscheidungsgewalt gehabt, die Kriegsverbrechen im Osten des Kongos zu befehlen, zu befördern oder zu verhindern.

Der Generalbundesanwalt sieht in dem 52-Jährigen einen Kriegsherrn, einen „Warlord mitten in Mannheim“, der zusammen mit seinem Stellvertreter Straton Musoni aus Neuffen (Kreis Esslingen) die Rebellengruppe im Kongo per Satellitentelefon, E-Mail und SMS kontrolliert habe und fordert eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen Massakern in fünf kongolesischen Dörfern im Jahr 2009. Darüber hinaus will Bundesanwalt Christian Ritscher erreichen, dass eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wird, die es verhindert, die Strafe nach 15 Jahren zur Bewährung auszusetzen.

Angeklagter trotz Haft als FDLR-Präsident wiedergewählt

Er sieht es als erwiesen an, dass Murwanashyaka eine herausragende Stellung innerhalb der Hutu-Miliz inne hatte, was seine Wiederwahl zum FDLR-Präsidenten trotz fünfjähriger Untersuchungshaft im Herbst vergangenen Jahres unterstreiche. Als politischer und militärischer Oberbefehlshaber habe er von seiner Macht, die Gräueltaten seiner Truppen zu verhindern, keinen Gebrauch gemacht. Deshalb seien im die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzulasten, „als hätte er sie selbst begangen“, so Ritscher. Darüber hinaus sei er Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung.

Alles falsch, sagt Verteidigerin Lang. „Mein Mandant ist weder Terrorist, noch ein Kriegsherr“, betont die Advokatin, „er ist Politiker.“ Auch habe die FDLR nicht, wie von der Anklagebehörde skizziert, Pläne zu systematischer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Kongo verfolgt. „Die FDLR ist keine terroristische Vereinigung“, sagt Lang. Ziel und Zweck der Organisation sei einzig und allein, durch die ruandische Regierung als Oppositionspartei anerkannt zu werden und die Verfolgung aller Verbrechen während des Völkermordes von 1994 zu erreichen.

Murwanashyaka sei faktisch kein Vorgesetzter gewesen, der in der Lage war militärische Befehle zu geben, führt Lang aus. Sein Ansprechpartner als oberster Militär sei General Sylvestre Mudacumura gewesen, der als Kommandeur des militärischen Arms der FDLR die Befehle gegeben habe. Seine Äußerungen, wie etwa im ARD-Politmagazin „Fakt“, mit denen er sich als Chef und starker Mann der FDLR dargestellt hatte, „waren rein propagandistischer Natur, um seinem Amt und seinem Tun innerhalb der Organisation mehr Gewicht zu verleihen“, verteidigt Lang ihren Mandanten.

Erster Prozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Deutschland

Der Prozess in Stuttgart ist der erste in Deutschland nach dem 2002 eingeführten Völkerstrafgesetzbuch. Dieses ermöglicht deutschen Gerichten, Kriegsverbrechen selbst dann zu ahnden, wenn sie im Ausland begangen wurden.

Lang zweifelt die Beweise der Bundesanwaltschaft zu den Massakern an. Die Beweisaufnahme habe weder ergeben, dass es sich um Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch handele, noch sei klar geworden, wer die Häuser etwa in Busurungi, wo laut Anklage mindestens 96 Einwohner erschossen, erstochen, erschlagen oder zerhackt wurden, überhaupt in Brand gesetzt habe.

Die ursprünglich 16 Anklagepunkte des Prozesses wurden im Laufe des Verfahrens auf die fünf schwersten Verbrechen beschränkt. „Der Senat hat beweisen, dass er nicht der verlängerte Arm des Generalbundesanwalts ist“, richtet Lang daher ungewohnt freundlich Worte an die Richterbank, um klar zu machen worauf sie hinaus will: „Gehen Sie nun noch den letzten Schritt und sprechen Sie m einen Mandanten frei.“