Rund ist chic Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Keine T-Shirts, keine Jeans, kein Casual-Look, mit einem Wort: Nicht das Übliche, das massenweise in den Läden hängt. Sondern Kleider. Ungeheuer weiblich und sehr sexy. Johanna Hellmich hat mit diesem vernachlässigten Kleidungsstück eine erfolgreiche Nische für ihre Boutique gefunden

Stuttgart - Ganze 17 Quadratmeter ist das Lädchen in der Heusteigstraße groß, aber der Name allein macht schon neugierig: „Schmachtfetzen“ steht in Schreibschrift drüber. So nannte man doch die Herz-Schmerz-Filme im Nachkriegs-Deutschland mit Stars wie O. W. Fischer, Ruth Leuwerik und vor allem Maria Schell, die so schön weinen konnte wie keine andere. Und die von den Fans noch regelrecht angeschmachtet wurden.

„Stimmt“, lacht Johanna Hellmich und bestätigt den Verdacht: Ein bisschen Retro ist hier Programm. Denn bei ihr bekommen Kleider, zum Anschmachten schön, die Kurve. Als Einladung zu einer modischen Zeitreise in die 30er bis 50er Jahre, als das Kleid Inbegriff von Chic und Eleganz war. In einer Bildergalerie an der Wand vorgeführt von Ikonen dieser Ära wie einem Mannequin im New Look von Dior und den Schauspiele-rinnen Rita Hayworth, Marlene Dietrich und Louise Brooks, der Johanna Hellmich mit ihrem Pagenschnitt sogar ähnlich sieht.

Die Amerikaner designen noch für die Stundenglas-Figur

Wer macht heute noch schöne Kleider, klagte oft eine Freundin, selbst aus dem Metier und der Blütezeit dieser Mode nachtrauernd. Ja, wer? „Zum Beispiel die Amerikaner“, sagt die 32-Jährige. Richtig, dort bauen und modellieren die Designer noch Kleider wie Skulpturen für Stundenglas-Figuren: Körper- und Kurven betonend. Wie das hinreißende rote Tupfenkleid des Labels „Stop Staring“, in dem Johanna Hellmich für den Fotografen posiert: Stramm auf Figur, mit Raffungen, schönem Dekollete und einer Rückenansicht, die entzückt. Nicht nur mit einem Cut-out, sondern mit einer kessen Schleife am Po.

Wie im New Look dürfen die Röcke der Kleider im Matrosenstil schwingen, die scheinbar so brav daher kommen wie für ein sonntäglich fein gemachtes Schulkind. Bubikrägelchen und Schluppen spielen als konservative Akzente mit dem Kontrast. Auch in Holland wurde Johanna Hellmich fündig: Bei „King Louie“ mit Hemdblusenkleidern aus fließenden Flower-Print-Stoffen, die man gar nicht lässig genug tragen kann: Reinschlüpfen und angezogen sein. Die Leidenschaft für Vintage teilen zum Glück aber auch Designer in Deutsch-land: Zum Beispiel „Marlenes Töchter“ in Berlin, „Mademoiselle Tambour“ in Köln und „Gracy Q.“ in Leipzig. Alle exklusiv im Schmachtfetzen-Sortiment.

Dazu Pumps aus Lack mit Herz-Dekor: Die Berliner Schuh-Designerin, die sich Frollein vom Sofa nennt, mutet den Träge-rinnen keine High Heels zu, sondern verwöhnt mit hübsch geschwungenen Absätzen in vernünftigen Höhen.

Es gehört einiger Mut dazu, neben dem Überangebot von Klamotten noch eine Boutique zu eröffnen. Auch Johanna Hellmich war deshalb der erste Geburtstag ihres Ladens eine Feier wert, „aber ich wusste von vorneherein, was ich anbieten wollte“, sagt die gebürtige Augsburgerin, die Deutsch, Englisch und Kunstgeschichte studiert hat und in der Öffentlichkeitsarbeit, unter anderem im Stuttgarter Ballett, und im Kommunikationswesen tätig war.

Als "Raunchy Rita" tanzt sie auch Burlesque

Um ihre klare modische Zielsetzung zu erklären, muss man eine weitere Seite der Dame enthüllen: Dann verwandelt sie sich in Raunchy Rita (raunchy heißt verwegen oder auch ein bisschen anrüchig), die unter dem Label „Raunchy Rita’s Rasperry Club“ Burlesque Tanz-Events organisiert und auch selbst in Frack, Zylinder und Glitzerpants auftritt. Und weil bei diesen Events oft Besucherinnen oft das Fehlen einer passenden Garderobe beklagten, sah sie hier die Erfolg versprechende Lücke.

„Diese Kleider machen etwas mit ihren Trägerinnen“, versichert Johanna Hellmich. Sie erlebe es immer wieder, wenn eine Kundin, vorher in Jeans und T-Shirt, im Kleid aus der Kabine kommt und sich vor dem Spiegel dreht: „Wie verwandelt! Sie strahlt ein neues Gefühl von Weiblichkeit aus.“ Der Euphorie folgen Zweifel und das Lamento über Figur-Probleme: „Kann ich das tragen?“ Hellmich hilft, die Angst vor der eigenen Courage zu überwinden. Und ist dafür das beste Vorbild: Mit schönen Kurven und einer Konfektionsgröße jenseits von Size-Zero. „Die Proportionen müssen stimmen“, schränkt sie selbst ganz realistisch ein. Mit Rundungen dort, wo sie hingehören, und einer Taille. Dann mache ein solches Kleid schlanker als jedes Walle-walle-Top. Und wo noch ein Röllchen störe, müsse man sich halt zu korrigierender Shape-Unterwäsche durchringen.

Oder die Aufmerksamkeit ein bisschen ab-lenken und auf dem Kopf einen Fascinator balancieren. Entzückende modische Albernheiten mit Blüten oder Kirschen, wie sie einst schon Ufa-Stars trugen. Vintage pur und wieder voll im Trend. Da guckt keiner mehr nach einem Kilo zuviel.

www.schmachtfetzen.de