Anna Heinrich, Julia König und Margret Rieker (von links) zeigen vollen Körpereinsatz beim Torball-Training. Foto: Julia Barnerßoi

Die Blindensportart Torball ist für Sehende sehr anstrengend. Nicht nur körperlich, sondern vor allem mental. Ein Selbstversuch beim SV Hoffeld.

Hoffeld/Bad Cannstatt - Plötzlich ist es dunkel. Jegliches Körpergefühl geht augenblicklich verloren, als wäre es mit dem Licht ausgeknipst worden. In der Sporthalle ist es mucksmäuschenstill. Meine Ohren sind gespitzt, gespitzter denn je. Dann höre ich das Klimpern, es bewegt sich rasend schnell auf mich zu, es bleibt kaum Zeit zu reagieren. Ich werfe mich zur Seite, schlage zum x-ten Mal an diesem Tag mit dem Hüftknochen auf den Hallenboden. Schon landet das Klimpern hart in meiner Magengrube – in Form eines mit Glöckchen gefüllten Balles.

Das Licht in der Sporthalle der Sommerrainschule in Bad Cannstatt wurde natürlich nicht ausgeknipst. Eine Brille sorgt für die nötige Dunkelheit. Für die Chancengleichheit. In der Sporthalle trainiert nämlich die Torball-Abteilung (siehe Infobox) des SV Hoffeld. Außer dem Trainer Alexander Knecht kann keiner der Sportler sehen.

Blindenstock und Blindenhund in der Umkleide

Schon in der Umkleide wird klar, dass das hier keine gewöhnliche Sportstunde ist. Auf den Bänken liegen sauber gefaltete Kleiderstapel, darüber hängen an den Garderobenhaken Jacken – und je ein Blindenstock. In der Ecke sitzt ganz friedlich Labradoodle Eloy, ein Blindenhund.

Weiter zum Warmmachen: gelaufen wird der Einfachheit halber auf der Stelle. Dann beweist Alexander Knecht sein Erklärungstalent. „Wir knien uns auf das linke Knie, das rechte Bein ist aufgestellt, das Knie ist dabei über dem Fuß, der Rücken bleibt aufrecht. Wir heben das linke Knie an und halten“, beschreibt er ausführlich. Wenn ich nicht abgucken könnte, hätte ich nicht verstanden, was ich tun muss.

Alexander Knecht spricht automatisch in Bildern. „Ich kenne das von klein auf. Mein Vater war blind“, erklärt er. Sein Papa war es auch, der die Torball-Abteilung einst gegründet hat, damals noch beim BSV Stuttgart. Seit 1990 trainiert Alexander Knecht die Sehbehinderten, 2009 hat sich die Abteilung dem SV Hoffeld angeschlossen. Von Kindesbeinen an hat Knecht seinen Vater auf Turniere begleitet und auch selbst gespielt. Am liebsten würde er auch wieder häufiger mitspielen, „aber ich bin ja der einzige, der den Schiri machen kann“, sagt der 45-jährige Weilimdorfer, der seit vielen Jahren auch international als Schiedsrichter in der verwandten Sportart Goalball unterwegs ist.

Ein Pfiff: los geht’s. Zwei Pfiffe: Tor!

Alexander Knecht lotst das Spiel über Pfiffe. Ein Pfiff heißt: los geht’s. Zwei Pfiffe: Tor. Mit Zahlen von eins bis sieben sagt der Schiedsrichter die Richtung des geworfenen Balles an. Ganz links im gegnerischen Spielfeld ist die eins, rechts die sieben. Einmal spiele ich sehend mit, das klappt. Dann bekomme ich Knieschoner und die Brille. Kaum ist es dunkel, beginnt das Herz zu rasen. Das Spielfeld ist optisch im Kopf eingeprägt, trotzdem ist die Orientierung schnell weg. Langsam beginne ich, zu den Matten zu robben und mich an ihnen auszurichten. Meine Mitspieler zeigen mir durch Klopfzeichen, wo sie sind.

Der Pfiff ertönt, die Spannung steigt. Jederzeit kann ein Ball kommen, Angst kriecht in mir hoch. Erst jetzt wird klar, wie sehr man sich auf all seine Sinne verlässt. Dann das Klingeln, der Ball kommt. Abgewehrt. Ich traue mich, selbst zu werfen. Die ersten Versuche gehen ins Aus oder treffen die Leinen. Dann der Doppelpfiff – ein Tor.

Nach sechs Spielen à zehn Minuten bin ich kaputt, nicht nur körperlich, sondern vor allem mental. Die Brille abzunehmen, ist wie ein Geschenk. Nach dem Umziehen verlasse ich die Umkleide. Ohne Blindenstock. Dafür voller Dankbarkeit.

Info:

Die Sportart:
Torball oder auch Blindentorball ist eine Behindertenmannschaftssportart, die meist von blinden und sehbehinderten Menschen betrieben wird.

Die Regeln:
Das Spielfeld ist 16 mal sieben Meter groß, das Tor umfasst die gesamte Breite und ist 1,30 Meter hoch. Vor dem Tor ist der Bewegungsraum der drei Spieler einer Mannschaft. Zur Orientierung dienen auf jeder Seite drei festgeklebte Teppich-Matten (je ein auf zwei Meter). Quer über das Spielfeld sind auf 40 Zentimetern Höhe drei Leinen gespannt, an denen Glöckchen befestigt sind. Auch im Ball befinden sich Glöckchen. Die angreifende Mannschaft versucht, den Ball mit der Hand unter den Leinen ins gegnerische Tor zu werfen. Um den Ball abzuwehren, legen sich die Gegenspieler seitlich gestreckt auf den Boden. Berührt der Ball eine Leine, muss der Werfer das Feld für einen Wurf des Gegners verlassen. Sieger ist, wer am Ende der Spielzeit (zweimal fünf Minuten) mehr Tore erzielen konnte.

Goalball
: Torball ist nicht paralympisch, weil es dem konkurrierenden Goalball sehr ähnlich ist. Beim Goalball ist zum Beispiel der Ball schwerer und das Feld größer. Statt Matten gibt es fühlbare Linien. Ein Spieler darf sich nie mehr als acht Sekunden, nachdem er den Ball abgewehrt hat, oder nach einem Anpfiff Zeit lassen, bevor er den Ball wirft. Dadurch ist Goalball dynamischer als Torball.