Wulff wurde 2012 in Köln verspottet – was aber ist mit Islamisten? Foto: dpa

Erst wollten sie die Meinungsfreiheit verteidigen, dann doch lieber nicht: Mit dem Rückzug eines Motivwagens haben sich Kölns Karnevalisten nach Ansicht von Kritikern zum Narren gemacht.

Köln/Stuttgart - Schnell noch ein Rosenmontags-Wagen zum Anschlag auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ - diese Kölner Idee ist noch keine zwei Wochen alt und nun schon wieder begraben. Dazwischen lagen eine Abstimmung auf Facebook über das beste Motiv und Gerüchte, dieser Wagen könne Attentäter provozieren. Nun hat das Festkomitee Kölner Karneval den Plan gestoppt und erntet dafür massive Kritik.

„Traurig“, „peinlich“, „schwach“ lauteten am Donnerstag Kommentare auf der Facebook-Seite des Komitees. Als Französin, die als Zuschauerin dabei sein werde, habe sie sich sehr über die Kölner Aktion gefreut, mit einem Wagen die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen, schreibt eine Frau: „Und jetzt das! Enttäuschend. Aber ich komme trotzdem und feiere mit.“

Vereinzelt gab es auch Zustimmung zum Entschluss, den Terror von Paris nicht zum Thema im Rosenmontagszug zu machen: „Ich glaube da gibt es andere Plattformen als den Karneval“, hieß es sowie „war sicher keine leichte Entscheidung“.

Genau dort, wo diese Kommentare stehen, hatte das Festkomitee bis vor einer Woche online über den Wagen abstimmen lassen. 14 Motive standen zur Auswahl, mehr als 7000 Menschen hatten sich beteiligt. Und ein Jeck, der mit einem Zeichenstift das Gewehr eines Terroristen verstopft, bekam die größte Zustimmung.

Schon während der Abstimmung hatten besorgte Jecken auch die Frage aufgeworfen, ob die Morde von Paris überhaupt Thema im „Zoch“ sein sollten. „Dazu sagen wir ganz klar ja“, hatte noch vor einer Woche Zugleiter Christoph Kuckelkorn erklärt, „denn die Angriffe waren ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit - im Karneval auch bekannt als Narrenfreiheit“.

Dazu steht Kuckekorn nach wie vor. Aber viele Karnevalfans hätten sich nach Gerüchten über angebliche Risiken gemeldet und gesagt, sie trauten sich nicht zum Rosenmontagszug. „Und spätestens an diesem Punkt muss man als Karnevalist sagen, wir wollen in erster Linie Fastelovend feiern“, begründete Kuckelkorn den Rückzieher. Sicherheitsbedenken spielten bei der Entscheidung angeblich keine Rolle, es habe auch genug Karnevalisten gegeben, die auf dem Wagen mitfahren wollten.

Nicht nur Kölner Karnevalfans reagierten enttäuscht. Auch quer durch alle politischen Lager stieß die Entscheidung auf Unverständnis. Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen und Kölner, meinte: „Wie kann man einen so breiten Beteiligungsprozess machen und dann das Ergebnis einfach zurückziehen?“ Katharina Dröge und Volker Beck, beides grüne Bundestagsabgeordnete aus Köln, erklärten: Hier wurde die Chance vergeben, ein starkes Signal für die Meinungs- und Pressefreiheit zu senden.“ Der Kölner Karneval sei schon immer gesellschaftskritisch und auch politisch gewesen. Er habe auch unbequeme Themen angesprochen. „Gerade Wagen mit kontroversen Themen machen den Kölner Karneval einzigartig“, so die beiden Abgeordneten.

Karl Lauterbach, SPD-Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis Leverkusen und Köln-Mühlheim sprach von einem Fehler. „Wir dürfen die freie Meinungsäußerung nicht durch terroristische Allgemeindrohungen einschränken lassen. Das ist ein falsches Signal. Wenn das Schule macht, verliert der Karneval seinen Stachel und seinen Wert“, so der Vize-Fraktionschef.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) verteidigte hingegen gegenüber der „Rheinischen Post“ die Entscheidung: Es sei auch Teil der Meinungsfreiheit, etwas nicht zu tun, und fügte hinzu: „Wir dürfen jetzt nicht in Angst und Furcht erstarren und uns einschüchtern lassen.“

Es ist nicht das erste Mal, das sich die Kölner Narren mit Spott zurückhalten. Es gibt Themen, da bleibt auch ihnen das Lachen im Halse stecken. Der 11. September 2001 in New York zum Beispiel oder der Kindesmissbrauch in der Kirche. Beides blieb ausgespart in Köln. Das Folterlager Guantanamo und der Volksaufstand in Libyen dagegen fuhren mit auf den Karnevalswagen.

CDU-Politiker Wolfgang Bosbach kann im konkreten Fall allerdings die Argumentation des Festkomitees nicht nachvollziehen: „Es ist ein großer Unterschied, ob man sich zurückhält, weil man die Gefühle anderer Menschen nicht verletzen will, oder weil man gewalttätige Reaktionen befürchtet“, sagte er am Donnerstag unserer Zeitung. „Was mich seit Jahren beschwert: Einerseits scheint es kein Problem zu sein, die Gefühle von Christen zu verletzen. Da heißt es dann: Das müssen das aushalten. Aber wenn es um die Gefühle von Muslimen geht, da soll man sich dann doch besser zurückhalten, bevor es schweren Ärger gibt.“

Dieser Wagen sei sicher keine Sympathie-Erklärung für alle Karikaturen von Charlie Hebdo, so Bosbach weiter „Man kann ja darüber streiten, ob die alle immer geschmackvoll waren. Aber das Wagenmotiv war doch ein Plädoyer für Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit. Die Botschaft hieß: Wir lassen uns von Gewalttätern nicht einschüchtern und in unseren Freiheiten einschränken.“ Umso überraschender sei für ihn die Entscheidung.

Auch bei den Narren in Baden-Württemberg stößt der Rückzieher von Köln auf Kritik. „Die müssen natürlich selber wissen, was sie tun“, sagt Roland Wehrle, Präsident der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte, „Die Narrenfreiheit ist aber wie die Pressefreiheit ein ganz hohes Gut.“ Der Sinn der Fastnacht sei ja auch, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. „Wenn man das in einer würdevollen Form tut, ist das positiv und richtig.“

Er finde es schade, dass der Wagen nun doch nicht rollen dürfe. „Ich hätte mir gewünscht, dass die dabei geblieben wären.“

In zweieinhalb Wochen ist Rosenmontag. Die heiße Phase der Fastnacht beginnt. Was den Südwesten angeht, hat Wehrle „im Moment keine Sicherheitsbedenken, zumal wir uns in aller Deutlichkeit gegen die Pegida-Bewegung ausgesprochen haben“, sagt er.

Wehrle hält von den Pegida-Demonstranten nicht viel: „Wenn die Menschen, die da auf die Straße gehen, genau das verkörpern würden, was sie wollen, nämlich die christlich-abendländischen Werte wie Toleranz und Menschlichkeit, dann würde sich viel erledigen“, sagt er, wobei sein Einsatz für türkische und andere ausländische Mitbürger nicht ganz uneigennützig ist: „Unsere Aufgabe ist es, in einer offenen Gesellschaft Menschen an die Fastnacht heranzuführen“, sagt er. „Das heißt auch, dass wir Bürger mit Migrationshintergrund nach und nach in die Fastnacht integrieren – zum einen, um den Fortbestand zu gewährleisten, aber auch, um Andersdenkende zu integrieren“, sagt Wehrle.

Die Integration muslimischer Einwander in das schwäbisch-alemannische Narrentreiben wird laut Wehrles Einschätzung allerdings noch „ein bis zwei Generationen“ dauern. „Wir erleben die Kinder meistens schon in den Kindergärten, da sind die begeistert, haben dann aber natürlich noch ein gewisses Problem, wenn sie nach Hause kommen, weil die Eltern damit Probleme haben“, erzählt er. Aber es gebe erste, schöne Entwicklungen.

Die schwäbisch-alemannischen Narren haben allerdings auch deshalb keine Anschläge zu befürchten, weil sie in der Regel gar keine Motivwagen haben und allenfalls die Kommunalpolitik auf die Schippe nehmen. „Hochpolitische Themen werden bei uns in aller Regel nicht gezeigt“, sagt Wehrle. „ Wenn, dann sind es die örtlichen Themen.“ Die närrischen Kollegen in Köln, Mainz und Düsseldorf hätten da einen ganz anderen Hintergrund, sagt er, „von denen wird das auch erwartet“.

Trotz allem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Anschläge von Paris beim Rosenmontagsumzug in Köln doch noch ein Thema werden. Das Comitee Düsseldorfer Carneval wollte die Kölner Kehrtwende am Donnerstag ausdrücklich nicht kommentieren. Ob Wagenbauer Jacques Tilly den islamistischen Anschlag von Paris thematisiert, steht ihm frei. Die Düsseldorfer Wagen sind traditionell erst beim Umzug zu sehen.