Revierförster Dieter Hagenmüller und seine Frau Andrea kehren dem Fasanengarten nach mehr als 30 Jahren den Rücken. Foto: Chris Lederer

Der langjährige Förster Dieter Hagenmüller geht im September in den Ruhestand, er nimmt Abschied von seinem 800 Hektar großen Revier – und von seinem ehemaligen Traumberuf.

Stuttgarter Norden - Ein Job als Großstadtförster in Stuttgart? In einem Revier voller Spaziergänger, Gassigeher, Jogger und Radfahrer? Dem Revier mit der landesweit höchsten Bevölkerungsdichte, mit rund 200 000 Menschen im Einzugsgebiet? Eine Vorstellung, mit der sich 1979 nur wenige Förster anfreunden wollten. Anders ist kaum zu erklären, dass die Stelle seinerzeit zweimal ausgeschrieben werden musste. „Das wollte sich keiner der alten Hasen freiwillig antun“, erinnert sich Dieter Hagenmüller. „Der hohe Besucherdruck, ständig in der Kritik der Öffentlichkeit, das ist nicht Jedermanns Sache.“ Seine schon. Frisch von der Fachhochschule bewarb sich der damals 23-Jährige auf den vakanten Posten. „Ich komme aus Zuffenhausen, hatte eine Freundin aus Weilimdorf“, sagt Hagenmüller. „Mit ihr ins Forsthaus zu ziehen, das war damals eine runde Sache.“

Von Zeiterfassung und Controlling war damals keine Rede

Der Jungförster übernahm sein neues Revier zunächst in Vertretung, doch schon bald wurde es ihm vom damaligen Forstdirektor Fritz Oechßler hauptverantwortlich übertragen. „Das war mein Lieblingschef“, sagt Hagenmüller. „Die Zeiten waren damals noch andere: Wir konnten selbstständig im Wald arbeiten, jeder wusste, was er am anderen hatte und man konnte sich aufeinander verlassen“, sagt er. „Da war von Zeiterfassung, Controlling und solchen fragwürdigen Geschichten noch keine Rede.“

Zu tun gab es in dem mehr als 800 Hektar großen Revier – das vom Botnanger Sattel über Feuerbach, Weilimdorf und Zuffenhausen bis nach Mühlhausen reicht – mehr als genug. Überdies ein sehr abwechslungsreiches Revier. Auf der einen Seite der Kräherwald, im Volksmund nur ,Grüßgottleswald‘ genannt, weil so viele Leute unterwegs sind, auf der anderen Seite Gebiete wie der Tauschwald in Feuerbach, wo es nur wenige Wege gibt und man kaum jemandem begegnet.

„Förster ist man nicht von neun bis fünf“

„Förster zu sein in Stuttgart heißt, dass man den Wald bewirtschaften muss, dazu gehören auch Pflegemaßnahmen und die Vermarktung des Holzes und des Wildbrets. Aber auch die verschiedenen Interessen der Waldbesucher muss man unter einen Hut kriegen“, sagt Hagenmüller. Außerdem müssten die Grillstellen, Waldspielplätze, Trimm-Dich-Pfade, Bänke und Hütten in Schuss gehalten werden. Und neben der Hege von Fauna und Flora gelte es auch, die Beziehung zu den Menschen zu pflegen – nicht immer die einfachste Spezies, der man im Wald begegnet. „Man muss als Mediator agieren und auf die Menschen zugehen.“

Seit 37 Jahren betreut Hagenmüller mittlerweile sein Revier Fasanengarten und wohnt seit 30 Jahren dort im Forsthaus. „Förster ist man nicht von neun bis fünf, Förster ist man rund um die Uhr.“ Die Leute klingeln, wenn sie ein Pflaster brauchen, wenn sie eine Biene gestochen hat, wenn ein Tier angefahren wurde oder sie fragen, wenn sie sich verlaufen haben oder nach einem Suff am Vorabend ihr Auto nicht mehr finden. Nicht immer seien sie besonders hilfreich dabei. „Wenn ich frage, wo haben Sie Ihr Auto denn abgestellt, kommt als Antwort schon mal: Auf dem Parkplatz, wo so viele Bäume stehen.“ Nun, ja. In der Regel findet man es trotzdem.

Schäden durch die Orkane Wiebke und Lothar

Allerdings blieben auch größere Katastrophen nicht aus: allen voran die Orkane Wiebke im März 1990 und Lothar im Dezember 1999. Die Schäden im Wald waren immens. „Unser jährlicher Holzeinschlag liegt bei rund 4000 Festmeter pro Jahr, bei Wiebke waren in wenigen Minuten 8000 Festmeter am Boden, bei Lothar sogar 12 000.“ Seine Überstunden hat Hagenmüller nicht gezählt. „Die Mehrarbeit war normal und eine Selbstverständlichkeit, wenn man im und mit dem Revier lebt“, erinnert er sich. „Unser Ziel war es immer, das Holz so schnell wie möglich aus dem Wald zu schaffen und die Wege wieder frei zu bekommen.“ Waldwege wegen Orkanschäden monatelang zu sperren? Undenkbar. Zumindest in Stuttgart. „So etwas kann man vielleicht im Schwarzwald machen, aber nicht hier – die Bürger erwarten freie Wege und Sicherheit.“

Doch nicht nur Orkane haben ihre Spuren hinterlassen. Auch mehrere Verwaltungsreformen musste der Förster im Laufe der Jahrzehnte überstehen. 1998 wurden zwei von vier Forstdirektionen im Land aufgelöst. „Wir mussten uns auf unser Revier neu bewerben.“ Wenige Jahre später wurde die Landesforstverwaltung aufgelöst und den Land- beziehungsweise Stadtkreisen unterstellt. „Wir kamen erst zum Liegenschaftsamt und dann zum Gartenamt.“

Mehr Zeit am Schreibtisch als in der Natur

Einfacher sei das Arbeiten dadurch nicht geworden, bedauert Hagenmüller. „Die Rahmenbedingungen für den Wald und die Förster haben sich in einem nicht geglaubten Ausmaß geändert – leider nicht zum Guten.“ Nicht nur er fühle sich durch Formalien und Controlling gegängelt. „Man verbringt mehr Zeit im Büro und vor dem PC als im Wald. Es geht nur noch um Statistiken und Bürokratie – und im Wald kann es aussehen wie die Sau.“ Mittlerweile verbringe man als Förster etwa 80 Prozent seiner Zeit am Schreibtisch statt in der Natur. „Sich selbstständig und in Ruhe ein Bild zu machen vom Zustand des Waldes, das gibt es heute nicht mehr.“

Viermal habe es während seiner Dienstzeit so genannte Forsteinrichtungen, eine Art Inventur und Prüfung der geleisteten Arbeit, gegeben. Dabei nimmt die Forstdirektion sämtliche Betriebsarbeiten unter die Lupe. „Das wird alle zehn Jahre gemacht und immer hat man uns sehr gute Arbeit attestiert.“ Das verdanke er auch seinen guten Mitarbeitern, betont Hagenmüller: „Ich hatte immer eine super Mannschaft, eine tolle Truppe, absolut verlässlich.“ Mit ihnen und anderen langjährigen Weggefährten hat er seinen Abschied gefeiert, auf einem Hausboot am Neckar – ohne Häppchen, Grußworte und offizielle Lobhudeleiden, dafür mit herzhaftem Vesper und viel Herzlichkeit.

Aus seiner Dienstwohnung, dem Forsthaus im Fasanengarten, wird Hagenmüller bald ausziehen. Die Möbelpacker sind bestellt. Seine Zukunft verbringt der Großstadtförster aber nicht in Stuttgart. Ihn zieht es wieder in die Natur: Wer ihn sucht, der findet ihn mit seiner Frau Andrea und der Dogge Oblong in einem alten Fachwerkhaus am Nationalpark Kellerwald-Edersee.