Rolando Villazón Foto: DGG

Tenor Rolando Villazón über Singen, Spiel, Publikum und die Philosophie der roten Nasen.

Essen - Als Rolando Villazon 2005 neben Anna Netrebko in Salzburg "La Traviata" sang, jubelte man ihn zum neuen Superstar hoch. Dann bremsten ihn Burn-Out und Stimmkrise aus. Am Samstag kommt der Tenor als Liedsänger nach Stuttgart. Das Programm hat er am Dienstag schon in Essen gesungen. Dort haben wir ihn getroffen.

Herr Villazon, bei Ihrem Konzert gestern fragte hinter mir ein Mann, wann Sie endlich "Granada" singen. Schumanns "Dichterliebe" erwartet niemand von Ihnen. Warum geben Sie dem Affen nicht den Zucker, nach dem er verlangt?

Muss ich immer tun, was man von mir erwartet? Oper ist eine Explosion, ein Liederabend ist eine Implosion. Ich brauche beides. Die "Dichterliebe" habe ich jetzt schon 14 Mal gesungen, ich bin durch Deutschland gereist, um Schumann und Heine zu verstehen, habe das große Fass in Heidelberg besichtigt und den Dom in Köln - nur um das Gefühl für diese Luft, diese Landschaft und diese Kultur zu bekommen. Die Musik von Schumann streichelt mich. Und die Gedichte von Heine fügen sich zu einem Charakter, der mich an Dostojewski erinnert: so weit ist er und so vielseitig.

Aber die "Dichterliebe" ist keine Oper. Opern sind Ölgemälde, Lieder Zeichnungen.

Das stimmt, ein Liederabend ist sehr intim, und Künstler und Publikum müssen gemeinsam in das Herz des Stücks eindringen. Oper hingegen kommt zum Publikum wie ein Wasserschwall, der uns überschwemmt mit Musik und Gefühl.

Sie haben versucht, den Zyklus als großen dramatischen Bogen zu singen. Nur das Klatschen hat zwischendurch gestört . . .

Nein, das hat mich nicht wirklich geärgert. Manche Leute wissen nur nicht, dass in diesem Zyklus die Stille zwischen den Liedern zur Musik dazu gehört. Und vielleicht haben manche Zuhörer auch geklatscht, weil sie zu viel Gefühl nicht ausgehalten haben. Wenn uns etwas zu sehr berührt, können wir uns durch Lärmproduktion in eine gewisse Distanz rücken. Dann wirkt der Beifall wie eine Befreiung: Was für ein Glück, dass das da vorne nur Kunst ist!

Auf der Bühne strahlen Sie eine große Energie aus. Woher kommt die?

Vom Publikum. Wir teilen zwei Stunden miteinander, die nie wiederkommen. Vor jedem Konzert sage ich mir: Heute ist deine wichtigste Vorstellung.

Wie gelingt Ihnen nach dem Jubel im Konzert die Rückverwandlung zu einem ganz normalen Menschen?

Ich ziehe meine Konzertkleider aus und meine Jeans an. Dann muss ich das Bühnentier noch ein wenig auf den Schoß nehmen, bevor ich es zur Ruhe bette. Und dann brauche ich unbedingt ein Bier. Das ist ein guter Preis für eine Vorstellung.

Wie voll ist Ihr Terminkalender? Wie viel muten Sie sich und Ihrer Stimme zu?

Es geht weniger um meine Stimme als um die Frage, wie ich meine Zeit nutzen will. Momentan habe ich zwischendurch immer Zeit für meine Familie, zum Lesen, Schreiben, Spielen, Zeichnen und für meine Arbeit mit den Krankenhausclowns Rote Nasen, mit denen ich seit einigen Jahren in Krankenhäusern vor Kindern spiele.

"Ich will gar nicht wissen, wer ich bin"

Sie sind gerne auf der Bühne, das spürt man. Mit Ihrem Talent hätten Sie auch Showmaster werden könne, Entertainer, Priester oder Politiker. Warum sind Sie Sänger geworden?

Das ist Zufall. Priester wollte ich mal werden, habe das aber gelassen. Entertainer bin ich durch meine TV-Show in England nebenbei auch ein wenig, demnächst mache ich auch eine Sendung für das deutsche Fernsehen. Aber das Singen kam bei mir schon immer zuerst.

Placido Domingo ist ein großes Vorbild von Ihnen. Wollen Sie so lange aktiv sein wie er?

Nein. Für mich ist Maestro Domingo der beste Sänger in der Geschichte der Oper, ein vollkommener Künstler. Aber ich versuche ihm nicht nachzueifern. Es gibt nur einen Domingo. Ich glaube auch nicht, dass ich mit 70 noch singe.

Sie haben im Januar in Lyon erstmals selbst Regie geführt. Wie sehen Sie ihren "Werther" im Rückblick?

Ich war sehr stolz auf die Arbeit, die das Ensemble dort gemeinsam mit mir geleistet hat, aber auch kritisch gegenüber manchen Details. Das bin ich immer. Nächstes Jahr inszeniere ich Donizettis "Liebestrank" in Baden-Baden, und weil ich da außerdem auch singe, wird es einen Co-Regisseur geben.

Beim "Werther" waren auch Clowns auf der Bühne. Ist der Clown so etwas wie ein Lebensthema von Ihnen, eine Identifikationsfigur?

Ja. Ich habe schon mit 18 als Clown gearbeitet. Der Clown steht für die totale Freiheit und steht mitten zwischen Chaos und Ordnung. Er ist wie ein Zerrspiegel: Wenn wir über ihn lachen, dann lachen wir eigentlich über uns selbst. Aber ein Clown kann uns auch weinen machen, und diese rote Nase macht ihn zu einem sehr poetischen Charakter. Ich bin selbst in meinem Innersten ein Clown. Er macht mich frei, vor allem weil er immer fragt: Warum? Und (zeigt auf die Sitzgruppe gegenüber) das da ist übrigens nicht nur ein Stuhl, sondern könnte auch ein Hund sein. Und dieser Tisch? (lacht) Ein Hut!

Was haben Sie als Sänger vom Clown gelernt?

Manchmal singen wir auch in der klassischen Musik schrecklich regelkonform. Wer hat diese Regeln geschrieben? Es sind nur Traditionen. Individualität ist heute sehr wichtig, die Musik verlangt nach ihr. Wenn ich in meinem Inneren nicht auch ein Clown wäre, hätte ich als Mexikaner nie Lieder gesungen. Aber ich habe einen eigenen Zugang zum Lied, und außerdem ist es dem Clown egal, wenn alle lachen. Er sagt: Okay, die lachen über mich, aber gerade deshalb gehe ich weiter. Ein Clown gewinnt immer. Und Clowns sterben nie. Wenn ein Flügel kaputtgeht, laufen womöglich alle davon - nur der Clown bleibt da. Und wer weiß, vielleicht benutzt er am Ende die Saiten als Harfe? Ein Clown sagt nie nein, sondern immer nur ja, ja, ja - bis es geht. Notfalls probiert man halt mal eine andere Richtung aus. Das ist eine Überlebensphilosophie.

Wenn Sie mal nicht mehr singen können, was möchten Sie dann, dass man im Rückblick über Sie sagt? Was wollen Sie gewesen sein?

Das Singen ist nicht mein ganzes Leben. Ich bin immer dort, wo ich gerade bin, ganz da, mit all meiner Energie. Sind wir nur das, was die anderen in uns sehen? Ich hoffe, es ist schwierig, mich zu definieren. Ich möchte mich nicht in Grenzen sehen - ebenso wenig wie jeden anderen Menschen. Ich selbst will auch gar nicht ganz wissen, wer ich bin. Sonst kann ich ja morgen früh nicht erschrecken, wenn mich aus dem Spiegel jemand anblickt, den ich fragen muss: Huch, wer bist denn du jetzt - schon wieder ein Neuer? Und es wohnen so viele, viele, viele Rolandos in mir!

Am Samstag um 20 Uhr singt Rolando Villazon im Beethovensaal Schumanns "Dichterliebe" sowie Lieder von Duparc, Fauré und Massenet. Am Klavier begleitet Gerold Huber. Es gibt noch Karten unter Tel. 0711 524300 (9 bis 12.30 Uhr) und unter www.stuttgartkonzert,de.