Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die Diskussion eröffnet, was mit den Überschüssen der Arbeitslosenversicherung passieren soll. Er will Leistungen erhöhen. Foto: dpa-Zentralbild

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will die Milliardenüberschüsse der Arbeitslosenversicherung antasten und Leistungen ausweiten. Aus der Union kommt der Ruf nach niedrigeren Beiträgen. Das viele Geld der Beitragszahler weckt Begehrlichkeiten.

Berlin - Es ist eine einmalige Situation: Nie zuvor haben die Sozialversicherungen so hohe Überschüsse ausgewiesen wie gegenwärtig. Auf ein Plus von acht Milliarden Euro bezifferte jüngst das Statistische Bundesamt den Überschuss der Sozialkassen im vergangenen Jahr. Das ist nur ein Aspekt. Die Statistiker legen ihr Augenmerk auf den Finanzierungssaldo in einem bestimmten Zeitraum. Die Finanzlage der Sozialkassen stellt sich noch weitaus komfortabler dar, wenn man die gesamten Rücklagen betrachtet. Die Deutsche Rentenversicherung hat sich ein Finanzpolster von 31,6 Milliarden Euro zugelegt – das entspricht 1,6 Monatsrücklagen der Rentenversicherung.

Weniger im Fokus stand bisher die Arbeitslosenversicherung. Dabei bringt es auch dieser Zweig auf beachtliche Reserven. Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit (BA) beträgt die gesamte Rücklage zurzeit 11,5 Milliarden Euro. Nach Prognosen des Finanzwissenschaftlers Alfred Boss vom Kieler Institut für Weltwirtschaft dürfte in diesem Jahr weitere fünf Milliarden Euro dazu kommen. Damit stellt sich die Frage: Was passiert mit dem Geld?

SPD will höhere Leistungen für ältere Arbeitslose

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die Debatte eröffnet. Schulz will das Geld dazu verwenden, um die aus Beiträgen finanzierten Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu verbessern. Ältere Menschen, die arbeitslos werden, sollen nach den SPD-Plänen länger Arbeitslosengeld I erhalten. Bisher steht älteren Arbeitslosen die Leistung maximal zwei Jahre zu. Es ist kein Zufall, dass die SPD auf die Arbeitslosenversicherung schielt: Weil deren Kassen voll sind, ließen sich Mehrausgaben nach aktuellem Stand ohne Probleme finanzieren. Doch wäre das der beste Weg?

Die Diskussion um den Einsatz der Mittel nimmt Fahrt auf. Der Wirtschaftsflügel der Union fordert schon seit geraumer Zeit, das Geld an die Beitragszahler zurückzugeben. Carsten Linnemann, Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, hält schon im nächsten Jahr eine Senkung des Beitragssatzes um 0,3 Prozent für machbar. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung beträgt heute 3,0 Prozent. Linnemann sagte: „Die Überschüsse gehören den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die für die Beiträge aufgekommen sind.“ Eine Reduzierung sei möglich, ohne dass für die Arbeitslosenversicherung ein Engpass entstehe.

Mit diesem Plädoyer steht der Wirtschaftsflügel der Union bisher allein auf weiter Flur. Sowohl die Bundesregierung als auch die Arbeitsagentur sehen keinen Anlass für Beitragssenkungen. Das versicherte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Eine Sprecherin der BA verwies auf die Erfahrungen in der Finanzkrise im Jahr 2008/09. Damals beschloss die Politik die Ausweitung des Kurzarbeitergelds, um die Beschäftigten in Arbeit zu halten. Das kostete seinerzeit insgesamt 23 Milliarden Euro. Um diese Summe aufzubringen, war auch ein Zuschuss des Bundes notwendig. „Die heutigen Rücklagen sind zu gering, um eine echte Rezession am Arbeitsmarkt auszugleichen“, erklärte die BA-Sprecherin.

Die SPD-Sozialpolitikerin Katja Mast verteidigte dieses Vorgehen. „Rücklagen sind notwendig, um in Krisen schnell reagieren zu können“, so die Abgeordnete. Eine Beitragssenkung lehnt sie auch deshalb ab, weil sich der Satz von 2006 bis 2011 mehr als halbiert habe. Seit 2011 ist der Beitrag stabil.

Wirtschaft hält niedrigere Beiträge für möglich

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer argumentiert dagegen, bei weiter guter Arbeitsmarktentwicklung müsse eine Beitragssenkung möglich sein. Die Bundesagentur müsse zwar für Krisen gewappnet sein, dürfe „sich aber nicht zur Sparkasse zu Lasten der Beitragszahler entwickeln“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die BDA strebt eine Reserve von 20 Milliarden Euro. Wenn diese Höhe erreicht sei, sollten die Beiträge sinken.

Die Ankündigungen des SPD-Kanzlerkandidaten deuten darauf, dass die Politik dem Aufbau von Reserven nicht so einfach zuschauen wird. Die Rufe nach höheren Leistungen werden jedenfalls lauter. Bevor Leistungen erhöht werden, sollte das Geld an die Beitragszahler zurückgegeben werden, meinte der CDU-Wirtschaftspolitiker Linnemann. Er sagte unserer Zeitung: „Der Staat drückt sich schon seit Jahren davor, die Bürger zu entlasten – jetzt wäre der richtige Zeitpunkt.“