Charlotte Roche hat ein neues Buch geschrieben Foto: dpa

Mit ihrem neuem Roman „Mädchen für alles“ provoziert Bestseller-Autorin Charlotte Roche einmal mehr. In „Mädchen für alles“ geht es um eine Mutter, die keine sein will. Und natürlich auch um Sex.

Stuttgart - Es passt schon ganz gut, dass Charlotte Roche sich jetzt in ihrem dritten Roman dem Thema der unzufriedenen Mütter annimmt. Man hat die Diskussion von vor ein paar Monaten noch im Kopf, bei der es darum ging, dass Mütter zugaben, dass sie es bereuen, Mutter zu sein. Öffentlich.

Mit der Studie der israelischen Soziologin Orna Donath wurde eine heftige Debatte ausgelöst. Jetzt kommt auch noch Roche mit „Mädchen für alles“, die dieses Thema und noch ein paar mehr (lesbischen Sex, Drogen, Seriensucht) auf kurzweiligen 240 Seiten darlegt. Besser gesagt: ihre Protagonistin Chrissi.

Gemütszustand: gelangweilt bis depressiv

Die ehemalige Viva-Moderatorin Charlotte Roche, die in ihren bisherigen Büchern „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ sexuelle Fantasien und ihre eigene Biografie verwurstelte und damit unglaublichen Erfolg hatte, wagt sich jetzt an die Zerstörung des Muttermythos. Es geht um Christine Schneider, die sich in ihrer plappernden Ich-Erzählung Chrissi nennt. Es geht sehr viel um sie, wenig um die Menschen um sie herum. Da ist ihre kleine Tochter Mia, die sie überfordert, die sie auch mal in der Wohnung vergisst, weil sie mit dem Taxi zum Augenarzt muss. Da ist ihr Mann Jörg, erfolgreich in der IT-Branche, er arbeitet auch viel von zu Hause, im Eigenheim, das nach zeitgeistigen Wohnblogs eingerichtet ist. Den Badezimmer-Apothekenschrank hat sie an den Ecken abgefräst,„shabby chic“, so sieht er aus wie hundert Jahre alt. Wie man das heute so macht. Chrissi ist viel in dem aufgehübschten Haus mit grauen Schieferplatten im Badezimmer, in der Küche mit Kaffeevollautomat und im Bett, in dem sie massig Zeit verbringt – ihr Gemütszustand: gelangweilt bis depressiv inklusive Gewaltfantasien.

Dem Buch sind folgende Sätze vorangestellt: „Mein ganzes Wissen über Menschen und Gewalt und wie man Manschen Gewalt richtig antut, ziehe ich aus Serien. (. . .) Was habe ich eigentlich vorher immer gemacht? Bevor es amerikanische Serien legal in Deutschland zu gucken gab? (. . . ) Die Menschen in den Serien sind meine Wahlverwandten. Ich habe sie viel lieber als meine wirkliche Verwandtschaft.“ Chrissi ist wütend auf ihre Eltern, die sich getrennt haben, als sie noch Kind war. Ihr Mann langweilt sie, kümmert sich zum Glück um die Tochter, wenn diese Hunger hat, und bringt genug Geld nach Hause, damit es sich die drei eigentlich schön machen könnten.

Serien, Alkohol, Kokain, Sex mit der Babysitterin

Und dann ist da Marie, das „Mädchen für alles“, wie sie sich auf dem Zettel im Biomarkt beschrieb. Ehemann Jörg stellt sie ein, die junge Medizinstudentin, blond mit rosigen Wangen. Marie kümmert sich um Mia, aber auch um Chrissi, die nicht mehr weiterweiß. Sie kommt nicht klar mit sich und ihrem Leben. Sie flüchtet sich in Serien, Alkohol, Kokain und dann auch in Sex mit der Babysitterin.

Wenn Chrissi denkt, sie habe Probleme, schaut sie sich die der anderen an: „Homeland“, „Prison Break“, „House of Cards“ beispielsweise. Chrissi hat viele Ticks und noch mehr handfeste Probleme. Chrissi wird immer dicker, verletzt sich selbst an Brust und Auge. Sie trinkt Wodka pur, verteilt in Alkohol getränkte Melonenstücke bei der Hochzeitsfeier ihres Schwagers an hochschwangere Frauen. Sie hat PMS-Schübe, vielleicht auch richtige Depressionen. So klar umschreibt Roche ihre Hauptfigur nicht. Sie lässt sie reden, reden, reden. Es ist ein flapsiger, umgangssprachlicher Ton. Es sind Sätze, die man schnell wegliest. Man muss diese Chrissi nicht mögen. Man möchte aber trotzdem wissen, was mit ihr und dem Kindermädchen, mit ihr und ihrem Mann, mit ihr und ihrer Tochter, mit ihr und ihren Eltern passiert. Nicht auf alles gibt der Roman eine Antwort. Muss er ja auch nicht.

Charlotte Roche liest am 7. Dezember 2015 im Theaterhaus Stuttgart