Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an (von links nach rechts) Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (Türkei). Foto: dpa

Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar teilen sich den diesjährigen Nobelpreis für Chemie. Die durch ihre Forschung gewonnenen Erkenntnisse können dazu verwendet werden, um neue Krebsbehandlungen zu entwickeln.

Stockholm - Als Hausbesitzer kennt man das Problem zur Genüge: Die Internetverbindung funktioniert nicht, die Heizung ist defekt, die Toilettenspülung läuft ununterbrochen. Jetzt sind Handwerker vonnöten. Doch deren Terminkalender ist in der Regel so voll, dass sie erst in ein paar Tagen kommen.

Ähnlich wie bei einem Haus gibt es auch beim Menschen immer etwas zu tun. Glücklicherweise sind die körpereigenen Handwerker – Elektriker, Flaschner und Heizungsmonteure – rascher zur Stelle als ihre Pendants im Alltag. Wie die Reparaturen ablaufen und welcher Fachmann für welchen Körperbereich zuständig ist, haben die drei diesjährigen Nobelpreisträger für Chemie Tomas Lindahl (77), Paul Modrich (69) und Aziz Sancar (69) herausgefunden. Doch der Reihe nach:

Was sind Zellen?

Zellen sind die kleinste biologische Einheit jedes Organismus. Der Mensch besteht aus zehn bis 100 Billionen Zellen. Erst durch ihr perfektes Zusammenspiel entsteht funktionsfähiges Leben. Damit Zellen wissen, wie sie aussehen und funktionieren sollen, enthalten sie in verschlüsselter Form Informationen, die sich in ihrem Zellkern befinden. Diese Informationen, die für ein bestimmtes Merkmal des Organismus verantwortlich sind, nennt man auch Gen. Gene bestimmen beispielsweise, ob man grüne oder blaue Augen hat, wie groß man wird oder welche Anlagen für bestimmte Krankheiten man hat. Und sie steuern den gesamten Stoffwechsel der Zellen.

Bedrohtes Erbgut

Die Erbinformationen im Zellkern sind auf den Chromosomen gespeichert. Jede menschliche Zelle besteht aus 46 solcher Chromosomen: 23 väterliche und 23 mütterliche Erbgutabschnitte, die in der befruchteten Eizelle zusammenfinden. Man muss sich Chromosomen als lange, fadenförmige Gebilde vorstellen, die aus Desoxyribonukleinsäure – kurz DNA – sowie aus Proteinen (Eiweißmolekülen) bestehen.

Würde man den DNA-Strang einer menschlichen Körperzelle wie eine Ziehharmonika auseinanderziehen, wäre er rund zwei Meter lang. Alle Zellen aneinandergereiht, ergäben einen Strang, der so lang wäre wie 250-Mal die Strecke von der Erde bis zur Sonne.

DNA ist ein vielfach um sich selbst gewundener Strang, der wie eine Art Strickleiter aussieht und sich aus diversen Stoffen sowie vier chemischen Grundbausteinen – den sogenannten Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin – abgekürzt A, C, G und T – zusammensetzt.

Wunderwerk Mensch

Im Laufe seines Daseins wird unser Körper ständig umgemodelt. Bei einem gesunden Erwachsenen sterben in jeder Sekunde rund 50 Millionen Zellen ab. Gleichzeitig werden beinahe genauso viele Zellen durch Teilung neu gebildet. Bei dieser Zellteilung verdoppelt sich die DNA. Da dieser Kopiervorgang aber störanfällig ist, können sich schnell Fehler einschleichen. Würden sie nicht behoben, hätte das fatale Auswirkungen. Die Schäden würden auf die Tochterzellen übertragen, es käme zu genetischen Veränderungen – sogenannten Mutationen –, welche die Zellen irgendwann absterben lassen würden.

Fatale Fehler beim Kopieren von Erbgut

Damit dies nicht geschieht, gibt es bestimmte Eiweißmoleküle – auch Enzyme genannt – , die merken, wenn bei der Zellteilung etwas schief läuft. Die körpereigenen Flaschner, Elektriker und Heizungsmonteure greifen im Notfall ein und beheben den Schaden.

Der Erbgut- Kopierer ist zwar rasend schnell und genau, trotzdem kommt es immer wieder zu Fehlern, so dass ein falscher Baustein eingesetzt wird. Wird dieser Fehler beim nächsten Kopiervorgang nicht behoben, wird er weitergeben und manifestiert sich.

Erbgut ist extrem instabil und verletzlich

Man muss sich vorstellen, dass dieser Zellteilungsprozess mehrere Millionen Mal am Tag stattfindet. Fehler können immer dann auftreten, wenn bestimmte DNA-Bausteine ausgetauscht und hinzugefügt werden oder verloren gehen. De facto also permanent. Selbst ohne Attacken von außen ist die DNA grundsätzlich ein instabiles Gebilde. Unzählige Male im Laufe eines Lebens wird sie verdoppelt und weitergegeben - und doch ähnelt die letzte Version beeindruckend genau der am Anfang unseres Lebens.

„Schäden an der DNA können sehr ernsthafte Folgen haben“, sagt Nobel-Juror Claes Gustafsson. Sie spielen beim Altern eine Rolle, bei Erbgutkrankheiten und vor allem können sie Krebs verursachen. Das passiert immer dann, wenn Schäden am Erbgut dazu führen, dass sich die betroffene Zelle unkontrolliert zu vermehren beginnt.

Der Körper habe zwar eine ganze Reihe verschiedener Reparatursysteme, aber wie bei jeder Reparatur könnten Fehler entstehen. „Nichts ist vollkommen“, sagt der Biologe und Humangenetiker Günter Speit von der Universität Ulm. „Schäden in der Zelle können durch äußere Faktoren wie Rauchen, UV-Strahlung, Röntgen-Strahlung und Chemikalien entstehen.“

Der DNA-Elektriker und die Basen-Exzisions-Reparatur

Zum Glück sind die Zellen der Zerstörung von innen und außen nicht hilflos ausgeliefert. „Tomas Lindahl spekulierte, dass es ein Reparatur-System geben muss, und machte sich auf die Suche. Und er fand tatsächlich eines“, erklärt Gustafsson. Auch Paul Modrich und Aziz Sancar seien Pioniere auf dem Gebiet der Erbgutforschung, die solche Mechanismen beschreibt. „Es sind sehr frühe Entdeckungen, die das Forschungsfeld geöffnet haben.“ Die Ergebnisse hätten enorme Konsequenzen für die Menschheit gehabt, betont die Chefin der Nobel-Jury, Sara Snogerup Linse.

In den frühen 1970er Jahren waren Wissenschaftler noch überzeugt, dass die DNA ein extrem stabil ist. Lindahl demonstrierte, dass Erbgut für sich genommen so rasch zerfällt, dass die Entstehung des Lebens auf der Erde eigentlich hätte unmöglich sein müssen. Schließlich wurde das fragile Erbgut von Generation zu Generation weitergegeben, floss von Körper zu Körper, seit Hunderttausenden von Jahren. Wie brachten die Organismen das Wunder fertig, eine überraschend intakte DNA zu behalten?

Lindahl entdeckte als Erster die Reparaturwerkstatt des Körpers

Der Schwede Lindahl fand als erster die Antwort: Es gibt in den Zellen eine Art Reparaturwerkstatt speziell für das Erbgut. 1974 beschrieb er die grundsätzliche Funktionsweise der sogenannten Basen-Exzisions-Reparatur. Dieser Mechanismus ermöglicht der Zelle, einen fehlerhaften DNA-Baustein (auch Nukleotid genannt) zu entfernen und korrekt zu ersetzen. Mehrere Enzyme bearbeiten dabei den DNA-Strang. Sie schneiden den falschen Baustein heraus und schließen die Lücke im Erbgut mit dem Richtigen. Ohne eine solche Korrektur würde sich der DNA-Fehler in immer mehr Zellen ausbreiten.

Der DNA-Flaschner und die Missmatch-Reparatur

Manchmal gibt es aber auch bei der Zellteilung selbst Komplikationen. Das Kopieren der DNA geht schief und es schleichen sich Fehler ein. Mit einem bestimmten Mechanismus - der Mismatch Repair (übersetzt: Fehlpaarungs-Reparatur) - kann die Zelle diese Fehler nach der Teilung noch reparieren.

Paul Modrich fand heraus, was für Enzyme dabei notwendig sind und wie das System funktioniert.Laut Modrich gibt es in den Zellen einen Kontrollmechanismus, der die Anzahl von Kopierfehlen um den Faktor Tausend verringert. Diesen Vorgang nennt er mit dem englischen Begriff Missmatch-Repair. Bestimmte Enzyme erkennen, ob die vier genannten Zellbausteine auch in der richtigen Reihenfolge aneinandergereiht werden. Ist dies nicht der Fall, tauschen sie den falschen durch den richtigen Baustein aus.

Dieser Mechanismus kann indes durch Geburts- und Erbfehler oder durch Umwelteinflüsse beschädigt sein. Eine bestimmte genetische Disposition kann so zum Bespiel zu Darmkrebs führen. Auch krebserregende Stoffe in der Nahrung oder in Zigaretten können zu Zellveränderungen führen, die zu unkontrollierten Mutationen führen.

Gefährliche Mutationen

Kleinere Erbgutschäden können die Zellen locker beheben. Manchmal kann es jedoch vorkommen, dass die Schädigungen bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben werden. Eine dauerhafte Veränderung der DNA nennt man Mutation. Sie führt dazu, dass Informationen verloren gehen oder abgewandelt werden. Wenn dabei diejenigen Abschnitte des Erbgutes betroffen sind, die das Wachstum und die Teilung von Zellen regulieren, kann beispielsweise Krebs entstehen – ein unkontrollierte Zellteilung.

Der DNA-Heizungsmonteur und die Nukleotid-Exzisions-Reparatur

Der dritte Nobelpreisträger im Bunde, der türkische Forscher Aziz Sancar, entdeckte, dass die Zellen Enzyme besitzen, mit deren Hilfe sie Schäden durch die UV-Strahlung des Sonnenlichts ausbessern können. Diesen Vorgang nennt Sancar Nukleotid-Exzisions-Reparatur. Sie läuft im Prinzip ähnlich ab wie die von Lindahl beschriebene Basen-Exzisions-Reparatur. Mit ihr wehrt sich die Zelle gegen UV-Schäden auf einem Teil des DNA-Strangs. Es sind wieder spezielle Enzyme, die einen falschen Baustein entfernen und ersetzen. So kann die Zellteilung - und die damit verbundene Verdopplung der DNA - reibungslos ablaufen.

UV-Strahlung und Freie Radikale

Das Erbgut in den Billionen Zellen unseres Körpers wird fortwährend beschädigt - durch äußere Einflüsse wie UV-Licht, freie Radikale oder krebserregende Substanzen in unserem Essen. Der Anteil der ultravioletten Strahlung im Sonnenlicht ist zwar gering. Er reicht jedoch aus, um einen Sonnenbrand zu bewirken und kann das Krebsrisiko erhöhen. Zu viel Sonne sollte man deshalb vermeiden.

Freie Radikale sind aggressive und reaktionsfreudige Molekülverbindungen, die irreversible Schädigungen wichtiger Zellstrukturen verursachen können. Sie gelten als Hauptursache für Alterungs- und Degenerationsprozesse.

Erbgut und Krebs

Bei vielen Krebsarten funktioniert mindestens einer dieser drei Mechanismen nicht oder nur unzureichend. Die betroffenen Zellen sind für ihr Überleben besonders angewiesen auf die noch verbleibenden Reparaturmöglichkeiten. Forscher etwa vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sehen darin einen zentralen Ansatzpunkt für Krebstherapien. Mit Substanzen, die genau die unkontrollierten Zellteilungen zum Stillstand bringen und die zelleigenen Reparaturmechanismen unterstützen, ließen sich Krebszellen aushungern und die Krankheit besiegen, so die Hoffnung. Erste Ansätze dazu gibt es bereits.

Lob und Kritik

Bernd Kania, Professor für Toxikologie an der Universität Mainz, würdigt die Arbeit seiner drei Kollegen: Deren Forschungsergebnisse seien „bereits in der Anwendung und werden zum Wohl der Patienten genutzt. Es war längst überfällig, dass dieses große und wichtige Fachgebiet der Erbgutforschung den Preis erhält“. Auch Günter Speit meint: „Die Preisträger haben die Grundlage für weitere Forschung gesetzt.“

Es gibt aber auch Kritik an der Entscheidung des Nobel-Komitees.Claus R. Bartram, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Heidelberg, kritisiert: „Der Preis kommt 40 Jahre zu spät und entspricht nicht dem Gedanken Alfred Nobels, aktuelle Forschung auszuzeichnen. Tomas Lindahl, Aziz Sancar und Paul Modrich sind renommierte Kollegen, doch die Auswahl ist Zufall. Die Ergebnisse der Nobelpreisträger sind aber sehr wichtig für die Menschheit.“

Die Preisträger im Porträt

Tomas Lindahl

Der schwedische Krebsforscher Tomas Lindahl kam 1938 in Stockholm zur Welt.Er promovierte 1967 am Karolinka-Institut in Stockholm, wo er 1970 auch seinen Doktor der Medizin machte.Von 1978 bis 1981 war er Professor für Medizinische Biochemie an der Universität Göteborg, danach war er bis zu seinem Ruhestand 2009 für die Cancer Research UK in London in deren Clare Hall Laboratory tätig. Er ist derzeit emeritierter Gruppenleiter des Francis Crick Institute in London.

Paul Modrich

Der US-Amerikaner Paul Modrich, geboren 1946 in Raton, New Mexiko, ist Biochemie-Professor an der Duke University in Durham und Forscher am Howard Hughes Medical Institute in Maryland.Modrich machte 1968 seinen Abschluss in Biologie am Massachusetts Institute of Technology und promovierte 1973 an der Stanford University in Biochemie über Struktur, Vorgang und biologische Rolle der E. coli DNA-Ligase. DNA-Ligasen sind Enzyme, die die DNA-Stränge miteinander verknüpfen.

Aziz Sancar

Der Genetiker Aziz Sancar wurde 1946 im türkischen Savur geboren und besitzt sowohl die US-amerikanische als auch die türkische Staatsbürgerschaft.Er machte 1969 seinen Doktor der Medizin an der Universität Istanbul, ehe er 1977 an der University of Texas at Dallas in Molekularbiologie promovierte.Er ist Professor für Biochemie und Biophysik an der University of North Carolina in Chapel Hill, wo er seit 1982 arbeitet. Seine Frau Gwen Boles Sancar forscht zu den selben Themen an der University of North Carolina.