Die fünfköpfige Familie Fathi aus dem Irak lebt bisher in einem Zimmer und sucht fieberhaft nach einer Wohnung, damit ein geregelter Alltag möglich ist. Foto: Stoppel

Was wurde aus den Schlagzeilen des vergangenen Jahres? Im Januar und Februar hielt der Flüchtlingsstrom den Rems-Murr-Kreis in Atem. Mittlerweile sind viele Menschen dabei, sich eine neue Zukunft aufzubauen.

Schorndorf - Der Wunschzettel der Familie Fathi für das kommende Jahr ist nicht lang. Genau genommen steht an erster, an zweiter, dritter, vierter und fünfter Stelle immer das gleiche: „Eine eigene Wohnung“, sagt Abdullah Fathi. Wie viele andere Menschen, die in den vergangenen zwei Jahren nach Deutschland geflüchtet sind, stehen der Iraker und seine Familie vor diesem nächsten und wichtigen Schritt: Sie möchten ihre erste Anlaufstelle, die Gemeinschaftsunterkunft, verlassen und sich ein eigenes Leben aufbauen.

Bei Familie Fathi greift der subsidiäre Schutz

Vor einem guten Jahr sind Abdullah, seine Frau Lelav sowie ihre drei Kinder Xahya, Maryam und Sermed nach Schorndorf gekommen. Seitdem wohnen sie zu fünft in einem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft auf dem Kelch-Areal. Dort findet alles statt: schlafen, essen, spielen, lernen. Es ist ein beengtes Leben. Der Container mit den Wasch- und Kochgelegenheiten steht im Hof, sie teilen ihn sich mit fünf anderen Familien. „Der eine ist sauberer, der andere nicht so sehr“, sagt Lelav Mahmoud und lächelt. Seine Kinder lässt Abdullah Fathi nie alleine in dem Areal spielen. „Wir wollen sie beschützen und Probleme meiden“, sagt er.

Da in der Heimat der Familie ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihr Leben unmittelbar bedroht ist, greift bei ihnen der so genannte subsidiäre Schutz. „Wenn ich arbeiten gegangen bin, wusste ich nicht, ob ich abends wieder nach Hause komme“, beschreibt Abdullah Fathi den Alltag, den er in der umkämpften Stadt Mossul erlebt hat.

Fieberhafte Suche über alle Kanäle

Durch den subsidiären Schutz hat die Familie Fathi eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen. Seitdem dies klar ist, suchen Abdullah und Lelav Fathi zusammen mit ihren ehrenamtlichen Paten fieberhaft nach einer Wohnung. „Wir möchten Ruhe. Und in einer eigenen Wohung können wir den Kinder beibringen, wie hier gelebt wird“, sagt Abdulla Fathi. Per Zeitung, Internet, Facebook oder Aushang haben sie schon gesucht. Bisher erfolglos. Es gibt verschiedene Gründe, die die Wohnungssuche erschweren. Zum einen gilt die Aufenthaltserlaubnis der Familie eben erst einmal nur für ein Jahr. Zum anderen darf die Wohnung nicht viel kosten, weil das Jobcenter nur Mieten in bestimmter, angemessener Höhe übernimmt. „Und schön wäre eine Wohnung in Schorndorf.“

Denn die Kreisstadt ist inzwischen so etwas wie eine Heimat in der Fremde geworden. Abdullah Fathi, früher als Buchhalter in einer Zuckerfabrik beschäftigt, arbeitet drei Tage in der Woche für die Tafel, holt zum Beispiel Lebensmittellieferungen ab. Der achtjährige Xahya besucht die Künkelinschule, die vierjährige Maryam geht in den Kindergarten. „Sie ist dort sehr glücklich. Man hat uns erzählt, dass sie sehr sportlich ist“, sagt Lelav Mahmoud, die in Mossul am Empfang der Geburtsstation eines Krankenhauses gearbeitet hat.

Große Fortschritte beim Deutsch lernen

Die 35-Jährige und ihr gleichaltriger Mann besuchen von Januar an den Integrationskurs. Weil sie schon jetzt mit ehrenamlichen Sprachhelfern fleißig Deutsch gelernt haben, dürfen sie beide bereits auf einem höheren Level einsteigen. „Die beiden gehören zu den treuesten Seelen“, erzählt eine Sprachhelferin. Oft fehlt jetzt nur noch der Mut, die neuen Kenntnisse auch zu nutzen und sich nicht mit Englisch zu behelfen. „Ich verstehe inzwischen fast alles, aber das Sprechen fällt mir schwer“, sagt Abdullah Fathi. Trotzdem bleiben die Iraker dran. „Wir wissen, dass Sprache alles ist“, sagt Abdullah Fathi.

Wie sieht die Flüchtlingslage im Rems-Murr-Kreis aus?

Waiblingen - Die Flüchtlingslage im Rems-Murr-Kreis hat sich entspannt. Was er für das kommende Jahr erwartet, berichtet Bernd Friedrich, Erster Landesbeamter des Rems-Murr-Kreises und Leiter des Koordinierungsstabs Flüchtlinge.

Herr Friedrich, ist gerade großes Aufatmen angesagt oder bereiten sie sich schon auf neue Herausforderungen vor?
Ein gewisses Aufatmen gibt es auf jeden Fall. Wir können bis Ende Januar die letzten vier Notunterkünfte räumen. Zum Vergleich: wir hatten im Rems-Murr-Kreis zeitweise ein gutes Dutzend Sport- und Gewerbehallen in Betrieb. Das ist zum Glück vorbei. Aber es kann uns niemand sagen, ob wieder mit einem Anstieg der Zahlen zu rechnen ist. Darauf müssen wir vorbereitet bleiben. Eine Herausforderung wird es im kommenden Jahr, Plätze in der Anschlussunterbringung zu schaffen. Diese Aufgabe wollen wir kooperativ mit den Kommunen lösen, die für die Anschlussunterbringung zuständig sind.
Könnte es ein Weg sein, nicht mehr benötigte Gemeinschaftsunterkünfte umzuwidmen?
Das ist eine Möglichkeit. Wir erarbeiten derzeit ein Konzept zum Abbau der Kapazitäten. Wir werden einige Plätze als Notfallreserve beibehalten, einige Standorte werden aufgegeben. Manche geplante Gemeinschaftsunterkunft wird erstmal nicht gebaut. Und wir können mit der Belegungszahl pro Unterkunft variieren. Allerdings haben wir es nicht mit einer abstrakten Größe zu tun, sondern mit Menschen, die wir – wenn etwa die Kinder die Schule besuchen – in ihrem Umfeld lassen möchten. Nur so gelingt Integration.
Gerade die Integration wird vermutlich im kommenden Jahr ein wichtiges Thema werden, oder?
Ja. Zuerst ging es darum, genügend Betten zu schaffen. Nun sollen die Menschen Teil der Gesellschaft werden. Auch dafür haben wir einiges getan. Wir haben im Landratsamt eine Integrationsbeauftragte, wir haben ein Team, das die Ehrenamtlichen vor Ort begleitet. Wir bieten Sprachkurse an, wir haben ein Wohnungsportal eingerichtet. Inzwischen gehen 720 Kinder in Kindergärten oder auf Schulen im Landkreis. 160 Flüchtlinge haben eine Ausbildung begonnen oder eine Arbeit aufgenommen.
Können Sie gelassen auf das kommende Jahr schauen?
Wir können uns nicht zurücklehnen, es gibt genügend Aufgaben zu lösen, wie etwa die Anschlussunterbringung. Aber ich denke, dass wir das mit den Kommunen gut hinbekommen können. Und ich denke, dass uns auch ein mittlerer Anstieg der Zahlen nicht aus der Bahn werfen würde. Allerdings hoffe ich, dass wir nicht noch einmal so überrollt werden wie vor einem Jahr. Wir sind aber inzwischen deutlich besser vorbereitet.