Wer in der Baubranche arbeitet, ist besonders starkem Lärm ausgesetzt. Foto: Gottfried Stoppel

Gehörschäden sind die bundesweit häufigste Berufskrankheit. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft hat auf einem Aktionstag Auszubildende darüber informiert, wie sie sich und ihre Ohren schützen können.

Remshalden - Als die Rüttelmaschine los legt, klettert die Anzeige des Messgeräts nach oben: Fast 103 Dezibel Lautstärke erreicht der ohrenbetäubende Lärm, den der Apparat erzeugt. Die umstehenden Azubis nicken beeindruckt. Immerhin haben sie erst vorhin erfahren, dass schon Lärm von mehr als 85 Dezibel ihre Gesundheit schädigt. „Egal, was euer Chef oder der Capo sagt: Benutzt einen Hörschutz“, meint Andreas Hummler. Für die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) sind er und seine Kollegen oft zur Kontrolle auf Baustellen unterwegs und sehen, dass es beim Lärmschutz viel zu tun gibt. „Bei uns zieht kaum einer das an, die meisten finden’s nervig“, meint ein Azubi über die sogenannten Micky Mäuse, die großen Kapsel-Ohrschützer. Allein, diese anzuschaffen, reiche auch nicht, erklärt Hummler: „Sie sollten auch noch passen und die richtigen Frequenzbereiche abdecken.“

Mehr als 120 Auszubildende verschiedener Baufirmen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind am Mittwoch ins Ausbildungszentrum Bau in Remshalden-Geradstetten gekommen, um auf dem Aktionstag „Angriff aufs Gehör“ zu erfahren, welche Gefahren hinter Presslufthammer, Rüttler und Co. lauern und wie sie sich vor Hörschäden schützen können. An verschiedenen Stationen lernen die Jugendlichen, worauf sie beim Gehörschutz achten müssen, wie sich Lärm beim Hämmern reduzieren lässt und wie laut eine Kreissäge werden kann.

Dass gerade in der Baubranche die Chance auf ein kaputtes Gehör besteht, erklärt der technische Aufsichtsbeamte Armin Dutzi: „Ein Drittel von Ihnen braucht mit 50 ein Hörgerät“, sagt er in die Runde von etwa 25 Azubis, die vor ihm sitzt. Komplett vermeiden lässt sich in der Branche ein gewisser Geräuschpegel natürlich nicht. Dutzi erklärt, dass es auf die Dosis ankomme: „80 Dezibel können Sie acht Stunden aushalten, ohne Gesundheitsschäden zu bekommen. Bei 83 Dezibel ist die kritische Dosis schon nach vier Stunden erreicht.“ Und wer 98 Dezibel ausgesetzt sei, riskiere bereits nach siebeneinhalb Minuten seine Ohrgesundheit. „Eine Kettensäge bringt es auf 120 Dezibel“, sagt Dutzi. „Hey, das tut mein Auto auch“, freut sich einer der Azubis. Trifft sich gut, dass der junge Mann das anspricht: Auch über Hörschäden in der Freizeit – sei es satter Autosound oder ein Rockkonzert – will die Berufsgenossenschaft Bau aufklären.

Laut der Genossenschaft ist Lärmschwerhörigkeit die häufigste Berufskrankheit. Ganz uneigennützig ist der Aktionstag nicht: Im Jahr 2013 bezahlten die gewerblichen Berufsgenossenschaften bundesweit rund 118 Millionen Euro für die Behandlung und die Renten von Lärmgeschädigten. Allein die BG Bau zahlte 17 Millionen. Der Arbeitsmedizinisch-Sicherheitstechnische Dienst der BG Bau rechnet damit, dass die Zahl der Betroffenen zukünftig noch weiter ansteigt.

Wie schnell es mit dem Gehörschaden gehen kann, hat der 17-jährige André Müller am eigenen Leib erfahren. Dem angehenden Baugeräteführer ist bereits zwei Mal das Trommelfell geplatzt. Einmal wegen eines Silvesterböllers, einmal wegen eines Metallklotzes, der direkt neben ihm auf den Boden fiel. Die Trommelfelle haben sich erholt und André hat daraus gelernt: „Ich trage immer meine Ohrstöpsel“, sagt der Rheinland-Pfälzer. Armin Dutzi und seine Kollegen hoffen, dass ihr Aktionstag auch bei den Auszubildenden, die Micky Mäuse bisher uncool und Ohrstöpsel nervig fanden, ein Umdenken bewirkt hat.