Engagiert wie immer: Roland Ostertag (links) und Peter Grohmann Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In einem Buch mit dem Titel „Stuttgart – Zauber der Topographie und Elend der Stadtplanung“ fasst Architekt Roland Ostertag seine Gedanken zur Stadtentwicklung zusammen. Es ist eine Abrechnung mit der Politik.

Stuttgart - Der Ort ist bewusst gewählt: Im ehemaligen Arbeitszimmer von Robert Bosch im früherer Verwaltungsgebäude der Weltfirma, wo heute das Literaturhaus beheimatet ist, stellt der Architekt Roland Ostertag sein neues, im Peter-Grohmann-Verlag erschienenes Buch vor. Das Bosch-Areal, von Ostertag vor gut 20 Jahren statt des von Stadt und Land geplanten Abrisses erhalten und einer neuen Nutzung zugeführt, ist eines der wenigen Beispiele dafür, dass in Stuttgart Neues und Wertigeres geschaffen werden kann, ohne dass der Abrissbagger eingesetzt wird. Im Buch freilich setzt sich Ostertag, streitlustig und wortgewaltig wie immer, grundsätzlich und an praktischen Beispielen damit auseinander, was in der Stadtentwicklung alles schief läuft: „Stuttgart – Zauber der Topographie und Elend der Stadtplanung“ heißt das fast 350 Seiten dicke Werk . Nicht das Stuttgarter Rössle, sondern ein Maulwurf ziert den Einband.

Jahrzehnte der Zerstörung

Der 1931 geborene Ostertag, später freier Architekt, Hochschullehrer und Präsident der Architektenkammer, kennt aus seinen Kinderjahren Stuttgart noch als „unzerstörte Stadt“, wie er sagt. Der Zweite Weltkrieg und in den folgenden Jahrzehnten bis heute die Ökonomisierung der Stadtentwicklung – früher als autogerechte Stadt, jetzt als eine, die sich Verkehrs- und Handelgroßprojekten wie Stuttgart 21 und Rosensteintunnel, wie Milaneo, Gerber und Dorotheenquartier unterwirft – hätten ihre Spuren hinterlassen: Stuttgart verliere seinen Charakter. „Laufend werden Seiten aus dem Lesebuch der Stadt herausgerissen“, moniert Ostertag, der gnadenlos urteilt: „Vieles, was neu gebaut wird, könnte überall stehen, stände aber besser nirgendwo. Im Buch zitiert Ostertag immer wieder Dichter und Philosophen. Der Mangel, so seine Diagnose, beruhe auch darauf, dass „der Geist in dieser Stadt nur bescheiden vorhanden ist“.

Das Rathaus – ohne Visionen, ohne Ideen

Verantwortlich für die Zerstörung der Stadt sei in erster Linie aber die Politik, die „weitgehend abgedankt“ habe. „Stuttgart ist ohne Visionen, ohne Ideen, ohne Utopien“, sagt Ostertag in Richtung Rathaus. Nur ein Bruchteil der 40-Millionen-Euro-Mehrkosten für den Rosensteintunnel würden ausreichen, um Maßnahmen wie den Erhalt wichtiger Gebäude, die Annäherung an den Neckar und die Aufwertung des Innenstadtkerns zu verwirklichen. „Andere Städte machen das seit Jahren, Stuttgart hat noch nicht einmal angefangen“, klagt Ostertag, der die Hoffnung nicht aufgibt, dass der Druck aus der Bürgerschaft die Stadt zum Handeln zwingt. Dieses Bewusstsein will der nimmermüde für sein Anliegen werbende Ostertag durch das Buch schaffen, aber auch durch seine Ausstellung, die samstags von 11 bis 15 Uhr im Gähkopf 3 geöffnet ist.

Stuttgart – Zauber der Topographie und Elend der Stadtplanung, 17,80 Euro.