Patricia Peschel studiert mit einer Inventarliste aus dem Jahr 1822 die Einrichtung im Schreibzimmer. Foto: factum/Granville

Bis zum Jahr 2020 soll in der Residenz umgeräumt werden: Alle Einrichtungsgegenstände sollen dann wieder so stehen, wie es historisch im 19. Jahrhundert zur Zeit König Friedrichs war.

Ludwigsburg - Das Schreibzimmer im Neuen Corps de Logis des Ludwigsburger Schlosses ist prunkvoll eingerichtet: Goldene Bilderrahmen zieren Porträts an der Wand. Prunkvoll dekorierte Sekretäre stehen in den Ecken. Man mag sich gerne vorstellen, wie der Regent hier einst am Schreibpult saß und sich als arbeitender König mit Akten und Regierungserlassen beschäftigte. Das Ganze hat nur einen Schönheitsfehler: Es stimmt nicht. Denn so sah dieser Raum früher nicht aus.

Warum das so ist, erklärt Patricia Peschel, die für Württemberg zuständige Konservatorin der Staatlichen Schlösser und Gärten. „Als die ersten Bomben im Zweiten Weltkrieg fielen, wurde das Inventar des Schlosses eingelagert“, erzählt die 37-Jährige. Nach dem Krieg wurde die Sommerresidenz zwar wieder eingerichtet – doch man hatte viel zu viele Möbel, Bilder und Lüster. Denn das Innenleben des Neuen Schlosses in Stuttgart stand ebenfalls bei der Auswahl zur Verfügung.

„Man hat in den 60er-Jahren die Räume so gestaltet, wie man es schön und angemessen fand“, sagt Patricia Peschel. Wie in einem Museum: viel Prunk, die Bilder mit ordentlichem Abstand zueinander, königlich soll es ja aussehen. Dies gefällt dem Auge des Betrachters. Doch beim Neuen Corps de Logis, dem südlichen Flügel des Schlosses, wird besonders deutlich, dass die Funktion der Räume nicht mit der Einrichtung zusammen passt. Hier wurden Gäste empfangen, vom Marmorsaal aus wurden sie nach rechts in die Gemächer des Königs oder nach links in die der Königin geleitet.

Historisch korrekte statt museale Einrichtung

Schon das erste Zimmer im Königsflügel platzt vor Prunk fast aus den Nähten: Sitzgelegenheiten mit roten Samtbezügen und Armlehnen, Bilder mit martialischen Szenen, ein mehrarmiger Kronleuchter. Gleichwohl: „Es handelt sich hier um das Vorzimmer, das war schlichter eingerichtet als die folgenden Räume“, sagt Patricia Peschel. Die Ausstattung wurde um so luxuriöser, je weiter man ins Allerheiligste des Königs vordrang, der in Ludwigsburg seine Sommerresidenz bezogen hatte.

Nun soll alles wieder historisch korrekt gestaltet sein. Die Wandausstattung und die Grundstruktur der Räume befinden sich noch im Originalzustand, nämlich klassizistisch mit Empire-Einfluss, wie es Anfang des 19. Jahrhunderts üblich war. „Da die Nachfahren von König Friedrich kein Interesse an Ludwigsburg hatten, wurde nichts mehr verändert“, sagt Peschel. Während in anderen Residenzen wie Schönbrunn in Wien oder im Louvre in Paris „modernisiert“ wurde, blieb hier alles im Prinzip wie 1816, als Friedrich starb.

Wenn nun alle Gegenstände wieder am richtigen Platz stehen, ist das Bild wieder authentisch. Das ist für Patricia Peschel indes eine Mammutaufgabe, an der sie schon seit dem Jahr 2010 sitzt – und noch bis 2020 sitzen wird. Denn das Interieur des Schlosses ist durch die Nachkriegsaktion wild auf alle Räume und das Depot verteilt. „Wir müssen insgesamt 12 000 Gegenstände durchgehen“, erzählt Peschel.

Zunächst einmal musste in den Inventarlisten akribisch nachgelesen werden, welcher Einrichtungsgegenstand in welchem Raum war. „Die Listen sind extrem detailliert“, sagt Peschel und zeigt auf einen alten Einband aus dem Jahr 1822. Die krakelige Handschrift entziffert sie fließend: „Ein französischer Kamin von weißem carrarischem Marmor, die Füße von rothem Porphyr, am Sturz zwei Bronzereliefs von carrarischem Marmor auf gelbem Grund.“ Anhand dieser Beschreibung hat sie im Depot etwa zwei Vasen gefunden.

Ein Puzzle mit 12 000 Teilen

Ein Puzzlespiel. Manches Stück hat Peschel fast um den Schlaf gebracht. Zum Beispiel ein kleiner Sekretär von 1710, der ursprünglich im Sommer-Arbeitszimmer der Königin gestanden ist. Doch er war partout nicht aufzufinden – nicht im Depot, und scheinbar auch nicht in einem der 40 Räume. „Das hat mich fast verrückt gemacht“, sagt die 37-Jährige. Bis sie irgendwann durch ein Kabinett des Herzogs lief – und ihr Blick an metallenen Füßen in Form von Geißbock-Füßchen hängen blieb.

Geißböcken-Füßchen? Eher zufällig kam ihr die Passage einer Inventarliste vor Augen. Und tatsächlich, auch der Rest passte: Verzierungen mit Widderköpfen und Lackmalereien. Nun kann er an seinen Originalort zurück. Rund 2000 Gegenstände müssen verlagert werden – man wird die Räume nicht wieder erkennen.

Das wird besonders deutlich in der Bildergalerie des Schlosses, diesem langen Gang, der das Neue Corps de Logis mit dem alten verbindet. „Hier hat der König gezeigt, dass er Kunstverstand hat“, sagt Patrica Peschel. 240 Bilder sind hier schon jetzt dicht an dicht aufgehängt – es werden aber noch einmal 120 dazukommen. „Die Restauratoren waren am Anfang überrascht“, sagt Peschel schmunzelnd. Doch es geht. Auch wenn es dem Auge weniger schmeichelt, so war nun mal der Stil anno 1800. Bilder bis hoch an die Decke, so dass kaum ein Stück Wand frei bleibt.

Acht Meter breite Seidenvorhänge aufgewickelt

Ein gewaltiger Kraftakt ist auch das königliche Schlafzimmer gewesen. Denn dort hingen an den Wänden Vorhänge aus Seide, original aus dem 19. Jahrhundert. „So etwas finden wir weltweit eigentlich nicht, meistens sind Textilien nach so langer Zeit verschlissen“, sagt Patricia Peschel. Nicht so in Ludwigsburg. Im vergangenen Sommer wurde ein riesiges Gerüst aufgebaut, und die bis zu acht Meter breiten Wandvorhänge wurden Zentimeter für Zentimeter auf Rollen aufgezogen. „Die Restauratoren haben geschwitzt – nicht nur, weil es so heiß war“, erzählt Peschel. Heikel war die Arbeit, doch nichts ist gerissen. Nun müssen die Vorhänge von Experten konserviert werden. Inklusive der 6000 Bommel. Jeder einzelne muss in Handarbeit mit einem Latexschwamm gereinigt werden.

Ein gigantisches Projekt. Zwei Millionen Euro gibt das Land für die Neugestaltung des Corps de Logis und die Konservierung des Schloss-Interieurs aus. „Das mit Abstand größte Vorhaben, das ich begleite“, sagt Peschel. Inzwischen ist alles erfasst und am PC wie bei einem Computer-Küchenplaner virtuell an die richtige Stelle gesetzt worden. Jetzt müssen 2000 Einrichtungsgegenstände gereinigt werden.

Irgendwann im Winter 2019 kommen dann die Möbelpacker – und das große Umräumen beginnt. „Danach wird das Schloss völlig anders aussehen“, sagt Peschel. Der museale Stil der vergangenen 70 Jahre ist dann passé. Dafür kann der Gast sich künftig bildlich vorstellen, wie es dem Gast im Jahr 1800 erging. Nur wer besonders wichtig war, durfte den ganzen Schloss-Luxus bewundern – und den König in seinem Kabinett zur Konsultation treffen.