Manfred Rommel hält seine Biographie in den Händen. Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie mit privaten Fotos vom ehemaligen OB. Foto: Leif Piechowski

Aus dem Sohn eines Generalfeldmarschalls wurde ein beispielhafter Repräsentant der Zivilgesellschaft: der Stuttgarter OB Manfred Rommel. War er wirklich so? Davon erzählt eine Biografie.

Stuttgart - Es ist nicht das Buch zur Wahl des Stuttgarter Oberbürgermeisters. Man kann es aber lesen als Kommentar zu den Kandidaten der OB-Wahl in Stuttgart: „Er war nie einer von denen, die so vor das Publikum treten, als wären sie gerade eben mit dem Fallschirm in einer Punktlandung auf der Bühne eingeschwebt“, schreibt Josef Schunder zum „Phänomen Manfred Rommel“. „Rommel betrat immer leise die Szene. Wie einer, der aus dem Hintergrund kommt, mit den Händen sachte die Vorhänge teilt und schüchtern hinaustritt ins Rampenlicht, leicht irritiert, aber sehr konzentriert, ein bisschen distanziert ins Publikum schaut, die Zusammensetzung zu wägen versucht und dann langsam in Fahrt kommt. (. . .) Seine Gesten logen nicht. Ganz typisch, wie er die Hände vor seinem Kinn faltete. Nicht um zu beten, sondern um sich so mit dem kurzen unterstützenden Neigen des Kopfes zu bedanken für Aufmerksamkeit und Beifall. Ein bisschen fernöstlich.“

Sechs Jahre hat Schunder Manfred Rommel als OB journalistisch erlebt. Er ist stellvertretender Leiter der Lokal- und Regionalredaktion unserer Zeitung und zuständig für die Berichterstattung über die Kommunalpolitik in der Landeshauptstadt. Sein großes, hier noch einmal veröffentlichtes Zeitungsinterview aus Anlass von Rommels 80. Geburtstag im Jahr 2008 gab den Anstoß zu diesem Buch. Es ist Rommels letztes Interview. Dass es damals noch keine Biografie gab, fiel nicht vielen auf.

Schunder widersteht der Gefahr, seinen Protagonisten nachträglich ins Übergroße hinzustilisieren. Nicht alle sind dazu fähig. Rommels geschichtsvergessene CDU-Freunde pflegen eine kultige Verehrung der Person Rommel, die sie zu anderen Zeiten am liebsten zum Teufel gejagt hätten. Schunder nennt die Widersprüche, die jeder in sich hat, worin – andererseits – auch eine gewisse Dialektik angelegt ist.

„Wer etwas verspricht, verpfändet seine Ehre dafür, dass es geschieht“

Mit Hegel-Zitaten ging der Oberbürgermeister hausieren. Meist machte das einen guten Eindruck und verfehlte nicht die einschüchternde Wirkung, obwohl der Rathauschef, ein wandelnder Zettelkasten, mehr das Druck- und Drohmittel Finanzen als die schwer verdaulichen Grundlagen der Hegel’schen Philosophie anzuwenden verstand. Damals wehte nicht nur ein anderer, sondern überhaupt ein wahrnehmbarer, in der Stadt fühlbarer, über die Stadt hinausweisender Geist im Rathaus. Nicht der Weltgeist, aber doch ein Hauch.

Rommel war ein anderer Typ von Politiker. „Wer etwas verspricht, verpfändet seine Ehre dafür, dass es geschieht“, sagte Rommel. „Man muss den Mitbürgern die Wahrheit sagen. Die Bevölkerung heute ist für unangenehme Wahrheiten eher bereit. Die Politiker reden aber dauernd auf sie ein wie auf ein Kind, das man nicht aufregen darf.“ Rommel, Erfinder der „mittelfristigen Finanzplanung“, meinte nicht nur die Finanzen.

Manfred Rommel war kein Bürgerkönig

Er war ein nachdenklicher Kopf. Mit diesem Bürgermeister in der Provinzhauptstadt war man nicht blamiert. Er sprach zu den Bürgern, hörte ihnen zu, schaute nicht dauernd auf die Uhr, er sah sein Gegenüber an. „Grüß Gott, Herr Rommel“, sagten die Bürger. Diese Art des Umgangs erinnert an den letzten württembergischen König, der beim Hundespaziergang auf der Königstraße von der Bevölkerung mit „Grüß Gott, Herr König“ geachtet wurde. Manfred Rommel war kein Bürgerkönig. Er war ein Moderator, der mit Anstand und Würde voranging und damit ein geradezu staatsmännisches Vorbild war. Rommels Biograf lässt daran keinen Zweifel.

„Mit dem Tod muss die Feindschaft enden“

Als einziger Sohn des 1944 von Hitler in den Freitod gezwungenen Generalfeldmarschalls Erwin Rommel („der Wüstenfuchs“) erlebte Rommel noch selbst als Luftwaffenhelfer und französischer Gefangener die Kriegs- und Nachkriegszeit. Die Rolle des berühmten Vaters, dessen paradoxes Verhältnis zu Hitler, war für den Sohn, wenn nicht ein Lebenstrauma, so doch ein Lebensthema. Schunder gibt ihm genügend Raum, wenn man so will, ist sein Buch eine Doppelbiografie von Vater und Sohn.

Der Lebensweg ist der rote Faden einer Biografie. Eine Persönlichkeit aber, die so viel Inhaltliches verkörpert, so viel Anständiges, drängt die Linearität eines eh nicht geradlinig verlaufenen Lebens zurück. Schunders Buch ist ein Versuch der Vergegenwärtigung dessen, was Manfred Rommel ausmacht. Was ihn berühmt gemacht hat, zum populärsten OB der Republik, geschätzt im In- und Ausland. Das ist keine Lobhudelei. Rommel hatte Courage. Er war ein Repräsentant der Zivilgesellschaft. Er hat Toleranz nicht nur gepredigt, er hat sie in seiner 22 Jahre währenden Amtszeit von 1974 bis 1996 souverän geübt.

Er gestand dem Stuttgarter Schauspieldirektor Claus Peymann die künstlerische Freiheit zu, mit der manche in seiner Partei nur schwer leben konnten. Er verhinderte Peymanns Rauswurf nach einem Spendenaufruf für die Zahnbehandlung der „Rote-Armee-Terroristen“ im Stammheimer Hochsicherheitstrakt. Gegen wüste Proteste entschied er 1977, Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin in einem gemeinsamen Grab auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof bestatten zu lassen. „Ich weigere mich einzugestehen, dass es Friedhöfe erster und zweiter Klasse geben soll. Mit dem Tod muss die Feindschaft enden“, erklärte Rommel.

„Im Zweifel für die Opfer des Zorns“

Rommel war, schreibt Schunder, „im Zweifel für die Opfer des Zorns“. Als in Gaisburg auf der Brücke über die B 10 ein Schwarzer zwei Polizisten tödlich verletzte und daraufhin von einem anderen Polizisten erschossen wurde, zog Rommel schäumenden Zorn auf sich mit dem Satz: „Es hätte auch ein Weißer sein können, es hätte auch ein Schwabe sein können. Wir sollten unserer Trauer dadurch Würde geben, dass wir nicht generalisieren.“

Seinen Nachfolger hat Rommel durchgesetzt

Rommel setzte sich mit dem als „Remstalrebell“ populären Obsthändler Helmut Palmer an einen Tisch. Im Gemeinderat hatte er es mit dem linken Stadtrat und unbestechlichen Einzelkämpfer Eugen Eberle zu tun, den der Kabarettist Peter Grohmann als einen „schwäbischen Jakobiner“ bezeichnete. „Rommel hat im Gegensatz zu vielen anderen Konservativen gelernt“, schreibt Schunder, „die extreme Linke im Nachkriegsdeutschland nicht mit der extremen Rechten in einen Topf zu werfen.“

In einem Interview mit dem dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ forderte Rommel 1994, Vizepräsident des Deutschen Städtetags, die doppelte Staatsangehörigkeit für dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer. „Der Versuch, Mustafa zum Germanen zu machen und ihn zu veranlassen, seinen Sohn Siegfried zu nennen, ist völlig blöd. Das sollen einmal Deutsche werden, aber Deutsche, die ihren türkischen oder serbischen oder jugoslawischen oder italienischen Hintergrund durchaus bejahen.“

Wer liest, weiß mehr

Rommels Humor, seine Kalauer, die gereimten Witzeleien, seine Sprüche waren eine Waffe, die der Entwaffnung des Gegners diente, ihn für einen Moment lähmte, weichspülte, ihn nachgiebig, versöhnlich stimmte und ihm ein Schmunzeln entlockte. Es kam der Tag, es war eine Stimmung, mehr nicht, an dem diese Methode nicht mehr zog. Ein Teil des Publikums war der Sentenzen leid, es wollte Antworten statt Kalauer, keine zipfelmützigen Spruchweisheiten. Rommels Appelle an die Vernunft, für Bürgersinn in allen Ehren. So tolerant und liberal in der Öffentlichkeit er sich gab – aber vor die Alternative gestellt: Streuobstwiese oder Baugelände, liebäugelte er mit Investoren. Stadtplanung machte er mit der Abrissbirne. Eine Stuttgarter Krankheit. Ökologie, mehr Demokratie, Denkmalschutz waren ihm schnurzegal. Auch in kultivierten Menschen west ein barbarischer Rest.

Seinen Nachfolger hat Rommel durchgesetzt. Den CDU-Kandidaten für den Nachfolgeposten hob er auf den Schild. 17 Jahre nach seinem Abschied machte er, von der Parkinson’schen Krankheit gezeichnet, bis zuletzt seinen Einfluss geltend. Im Alter von 84 Jahren ist Manfred Rommel am 7. November 2013 in Stuttgart gestorben.

Wer liest, weiß mehr. Und gegen Verklärung hilft Aufklärung. Dazu trägt dieses Buch bei.

Josef Schunder: Manfred Rommel. Die Biografie. Theiss-Verlag, Stuttgart. 307 Seiten. 24,95 Euro