Dämmerung über dem Oakly Court Hotel - aktuelles Ensemble und Szenen aus dem Kultfilm in unserer Bildergalerie. Foto: Francis Bigg/BB Promotion

Die „Rocky Horror Show“ kommt im Februar nach Stuttgart. Wir haben in London das Theater besucht, in dem das Rockmusical im Jahr 1973 uraufgeführt wurde, und haben uns in das Spukschloss getraut, in dem vor 40 Jahren die Filmfassung entstand.

Stuttgart - Vor den Toren Londons, in der Grafschaft Windsor, ist die Themse ein gemächlicher Fluss. Hausboote schippern vorbei, der englische Rasen steigt vom Ufer aus sanft an. Dort erhebt sich Oakley Court, ein prächtiges Landhaus im neugotischen Stil. Erbaut 1859, versehen mit Türmen, Erkern, Wasserspeiern, knarzenden Holzfußböden und dunklen Ölgemälden, ist es das Musterbeispiel eines Spukhauses. Am heutigen Tag fällt jedoch viel Sonne auf das alte Gemäuer, heute ist keine Spur von dunklen Schatten, exzentrischen Hausbewohnern und geheimnisvollen Vorgängen.

Das war nicht immer so. Das mittlerweile als Luxushotel bekannte Gebäude beherbergte im 20. Jahrhundert mehr als einmal eine Filmcrew, diente als schauerliche Kulisse für „Dracula und seine Bräute“ und andere Filme der legendären Hammer-Filmstudios. Berühmtheit erlangte es jedoch als Kulisse für die Leinwandadaption des wohl notorischsten, obsessivsten, skandalösesten Musicals aller Zeiten – die „Rocky Horror Show“. Ebenjenes Musical also, das in einer grauen Theaterdekade kunterbunten und lauten Tunten, Transen, Vampiren und Strapse tragenden Zombies die Hauptrollen überließ und Mitte Februar wieder in der Liederhalle in Stuttgart zu sehen ist.

1973 im Londoner Royal Court Theatre uraufgeführt und bis heute nicht aus Theatern und Kinosälen wegzudenken, sorgte die opulente Rock-Oper um ein frisch vermähltes Pärchen, das im Sturm Zuflucht im Anwesen eines offensichtlich verrückten Transvestiten und Wissenschaftlers sucht, für handfeste Skandale. „Dabei stand das Stück für mich von Anfang an für Freiheit und für die Kunst, das Leben zu genießen“, sagt der englische Schauspieler und Moderator Christopher Biggins bei einer Tasse Tee in der Bibliothek des Hauses. Er hatte im Kinofilm eine kleine Nebenrolle und kehrt heute, nach ziemlich genau 40 Jahren, an den Drehort zurück. „Damals war das Haus in einem schlechten Zustand, und wir froren uns bei den Dreharbeiten alles Mögliche ab. Es gab schließlich jede Menge Haut zu sehen“, sagt Biggins grinsend, der vor einiger Zeit selbst sein Coming-out hatte.

Der Umgang des Stückes mit Sexualität, freier Liebe und gleichgeschlechtlicher Erotik erhitzte die Gemüter der prüden 1970er, entwickelte sich für Homosexuelle und liberale Menschen aber schnell zu einem Kult-Bühnenstück mit wichtiger Botschaft. Dafür ist vor allem die Verfilmung von 1975 verantwortlich. Wie bei der Londoner Bühnenfassung, hatte auch hier Erfinder und Komponist Richard O’Brien seine unvergleichlichen Finger im Spiel. Bis heute sind seine Songs wie der „Time Warp“ unsterbliche Kompositionen.

Dass man das Stück und den Film noch 40 Jahre später aufführen würde, konnte die Crew bei den Dreharbeiten natürlich nicht wissen, erinnert sich Biggins bei einem Rundgang durch das Anwesen. Der Anlass dieses Treffens ist die neuerliche Musical-Tournee, die Richard O’Briens Bühnenkult mal wieder quer durch die Theater schickt. Manche Stoffe werden eben einfach nicht alt. Biggins zur Seite stehen Sky DuMont, der den Erzähler in dieser absurden Rock-Groteske mimt, und Rob Fowler, der den verrückten Wissenschaftler Frank’N’Furter spielt. Biggins erzählt von den Dreharbeiten, von den chaotischen Zuständen, von einer schockierten Susan Sarandon, die in Amerika bereits ein ziemlicher Star war und sich inmitten dieses schrägen Teams mehr als nur ein wenig unwohl fühlte.

Der Exzess, der Genuss, darum geht es bei der „Rocky Horror Show“. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Deshalb sind die neuen Bühnenfassungen des Kultstoffes auch sehr nah am Original. Die mehr als leidenschaftliche Anhängerschar des Stückes würde jede noch so kleine Änderung bemerken, meint Rob Fowler, der schon einmal das Halbfinale von „The Voice Of Germany“ erreichte und bereits zum dritten Mal seine Turnschuhe gegen die hochhackigen Glitzertreter des schrillen Zampanos Frank’N’Furters tauscht.

In denen fühlt er sich pudelwohl, wie er am nächsten Tag beweist. Mittlerweile haben sich alle im Royal Court Theatre eingefunden, jenem Repertoiretheater also, in dessen kleinem Saal mit gerade mal 63 Sitzplätzen 1973 alles seinen Anfang nahm. Hier gibt Fowler eine Kostprobe der bewegenden Ballade „I’m Going Home“, hier treffen wir auch auf Richard Hartley, der gemeinsam mit O’Brien die Musik komponierte. „O’Brien hat ganz in der Nähe des Theaters gewohnt und stets zu Hause komponiert. Irgendwann kam er mit einem Stapel Noten zu mir, und wir begannen zu arbeiten“, erinnert sich Hartley. „Wir hatten nur fünf Monate Zeit bis zur Uraufführung, das war alles reichlich hektisch.“

Der weltberühmte „Time Warp“ wurde übrigens erst später geschrieben – „und zwar, weil Richard der Ansicht war, dass ein Musical unbedingt eine Tanznummer benötigt“. Er sollte recht behalten. Dass das Musical schnell von dem winzigen Saal ins schillernde Londoner Westend zog, hat auch für Hartley mit der wichtigen Botschaft des Stückes, aber auch mit etwas anderem zu tun: „Es waren die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Das, so ist sich auch das aktuelle Ensemble der Show sicher, macht den „Rocky Horror“-Zauber bis heute aus. Ein treueres, derart textsicheres und begeistertes Publikum findet man deswegen wohl auch in keiner anderen Musical-Vorstellung. Obwohl Reiswerfen mittlerweile oft untersagt ist. „Die Theaterbetreiber haben sich wohl zu oft über die Sauerei unter den Sitzen beschwert“, sagt Sky DuMont lachend. Irgendwas ist ja immer.

Die „Rocky Horror Show“ gastiert vom 17. bis 22. Februar in der Liederhalle in Stuttgart, Tickets unter 07 11 / 2 55 55 55.