„Da ist nichts erfunden, das ist alles aufgeschnappt“, sagt er. „Ich komme aus Walldürn im Odenwald. Da ist das ganze Jahr Programm.“ Foto: Guido Schröder

Rolf Miller spielt einen, der mit einer Mischung aus ­Ignoranz, Vorurteilen und Halbwissen die Welt erklärt. Dabei verliert er sich in Floskeln wie „wahrscheints“, „im Endeffekt“, „einwandfrei“ und „vom Ding her“. Miller schaut dem Volk aufs Maul und spitzt zielsicher dadaistisch zu.

Stuttgart - In Proletenpose hängt er auf einem Stuhl. Er redet, feixt, unterstreicht seine Worte mit vielsagenden Gesten. Rolf Miller hat seine Rolle gefunden, und er schreibt sie lustvoll immer weiter fort: Ein ganzes Füllhorn an neuem Schwachsinn hat er gefunden für seinen Provinz-Schwadronierer aus Walldürn im Odenwald, der in stummeligen Halbsätzen sein beschränktes Weltbild darlegt.

Längst füllt er damit größere Säle, doch aus alter Verbundenheit spielt er auch weiterhin in der Stuttgarter Rosenau mit ihrer intimen Atmosphäre, wo er die Zuschauer am Donnerstagabend in einen Zustand anhaltender Erheiterung versetzt.

„Man muss ja über den Humor auch mal lachen“, findet Millers Kerl, und die Gegenwart hat dem Satiriker ein großes Geschenk gemacht: Dachten früher vielleicht manche im bildungsbürgerlichen Publikum, Millers Figur wäre extrem überzeichnet und sehr weit von der Wirklichkeit entfernt, hat die Pegida-Bewegung vor laufenden Kameras alle Zweifel ausgeräumt.

„Ich komme aus sehr einfachen Situationen“, sagt Millers Kunstfigur, für die die meisten anderen „Zipfelgesichter“ sind, „Pfandflaschengesichter“ oder „Standstreifengesichter“. „Als Bub habe ich immer gedacht, Geld wäre das Wichtigste“, verkündet er – „heute weiß ich, dass es stimmt.“

Meisterhaft quält Miller die Sprache. „Reden ist Schweigen, Silber ist Gold“, sagt er, und wenn Freund Jürgen Vor- und Nachteile ermessen soll, endet das so: „Es überwiegt beides.“ Zitiert er Lyrik, dann klingt das so: „Wer ist nachts noch so spät durch den Wind?“

Dem Milieu angepasst, pflegt Millers Antiheld ein verqueres Frauenbild. „Menschen in Beziehungen leben nicht länger, es kommt ihnen nur so vor“, sagt er, und: „Im nächsten Leben nicht mehr stationär, nur noch ambulant.“ Jürgens Schwester nennt er nur den „Apparat“, über eine andere Bekannte sagt er: „Ihr Traum war ein eigener Hochstuhl an der Universität.“

Mit weiblichen Forderungen nach gleicher Teilhabe kann er wenig anfangen: „Früher war das ja schon Missbrauch, wenn die Praktikantin einen Kaffee kochen sollte. Da hieß es gleich: Gleichstellung und alle Frauen sind gleich.“ Besonders angetan haben es ihm Mini-Fahrerinnen: „Meistens sind das Frauen über die U!40, Seitenscheitel, blond oder schwarz, egal, Hauptsache Frisur. Zweimal das BWL-Studium abgebrochen, dann Jura nicht angefangen und jetzt im Schönheitsbunker esoterische Öle verticken.“ Kein Vorurteil bleibt ungenutzt.

Miller spielt mit dem, was Volkes Mund entweicht, und treibt durch eine Art eingeschränkten Bewusstseinsstrom, von Thema zu Thema springend und einmal Gestreiftes immer wieder aufgreifend. Dabei setzt er die Absurditäten so präzise, wie es sonst nur Helge Schneider kann.

„Eine Mark war damals genau eine D-Mark wert, so einen Kurs hat’s nie mehr gegeben“, sagt er über die 1980er Jahre, und: „Gegen Don Johnson ist der Podolski Mathe-Lehrer.“ Heute dagegen? „Diese Gestalten, Isis, Sunniten, Stalaktiten . . . – wenn man die fragt: Warum ist das falsch?, Sagen die: Weil es nicht richtig ist.“ Touché.

Manchem rät Milllers Figur zu einer „psychopathischen Behandlung“, und er lästert über „Selfie-Gesichter“: „Wenn du denen die Sim-Karte ziehst, sind sie bewusstlos“. Fußball darf auch nicht fehlen, „der Bela Rethy hat noch nie das gleiche Spiel wie ich gesehen“, heißt es da, und „der Guardiola passt auch gar nicht zu den Bayern – der ist einwandfrei“.

Über eineinhalb Stunden lang geht das so, Miller produziert Pointen im 30-Sekunden-Takt und fällt kein einziges Mal aus der Rolle. Warum ist eine Scheidung so teuer? „Weil sie’s wert ist!“ Und was hat es mit Attac auf sich? „Die fahren überall hin und sind dann vor Ort dagegen.“ Die Kontrolle bei der Einreise in die Schweiz vergleicht er mit Nordkorea und fürchtet bei Drogenverdacht „die Darmspiegelung mit Hund, da wird’s eng“.

Ein weiterer Höhepunkt: die Analyse des Fernsehprogramms. Wenn es nicht einschlafen kann, guckt Millers Alter Ego am liebsten Golf auf Sky: „Bis Tiger Woods und sein Sherpa über einen Hügel sind, das dauert ewig. Und der Ball im Sandbunker, das sieht aus wie ein Standbild, und wenn man Glück hat, wie die Zeitlupe vom Standbild.“

Anderes behagt ihm weniger: „N24: War Hitler der Führer? Aktenzeichen: Der Vermisste wird gesucht. RTL II: Meine Tochter ist mein Kind, was jetzt?“ Zwischendurch kommen freilich auch diesem Prototypen des selbstgerechten Ahnungslosen Anflüge von Zweifel, und er rudert zurück – „nicht, dass ein Eindruck entsteht“.

Ein Fazit von vielen großen an diesem Abend: „Es gibt so Leute, wo Wirklichkeit und Realität verwechseln.“ Das sind dann „glutenfreie Ingwer-Gesichter.“ Ganz nach dem Motto: „Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht?“